Gesundheitspolitik in Hessen: Wo geht die Reise hin?

Vom Bund ins Land; die Gesundheitspolitik der Großen Koalition in der zu Ende gehenden Legislaturperiode des Bundestags war geprägt von einer sehr betriebsamen Gesundheits- und Pflegegesetzgebung. Die Folgen für Hessen werden noch viele Jahre zu spüren sein.

Zahlreiche neue Gesetze in den Bereichen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung wurden in Umsetzung des Koalitionsvertrages auf Bundesebene erarbeitet und die meisten davon von Bundestag und Bundesrat verabschiedet.

Die Gesetzgebung der ablaufenden Legislaturperiode wirkt sich auch auf die Gesundheits- und Pflegepolitik in Hessen aus.

Dies gilt im Besonderen für die Neuregelungen in den Bereichen stationäre Versorgung, Prävention und Pflege.

In Umsetzung des Präventionsgesetzes konnte in Hessen bereits zu Beginn des Jahres 2016 die erste Landesrahmenvereinbarung geschlossen werden. Dessen Partner befinden sich lfd. im Dialog und arbeiten u. a. an der Konzipierung und Umsetzung neuer Präventionsprojekte.

Die Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade wurde z. B. ohne große Komplikationen umgesetzt, ebenso die Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige und deren Angehörige. Das Pflegestärkungsgesetz III, welches erst zu Beginn des Jahres 2017 in Kraft getreten ist, wird in der Umsetzung sicher noch für Diskussionsstoff sorgen.

Heftige, in den Regionen teilweise auch emotional geführte Diskussionen zeichnen sich bei den strukturellen Veränderungen im stationären Sektor ab. Hier sind – auch in Hessen – Schließungen und Zusammenlegungen von Kliniken erforderlich, um die Strukturen vor Ort zu konzentrieren. Beantragte Maßnahmen werden im Rahmen des Strukturfonds abgefedert.

Perspektivisch ist davon auszugehen, dass die genannten Regelungen auch in der nächsten Legislaturperiode eine Rolle spielen werden. Das Krankenhausstrukturgesetz wird sich auch in den Regelungen des neuen hessischen Landeskrankenhausplanes niederschlagen, hier im Bes. im Bereich verbindlicher planungsrelevanter Qualitätsindikatoren.

Auch in der nächsten Legislaturperiode wird es erwartungsgemäß neue Gesetze für die Bereiche Gesundheit und Pflege  geben.

Ganz gleich, ob es sich um

•  die fairere Verteilung der Geldmittel aus dem Gesundheitsfonds im Rahmen des morbiditätsorientierten Risiko-Strukturausgleichs (Morbi-RSA),

•  eine Begrenzung der z. Zt. von den Versicherten alleine zu tragenden Zusatzbeiträge,

•  weitere Strukturmaßnahmen und die Investitionsförderung im stationären Bereich,

•  die Digitalisierung im Gesundheitswesen oder

•  die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung handelt,

nach unserer Auffassung müssen alle diese Themen in der kommenden Legislaturperiode in Angriff genommen werden.

Wir haben den hessischen Mitgliedern des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages (Kurzvorstellung siehe unten), die sich alle erneut um ein Mandat im Deutschen Bundestag bewerben, „drei Fragen zur Wahl“ gestellt:

DREI FRAGEN AN:

1. In der zu Ende gehenden Legislaturperiode wurden sehr viele Gesetze im Bereich der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung verabschiedet. Welche Gesetze haben aus Ihrer Sicht die Versorgung tatsächlich verbessert?

2. Die ungerechte Verteilung der Finanzmittel aus dem Gesundheitsfonds an die Krankenkassen ist seit Monaten im Gespräch. Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach im Rahmen einer Reform des Morbi-RSA erforderlich, um die Schieflage möglichst kurzfristig zu beseitigen?

3. Die Welt wird zunehmend digitaler. Wie kann die weitere Digitalisierung unter Berücksichtigung von Datenschutzaspekten die Abläufe für Patienten und Leistungserbringer vereinfachen?

DIE HESSISCHEN ABGEORDNETEN IM GESUNDHEITSAUSSCHUSS DES DEUTSCHEN BUNDESTAGS

Dr. Edgar Franke • Vorsitzender des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen Bundestags • Mitglied der SPD • Geboren 1960 in Gudensberg

Kordula Schulz-Asche • Mitglied im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags •  Mitglied von Bündnis 90 / Die Grünen • Geboren 1956 in Berlin

Dr. Katja Leikert • Mitglied im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags • Mitglied der CDU • Geboren 1975 in Neustadt an der Weinstraße

Bettina Müller • Mitglied im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags • Mitglied der SPD • Geboren 1959 in Alzenau / Wasserlos

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Drei Fragen an Dr. Edgar Franke:

1. In keiner Wahlperiode wurden bisher so viele Gesetze verabschiedet, die die Versorgung der Patientinnen und Patienten unmittelbar verbessert haben. Dabei gibt es einen roten Faden der Gesundheitspolitik, nämlich den verbesserten Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung – unabhängig von Einkommen, Lebensalter oder Wohnort. Ich will insbesondere die drei Pflegestärkungsgesetze nennen, mit denen wir den Reformstau in der Pflege aufgelöst haben. Die Einführung des erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriffs war dabei sicherlich ein sehr wichtiger und notwendiger Schritt. Ferner haben wir durch das Versorgungsstärkungsgesetz die flächendeckende medizinische Versorgung gesichert. Nicht zu vergessen ist auch die Verbesserung der Versorgungsqualität in den Krankenhäusern durch das Krankenhausstrukturgesetz. Besonders freut mich auch, dass es uns gelungen ist, gegen alle Widerstände das Antikorruptionsgesetz zu verabschieden. Der Versicherte muss sich darauf verlassen können, dass er die Leistung und das Medikament erhält, das für ihn aus medizinischer Sicht notwendig ist.

2. Der Morbi-RSA ist eine technisch anspruchsvolle Konstruktion. Bevor man hieran etwas verändert, muss man die Folgen bereits im Vorfeld sehr genau prüfen. Zur Morbi-RSA Thematik wurden mehrere Gutachten beauftragt. Erst wenn die Ergebnisse der Gutachten vorliegen, kann entschieden werden, ob und ggf. wie etwas geändert werden soll. Aber unstreitig besteht hier politischer Handlungsbedarf in der nächsten Legislaturperiode.

3. Der Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liefern den rechtlichen Rahmen für die Digitalisierung. Gerade vor dem Hintergrund der vielfältigen Möglichkeiten, die die Zukunft uns hier bringen wird, darf man diese Grundlage nie aus den Augen verlieren. Als Gesetzgeber sind wir gefordert, den gesetzlichen Rahmen mit einer Digitalisierungsstrategie zu setzen, um die Versorgung zu verbessern. Grundsätzlich müssen wir das Potential der Digitalisierung im Gesundheitswesen und in der Pflege für eine bessere gesundheitliche und pflegerische Versorgung der Versicherten besser nutzen als bisher.  

_Kordula Schulz-Asche_Bildquelle Stefan Kaminski

Drei Fragen an Kordula Schulz-Asche:

1. Das lässt sich noch nicht abschließend beurteilen, weil vieles von sehr wichtigen Details abhängt, deren Gestaltung Union und SPD zur Konfliktvermeidung lieber der Selbstverwaltung überlassen haben. Ich denke aber, dass die Neuregelung etwa bei den Hilfsmitteln die Versorgung verbessert hat. Auch die Umsetzung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes war ein wichtiger Schritt. Leider hat die Koalition sich aber nicht getraut, grundlegende Reformen für eine sektorenübergreifende Versorgung und zur Vermeidung von Über- und Unterversorgung anzugehen. Auch gegen die unterschiedliche Behandlung von gesetzlich und privat Versicherten im Wartezimmer haben SPD und Union nichts Wirksames getan.

2. Kassen mit vielen älteren oder chronisch kranken Versicherten dürfen im Wettbewerb nicht benachteiligt werden. Das muss in jedem Fall so bleiben. Ansonsten wollen wir die Manipulationsanfälligkeit deutlich reduzieren und mehr Zielgenauigkeit schaffen. Auch ein Risikopool für besonders teure Fälle wäre nötig. Alle Akteure sollten aber wissen: Der Morbi-RSA darf nicht zerredet werden. Er ist von zentraler Bedeutung für unser solidarisches Krankenversicherungssystem.

3. Patientinnen und Patienten können durch die Digitalisierung aktiver und besser informiert in den Behandlungsprozess eingebunden werden, die Kommunikation zwischen den Sektoren kann verbessert werden, die bedarfsgerechte Versorgung ländlicher Räume unterstützt und unnötige Arztbesuche vermieden werden. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass die Patientinnen und Patienten auf den Schutz und die Sicherheit ihrer Daten vertrauen können und die weitere Entwicklung der Digitalisierung im Gesundheitswesen aktiv begleiten. Alle Gesundheitsberufe müssen einbezogen werden, also auch Pflegekräfte, Apotheken etc. Der Schlüssel für eine Digitalisierung im Sinne der Patienten ist die elektronische Patientenakte.  

_Dr. Katja Leikert_Bildquelle Tobias Koch

Drei Fragen an Dr. Katja Leikert:

1. Die Qualität der Versorgung steht bei allen Gesetzen, die wir verabschieden, immer im Mittelpunkt und muss auch weiterhin der Gradmesser unseres politischen Handelns sein. Mit Blick auf die nun auslaufende Legislaturperiode sind sicherlich die  Pflegestärkungsgesetze hervorzuheben, die ja bereits konkret messbare Verbesserungen bringen. So haben durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu Jahresbeginn schon im ersten Quartal 2017 knapp 129.000 Menschen erstmals Pflegeleistungen empfangen. Und auch bei bereits anerkannter Pflegebedürftigkeit kann es infolge der Reform zu höheren Leistungsansprüchen kommen.

2. Die Bundesregierung hat im Dezember 2016 auch vor dem Hintergrund der Kritik am Morbi-RSA einen umfassenden Evaluationsbericht durch den Wissenschaftlichen Beirat zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs beim Bundesversicherungsamt in Auftrag gegeben. Hier gilt es zunächst, die Ergebnisse, die bis zum 30.09.2017 vorliegen sollen, abzuwarten. Wir können an dieser Stelle keine Schnellschüsse gebrauchen, sondern sollten in der nächsten  Legislaturperiode auf Basis des Sondergutachtens den möglichen Anpassungsbedarf im Hinblick auf den Morbi-RSA klären.

3. Mit den im eHealth-Gesetz beschlossenen Maßnahmen, deren Umsetzung an Fristen und Sanktionen geknüpft ist, ist es gelungen, die digitale Vernetzung im deutschen Gesundheitssystem entscheidend voranzubringen. Für die Versicherten bedeutet das in Zukunft beispielsweise, dass die Notfalldaten auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden und im Ernstfall zur Verfügung stehen. Das kann, wenn es auf jede Sekunde ankommt, Leben retten. Es bedeutet aber auch, dass Behandlungsdaten mittelfristig in einer elektronischen Patientenakte zusammengeführt werden und damit zur richtigen Zeit und am richtigen Ort zur Verfügung stehen. Damit werden einerseits Doppeluntersuchungen vermieden, und gleichzeitig steigt die Qualität der medizinischen Versorgung jedes Einzelnen. Das hilft sowohl Patienten als auch Leistungserbringern.  

_Bettina Müller _Bildquelle Bettina Müller_final

Drei Fragen an Bettina Müller:

1. Die mit den Pflegestärkungsgesetzen I bis III vorgenommene Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, die Leistungsverbesserungen in der Pflege und vor allem der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff sind echte Meilensteine. In der Pflege gab es einen jahrelangen Reformstau, der gelöst wurde. Für mich waren aber auch das GKV-VSG sowie das Hospiz- und Palliativgesetz wichtig, weil hier  explizit die Verbesserung der Versorgung im ländlichen Raum im Vordergrund stand. Wie  immer kommt es aber jetzt auch auf die Umsetzung durch die Vertragspartner an, damit die Gesetze auch wirken.

2. Es hat dazu eine Reihe von unterschiedlichen Gutachten gegeben, weitere werden folgen. In der nächsten Wahlperiode muss vor dem Hintergrund dieser Bewertungen das lernende System Morbi-RSA erneut, wo erforderlich, nachjustiert werden.

3. Die Digitalisierung bietet in vielerlei Hinsicht enormes Potential, das im Gesundheitswesen noch gar nicht ausgeschöpft wird. Die elektronische Patientenakte, der Medikationsplan sind nur zwei Beispiele, wie Abläufe einerseits wirtschaftlicher und effizienter gestaltet werden können, zugleich aber auch einen echten Mehrwert für Patientinnen und Patienten darstellen. Personalisierte Medizin, bei der die Forschung auf detailliertere Daten als bislang zugreift, wäre ein anderes Beispiel. Auch zur Sicherstellung der Versorgung im ländlichen Raum kann die Digitalisierung viel beitragen, zum Beispiel durch die  weitere Stärkung telemedizinischer Anwendungen. Wichtig ist mir aber, dass dabei die Aspekte Datensouveränität und Datenhoheit strikte Beachtung finden.

Diesen und weitere Artikel zum hessischen Gesundheitswesen finden sie in der 2. Ausgabe 2017 des ersatzkasse report. Hessen