Gesundheitspolitik: Von Erwartungen und Plänen
Die Bevölkerung schaut der neuen Großen Koalition auf die Finger. Im Fokus steht auch die Gesundheitspolitik. Was läuft gut und wo hakt es? Ulrike Elsner, die Vorstandsvorsitzende des vdek im Interview.
Frau Elsner, eine forsa-Umfrage im Auftrag des vdek belegt, dass die Mehrheit der Befragten mit der medizinischen Versorgung in Deutschland sehr zufrieden oder zufrieden ist. Wie bewerten Sie das?
Zunächst einmal ist ein solches Ergebnis ein deutliches Zeichen dafür, dass die Menschen in Deutschland die medizinische Versorgung wertschätzen. Dass das auch so bleibt, daran arbeiten wir in der Selbstverwaltung täglich. Auffällig waren in der forsa-Umfrage jedoch die Unterschiede bei der Stadt- und Landbevölkerung. Hier sagen 25 Prozent der Befragten, dass sie unzufrieden mit der medizinischen Versorgung sind. In städtischen Regionen ist die Unzufriedenheit mit 12 Prozent nur etwa halb so groß. Ähnliche Ergebnisse haben wir beim Thema Wartezeiten festgestellt. 33 Prozent der Befragten aus ländlichen Regionen waren sehr unzufrieden mit der Terminvergabe beim Facharzt.
Was muss getan werden, um die Versorgung auf dem Land zu verbessern?
Die Politik muss ein größeres Augenmerk auf die ländlichen Räume legen. Hierzu ist eine Bestandsaufnahme erforderlich. Denn zur Verbesserung der ärztlichen Versorgung auf dem Land gibt es schon einen Instrumentenkoffer: Sicherstellungszuschläge, Investitionskostenhilfen, Umsatzgarantien und vieles mehr.
Diese Instrumente müssen jetzt ergänzt werden durch die Nutzung neuer Mobilitäts- und Digitalisierungskonzepte, wie mobile Fahrdienste oder die Videosprechstunde. Bei den Wartezeiten hat die Koalition die Forderungen der Ersatzkassen im Koalitionsvertrag aufgegriffen: Etwa die Heraufsetzung der Sprechstundenzeiten für gesetzlich Versicherte von 20 auf 25 Stunden in der Woche. Die Terminservicestellen der Ärzte müssen zudem bekannter werden. Wir fordern eine einheitliche Rufnummer bundesweit und eine digitale Terminvermittlung.
Handlungsbedarf besteht bei der Notfallversorgung. Was muss hier geschehen?
Die Menschen suchen im Notfall ein Krankenhaus auf, mit dieser Tatsache müssen wir umgehen. Wir fordern daher, obligatorisch an allen geeigneten Krankenhäusern Deutschlands eine zentrale Anlaufstelle für Patienten einzurichten (Portalpraxis). Hier wird eine Ersteinschätzung des Patienten vorgenommen und geklärt, ob der Patient eine ambulante oder stationäre Behandlung braucht, und es erfolgt eine Weiterleitung zur entsprechenden Versorgung. Hierdurch könnten die Notaufnahmen der Krankenhäuser spürbar entlastet werden. Voraussetzung hierfür ist eine verbesserte Verzahnung aller Sektoren einschließlich des Rettungsdienstes. Hierzu gibt es ja auch in Hessen bereits erste, gute Ansätze.
Was muss sich in Sachen Morbi-RSA tun?
Die Ersatzkassen fordern seit langem Reformen. Der morbiditätsbedingte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) ist ein komplexer Mechanismus des Finanzausgleichs der Krankenkassen. Durch ihn wird das Geld aus dem Gesundheitsfonds an die Krankenkassen verteilt. Fehlsteuerungen haben jedoch über Jahre hinweg zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen geführt, so dass einige Krankenkassen mehr aus dem Gesundheitsfonds erhalten, als sie zur Versorgung ihrer Versicherten benötigen, andere Krankenkassen, wie die Ersatzkassen, jedoch dafür zu wenig.
Die Spannbreite der Über- und Unterdeckungen liegt mittlerweile bei rund 2,5 Milliarden Euro — dies macht je Versicherten 109 Euro aus. Krankenkassen mit Unterdeckungen müssen die fehlenden Gelder durch höhere Zusatzbeiträge wieder hereinholen. Dies ist nicht länger hinzunehmen. Die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen ist deshalb eine dringliche Aufgabe der Großen Koalition.
Die paritätische Finanzierung soll wieder eingeführt werden. Wie zufrieden sind Sie mit der geplanten Ausgestaltung?
Neben dem allgemeinen Beitragssatz soll ab 2019 auch der bisherige Zusatzbeitragssatz (bislang alleine von den Arbeitnehmern getragen) von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hälftig finanziert werden.
Für die Versicherten führt das zu einer Entlastung von nahezu sieben Milliarden Euro im Jahr oder 0,45 Beitragssatzpunkten. Mit der Rückkehr zur Parität müssen in Zukunft nicht mehr allein die Versicherten die Kosten des medizinischen Fortschritts tragen. Die Lasten werden damit ein Stück gerechter verteilt.
Frau Elsner, vielen Dank für Ihre Einschätzungen.