Dr. Ralf Langejürgen begrüßt die Teilnehmer des Pflegeforums
Pflegeforum
Die Experten des Pflegeforums waren sich einig: Der wichtige Bereich der Altenpflege darf nicht zu einem schlichten Versorgungsproblem der kommenden Jahre und Jahrzehnte herabgewürdigt, sondern muss als zentrale gesellschaftspolitische und kulturelle Herausforderung erkannt und behandelt werden.
In seiner Begrüßung wies der Hauptgeschäftsführer der Hanns-Seidel-Stiftung Dr. Peter Witterauf darauf hin, dass sich die Stiftungsarbeit in den nächsten Jahren noch mehr darauf konzentrieren werde, ehrenamtliches Engagement zu stärken und die Bürger zu motivieren, mehr gesellschaftliche Verantwortung für die Schwächsten der Gesellschaft zu übernehmen.
Der Leiter der vdek-Landesvertretung Bayern, Dr. Ralf Langejürgen, bezifferte – angesichts der demographischen Entwicklung – den zusätzlichen jährlichen Bedarf an Pflegekräften auf zwei bis drei Prozent. Eine Herausforderung, die sich nur bewältigen lässt, wenn alle relevanten Akteure an einem Strang ziehen und sich in die Gesamtverantwortung nehmen lassen. Hauptziel muss es sein, die Gesellschaft als Ganzes für die Herausforderungen der Pflege von morgen zu sensibilisieren. Dabei gelte es, den Wünschen der Menschen, die der Pflege bedürfen, Rechnung zu tragen und Pflege im häuslichen Kontext und im regionalen bzw. lokalen Bezug individuell zu organisieren.
Melanie Huml: Attraktivität des Pflegeberufs erhöhen
Die Bayerische Staatsministerin für Gesundheit und Pflege, Melanie Huml, bewertete die Pflegethematik in ihrem Grußwort als eine der wichtigsten Herausforderungen der Zukunft. Bayern werde die kommunale Ebene bei ihren Bemühungen, die lokale Betreuung von Pflegebedürftigen weiter zu verbessern, nachhaltig unterstützen und alles tun, um politische Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Attraktivität des Pflegeberufs erhöhen. Zwar lassen sich immer mehr junge Menschen in den einschlägigen Pflegeberufen ausbilden, allerdings ist die Abbruchquote mit rund 30 Prozent immer noch zu hoch. Auch gelte es, die Pflegedokumentation zu reformieren.
Auch wenn Geld allein nicht pflegt, so ist mehr Geld für die Fortschreibung der Pflegereform notwendig. „Unsere Gesellschaft kann die demografischen Herausforderungen in der Pflege innerhalb des solidarisch finanzierten Systems stemmen. Sie muss es nur wollen". Diese Botschaft richtete Ulrike Elsner, die Vorstandsvorsitzende des vdek, an die Teilnehmer des hochkarätig besetzten Pflegeforums. Elsner machte damit deutlich, wie wichtig die Sicherstellung einer nachhaltigen, solidarischen Finanzierung für die Zukunft der sozialen Pflegeversicherung ist.
Ulrike Elsner: Keine Alternative zur solidarischen Beitragsfinanzierung
Zur solidarischen Beitragsfinanzierung sieht die vdek-Vorstandsvorsitzende keine praktikablen Alternativen. Kapitalgedeckte Lösungen, wie die Zusatzvorsorge beim "Pflege-Bahr", seien kaum geeignet, größere Finanzierungslücken zu schließen. Denn Geringverdiener könnten sich den Pflege-Bahr nicht leisten und für die Masse der sogenannten Babyboomer, die in zehn, fünfzehn Jahren in Rente gehen, käme er zu spät. Auch der im neuen Pflegestärkungsgesetz vorgesehene Pflegevorsorgefonds stelle keine Alternative dar, weil eine Nachhaltigkeitsreserve in dieser Form den Beitragsbedarf nur minimal abfedere. Außerdem sei der Fonds vor dem Zugriff des Staates nicht geschützt.
Elsner vertrat die Meinung, dass der Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung, der Ende dieser Legislaturperiode bei 2,55 Prozentpunkten liegen wird, auch in den nächsten Jahren moderat ansteigen müsse, wenn das heutige Niveau der Pflegeversicherung erhalten bleiben soll. "Die Leistungen der Pflegeversicherung müssen daher an eine gesamtwirtschaftliche Kenngröße wie beispielsweise die allgemeine Preissteigerung gekoppelt werden, damit es zu keiner schleichenden Entwertung kommt und die Pflegeversicherung nicht langsam erodiert", betonte die vdek-Vorstandsvorsitzende.
Prof. Thomas Klie: In Sorge um die Pflege
Der Hauptredner des Pflegeforums, Professor Thomas Klie von der Evangelischen Hochschule Freiburg stellte die Frage, wie das bewährte deutsche Modell der Pflegeversicherung zukunftsfähig gemacht werden könne. Dabei macht er sich vor allem Sorgen um die Sorgefähigkeit der Gesellschaft. Aktuelle Meinungsumfragen belegen die Ängste der Deutschen vor einer ausreichenden Unterstützung im Alter sowie die zunehmende Sorge, Würde und Personalität im Alter zu verlieren und der Gemeinschaft zur Last zu fallen. Die hohe demoskopisch messbare Zustimmung für den assistierten Suizid (Sterbehilfe) lässt sich zum Teil damit erklären. Es bedarf daher einer evolutionären Weiterentwicklung des Pflegesystems zu einer Anthropologie der Pflege, in der der zu Pflegende in der Mitte einer sorgenden Gesellschaft seinen Platz einnehmen darf.
Die zwei wichtigsten Säulen eines zukunftsfähigen Pflegesystems sieht Klie in der Entwicklung und Stärkung der sozialen Netzwerke und Teilhabeorientierung (Familie, Nachbarschaft, Kommune) und einer berufsrechtlich abgesicherten Konzeption der Fachpflege, in der auch Medizin und Therapie eingebunden sind. Ein Pflegestärkungsgesetz muss beide Säulen regeln und koordinieren können.
Experten des Pflegeforums sind sich einig: Die Altenpflege muss als zentrale gesellschaftspolitische und kulturelle Herausforderung behandelt werden
Das Thema Qualität der Pflege war eines der Hauptdiskussionspunkte der Podiumsdiskussion, an der Ulrike Elsner, der Leitende Ministerialrat Dr. Bernhard Opolony vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, der bayerische Landtagsabgeordnete und Patienten- und Pflegebeauftragte Hermann Imhof sowie Prof. Dr. Thomas Klie unter der fachkundigen Moderation von Nikolaus Nützel vom Bayerischen Rundfunk teilnahmen. Thematisiert wurden insbesondere die anhaltend hohen Aufwendungen für die Qualitätsdokumentation und damit verbundenen Bürokratielasten für die Pflegeeinrichtungen. Derzeit wird im Durchschnitt – trotz Entbürokratisierungsbemühungen – immer noch rund 10 Prozent der Arbeitszeit der Pflegekräfte für die Pflegedokumentation aufgewandt. Dabei ist zu hinterfragen, so die Meinung auf dem Podium, ob die Dokumentation wirklich die Pflegequalität zu verbessern helfe, oder sie nicht eher als betriebswirtschaftliches Instrument zur Erfassung von Leistungsnachweisen und Abrechnungsbelegen eingesetzt werde. Die Notenvergabe für Pflegeeinrichtungen alleine biete aktuell nach wie vor nicht genug Orientierung für Ratsuchende und Pflegebedürftige. Konsens bestand darin, in Zukunft das Selbstbewusstsein der Pflegekräfte noch nachhaltiger zu stärken und eine Dokumentation zu entwickeln, die sich auf die Feststellung der reinen Pflegequalität konzentriert. Alles was dem unmittelbaren pflegerischen Engagement dient, muss die meiste Wertschätzung erfahren.
Dr. Ralf Langejürgen, Staatsministerin Melanie Huml und Dr. Peter Witterauf (v.l.n.r.)