Neue Preise braucht das Land
Die Arzneimittelausgaben in der GKV steigen im langjährigen Mittel um etwa fünf Prozent pro Jahr und erreichten 2019 43,9 Milliarden Euro. Sie steigen damit schneller als die Einnahmen der GKV. Dieser Trend verstärkt sich immer mehr durch die extreme Steigerung der Kosten gerade für neu zugelassene Arzneimittel vor allem bei chronischen Erkrankungen, die über viele Jahre oder gar Jahrzehnte mit Arzneimitteln behandelt werden müssen. Dazu gehören neben onkologischen Erkrankungen auch Rheuma sowie neurologische Behandlungen wie Multiple Sklerose oder Stoffwechselstörungen.
Ein weiteres Risiko sind Lieferengpässe aufgrund von Logistik- oder Herstellungs-Problemen. Rabattausschreibungen im Mehrpartnermodell beugen diesen vor, weil die beteiligten Hersteller mehrjährige Planungssicherheit erhalten und das Risiko von Produktionsausfällen auf mehrere Schultern verteilt und dadurch vermieden werden kann.
Die Ersatzkassen fordern daher, ...
... dass die freie Preisbildung im ersten Verkaufsjahr neu zugelassener Arzneimittel entfällt. Bei der Markteinführung eines neuen Arzneimittels kann der Hersteller aktuell den Preis für maximal zwölf Monate frei festlegen. Der am Ende des Zulassungsprozesses, dem sogenannten AMNOG-Verfahren, zwischen Hersteller und GKV-Spitzenverband vereinbarte Erstattungsbetrag sollte dabei rückwirkend ab dem ersten Tag nach Markteintritt gelten. Dies verhindert Anreize für die Hersteller, im ersten Jahr besonders hohe Preise für neue Arzneimittel zu etablieren.
... bis zur o.g. Preisvereinbarung die Einführung eines vorläufigen Preises, der anhand nachprüfbarer Kriterien kalkuliert wird (z. B. in Höhe der Kosten für die zweckmäßige Vergleichstherapie). Dies sollte insbesondere für hochpreisige Arzneimittel gelten.
... dass eine verbindliche Obergrenze (z. B. ein maximal von der GKV zu zahlender Betrag pro Jahr oder Therapie) für einzelne Arzneimittel oder Arzneimittelgruppen sowie bezogen auf das Gesamtausgabenvolumen der GKV geschaffen wird.
... das Preismoratorium für Arzneimittel, das Ende 2022 auslaufen soll, zu entfristen und als dauerhaftes Preisregulierungsinstrument zu etablieren.
... in Zeiten von hoch spezialisierter und personalisierter Medizin Ansätze wie Zentrenbildung zu forcieren. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) sollten beispielsweise grundsätzlich nur in zertifizierten Spezialzentren erprobt werden dürfen. Hoch innovative Spezialmedikationen zielen auf einen eng abgegrenzten Bereich von Patientengruppen ab. Die ausschließliche Behandlung durch hierauf spezialisierte und erfahrene Ärzte würde die Therapie-/Patientensicherheit und deren Erfolg erhöhen und auch den sachgerechten Einsatz von GKV-Mitteln sicherstellen.
... dass das Problem der Arzneimittellieferengpässe entschieden angegangen wird. Dazu sollten Bevorratungspflichten für die Distributionsebene (Hersteller, Großhandel, Apotheken und Krankenhausapotheken) ausgeweitet, auf europäischer Ebene Depots eingerichtet und vernetzt, Kontroll- und Sanktionsmechanismen bei Verstößen verschärft und Anreize für mehr Produktionsstätten geschaffen werden. Zur Vermeidung von Lieferengpässen sollte bei Ausschreibungen das Mehrpartnermodell möglich sein, auf das die Ersatzkassen bereits seit Jahren setzen. Dadurch können bei Ausschreibungen bessere Versorgungs- und Lieferquoten erreicht und abgesichert werden, als mit reinen Exklusivverträgen.
... die Anforderungen an die Datenlage in den Zulassungsstudien nicht abzusenken. Auch in immer kleineren Patientengruppen in der personalisierten Medizin mit neuen Studiendesigns und Endpunkten muss der Goldstandard von randomisierten und kontrollierten Studienbedingungen eingehalten werden. Die beschleunigte Zulassung von Arzneimitteln bei unklarer Daten- und Studienlage muss im Sinne der Patientensicherheit die absolute Ausnahme sein. Auch solche Arzneimittel, wie z. B. Orphan-Drugs, müssen dann zumindest dem regulären Verfahren der frühen Nutzenbewertung und anschließender Verhandlung über den Erstattungsbetrag unterzogen werden.
... eine international engere Zusammenarbeit bei der Überwachung der Produktionsqualität von Arzneimitteln und deren Vorstufen.Die Europäische Kommission überprüft derzeit die bisherigen Regelungen für gute Herstellungspraxis und Umweltverträglichkeit im Rahmen ihrer Arzneimittelstrategie. Die gesetzlichen Krankenkassen unterstützen dieses Vorhaben auf EU-Ebene. Strenge Vorgaben sollten aus Sicht der Ersatzkassen international Schule machen.
... dass das Hilfsmittel-Ausschreibungsverbot zurückgenommen wird. Ein Hauptmerkmal der GKV ist die wirtschaftliche und medizinisch notwendige Versorgung ihrer Versicherten. Das Erfolgsmodell der Arzneimittel-Rabattverträge sollte auch im Hilfsmittelbereich voll zum Tragen kommen. Seit dem Ausschreibungsverbot für Hilfsmittel durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) ziehen sich die Verhandlungen aufgrund unrealistischer Preisforderungen der Hersteller über mehrere Monate hin. Die Forderungen liegen, mitunter 100 bis 200 Prozent über den vorherigen Preisen, dies ohne erkennbaren Grund! Eine Vertragsgestaltung per Ausschreibung würde wieder zu schnellen, bürokratiearmen Vertragsabschlüssen führen und eine gute Hilfsmittelversorgung gewährleisten.
... dass für den Bereich Heilmittel eine Preisbremse definiert wird. Die Heilmittel-Ausgaben der GKV haben sich von 2015 bis 2020 um über 68 Prozent erhöht. Weitere Vergütungs- und damit Ausgabensteigerungen werden sich aus den aktuell laufenden Vertragsverhandlungen noch für 2021 ergeben. Die bestehende Systematik zur Preisfindung steht im Gegensatz zur gesetzliche geregelten Beitragssatzstabilität und zum Wirtschaftlichkeitsgebot in der GKV. Wir fordern eine Preisbremse, die weitere Ausgabenexplosionen verhindert. Eine Rückkehr zur Preisbindung an die Entwicklung der Grundlohnsummensteigerung könnte hier ein gangbarer Weg sein.
... dass im Bereich der Fahrkosten weiterhin Selektivverträge der Krankenkassen mit einzelnen Anbietern zu regional üblichen Preisen möglich bleiben. Ziel muss auch hier eine qualitativ gute Versorgung unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots sein.