Fährt man von Hanau im Main-Kinzig-Kreis nach Rüdesheim im Rheingau-Taunus-Kreis, durchquert man auf der knapp 70 km langen Strecke sechs unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche für die Notrufnummer 112. Da auf dieser Strecke sechs Kreise bzw. kreisfreie Städte die Hoheit über die Gefahrenabwehr haben, gibt es dort auch sechs Rettungsleitstellen. Diese legen jeweils selbst ihre eigenen Einsatzregeln für die Rettungsfahrzeuge fest. Alarmierungsstichworte, die Art der Ausrüstung und auch die Handlungskompetenzen für das Rettungspersonal können sich daher unterscheiden. So kann es vorkommen, dass ein Notfallpatient oder eine Notfallpatientin im Bereich der einen Leitstelle eine Medikamentengabe durch die Notfallsanitäter erhalten darf, während dafür im Bereich einer anderen Leitstelle auf den Notarzt/die Notärztin gewartet werden muss.
Dass dies nicht zu einer einheitlichen Qualität der Versorgung der Patientinnen und Patienten führt, liegt auf der Hand. In Hessen definieren 25 Ärztliche Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) jeweils für ihren regionalen Zuständigkeitsbereich auch unterschiedliche Vorgaben für die Handlungsmöglichkeiten des Rettungspersonals.
Darüber hinaus ist die Vorhaltung von insgesamt 25 Rettungsleitstellen für 6,2 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner in Hessen weder technisch noch wirtschaftlich sinnvoll. Im Gegenteil: die kleinteiligen Strukturen verursachen z.B. erhebliche Rückstände bei der technischen Ausstattung der Leitstellen. So müssen die IT-Systeme in einigen hessischen Leitstellen vom Leitstellenpersonal während einsatzschwacher Zeiten selbst gepflegt werden. In modernen Großleitstellen, wie sie z.B. in Großbritannien seit über 20 Jahren bestehen, wird die Systempflege von eigenen Serviceabteilungen durch IT-Fachleute übernommen. Dies ist möglich, weil alleine durch die Größe der Leitstellen erhebliche wirtschaftliche Effizienzreserven erzielt werden können. Dies ist bei 25 Leitstellen, von denen einige wegen des geringen Notfallaufkommens auch tagsüber lediglich mit der vorgeschriebenen Mindestzahl von zwei Disponentinnen oder Disponenten besetzt sind, ausgeschlossen.
Schließlich steht auch die sektorenübergreifende Vernetzung der beteiligten Akteure erst am Anfang. Die meisten Rettungsleitstellen in Hessen haben derzeit keine Möglichkeit, ein nicht lebensbedrohliches Hilfeersuchen z.B. direkt und mit allen erhobenen Daten (z.B. Standort, Art des Hilfeersuchens) an die Dispositionszentrale der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen zu übergeben. In der Praxis wird der Disponent im Zweifelsfall eher ein Rettungsfahrzeug schicken, als den Anrufer auf die 116117 zu verweisen. Dabei besteht das Risiko, dass dieses Rettungsfahrzeug dann belegt ist, während es eigentlich für einen medizinischen Notfall benötigen würde. Letztendlich gefährdet diese fehlende Vernetzung Leben und Gesundheit von Menschen und blockiert dabei auch noch erhebliche Ressourcen und Beitragsgelder der Versicherten.