Dr. med. Björn Misselwitz ist Leiter der Geschäftsstelle der Landesarbeitsgemeinschaft Qualitätssicherung Hessen (LAGQH). Im Interview spricht er über die Arbeit der LAGQH im Allgemeinen und aktuelle Herausforderungen im Besonderen.
Deutschland hat einen sehr hohen Anspruch hinsichtlich seiner medizinischen Versorgungsqualität
Herr Dr. Misselwitz, das Coronavirus und das damit verbundene Krankheitsbild Covid-19 beschäftigen seit zweieinhalb Jahren das Gesundheitswesen in einem bis dahin ungeahnten Ausmaß. Welche Auswirkungen hat(te) die Corona-Pandemie für die externe Qualitätssicherung (QS) und die Arbeit der LAGQH?
Natürlich hat die Pandemie auch die externe Qualitätssicherung (QS) beeinflusst. Zum einen sind vor Ort-Begehungen zur Datenüberprüfung entfallen, zum anderen wurden zur Entlastung der Leistungserbringer diverse Abgabetermine verschoben sowie mögliche Sanktionen ausgesetzt.
Die zum Teil drastischen Fallzahleinbrüche bei planbaren Operationen konnten auch anhand der QS-Daten nachvollzogen werden, jedoch waren, zumindest bezüglich der uns zur Verfügung stehenden Zahlen, in der Pandemiezeit keine wesentlichen Verschlechterungen in der Versorgungsqualität zu verzeichnen.
Auch in der Geschäftsstelle konnten wir uns relativ schnell auf das mobile Arbeiten umstellen Die Gremiensitzungen sind kurzfristig auf Telefon- bzw. Videokonferenzen umgestellt worden. Zum Teil ist das, je nach Sitzungsinhalten und -länge, auch aktuell noch beibehalten worden.
Der Gesetzgeber hat den G-BA mit zahlreichen Aufgaben im Bereich der Qualitätssicherung betraut. Ziel ist eine qualitativ hochwertige Versorgung auf dem neuesten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse. Daher entwickelt der G-BA Vorgaben zur sektorenübergreifenden Qualitätssicherung, u. a. zur Struktur- und Prozessqualität, dem Qualitätsmanagement sowie zu themenspezifischen QS-Verfahren. Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung der Aufgaben(bereiche) ein?
Deutschland hat einen sehr hohen Anspruch hinsichtlich seiner hochwertigen und evidenzbasierten medizinischen Versorgungsqualität, jedoch wächst sowohl bei den ambulanten als auch bei den stationären Leistungsanbietern seit Jahren der ökonomische Druck.
Beide Aspekte spielen eine wichtige Rolle für die externe Qualitätssicherung. Um die kontinuierliche Weiterentwicklung der Versorgung auf Grundlage von Leitlinien überprüfen zu können, bieten sich im Besonderen Indikatoren zur Prozessqualität an, welche wiederum in der QS eingesetzt werden können. Auf der anderen Seite stehen Leistungsausweitungen ohne entsprechende Indikationsstellung. Auch hier kann die Qualitätssicherung in Zukunft einen wichtigen Beitrag leisten.
Die Nutzung weiterer Datenquellen, wie z.B. Abrechnungs- und Registerdaten oder Informationen aus Patientenbefragungen (s.u.), könnten hierbei in Zukunft von Bedeutung sein.
Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie diesbezüglich für die LAGQH?
Die breite Trägerschaft der LAGQH bietet die Chance einer zielführenden sektorübergreifenden Qualitätssicherung. Zum einen wird die ambulante und stationäre Versorgung über ein System qualitätsgesichert, d.h. mit einheitlichen Instrumenten und ggf. auch QS-Maßnahmen. Zum anderen können über sogenannte Follow-up Indikatoren auch Langzeitergebnisse erfasst werden, welche nicht nur das Ergebnis direkt nach Behandlung in der Praxis bzw. Entlassung aus dem Krankenhaus darstellen, sondern z.B. den Zustand 3 oder 6 Monate danach.
Herausfordernd sind nach wie vor die bundesweiten Rahmenbedingungen sowie die Zusammenarbeit mit den Strukturen auf Bundesebene. Die allgemeinen Regelungen durch den G-BA sind im Sinne einer bundesweit einheitlich funktionierenden QS absolut notwendig, zum Teil aber auch träge und unflexibel. Hier zeigen sich für Landesverfahren deutlich bessere Voraussetzungen. Die Arbeit der LAGQH ist stark abhängig von der Zuarbeit des Bundesinstituts (IQTIQ). Entsprechende Unzulänglichkeiten werden so zum Teil an die Leistungserbringer weitergegeben.
Größte Herausforderung ist es bei zunehmender Ergebnistransparenz den positiven Einfluss der Qualitätssicherung auf die Leistungserbringer und damit auch auf die Patientenversorgung aufrechtzuerhalten.
Als neues Instrument zur Bewertung der medizinischen Versorgungsqualität aus Patientenperspektive ist im Juli 2022 die erste Patientenbefragung des Qualitätssicherungsverfahrens „Perkutane Koronarintervention und Koronarangiographie“ (QS PCI) gestartet. Um was geht es bei dieser Patientenbefragung und welche Zielsetzung verfolgt sie?
Das schon länger bestehende QS-Verfahren PCI wird um Qualitätsindikatoren erweitert, die auf der Basis von Patientenbefragungen entwickelt wurden. Damit sollen Behandlungserfahrungen und -ergebnisse aus Sicht der Patientinnen und Patienten mit einer Herzkatheteruntersuchung, Stenteinlage oder Ballonerweiterung der Gefäße am Herzen erfasst werden. Dabei geht es nicht um eine subjektive Sicht auf die Zufriedenheit mit der Behandlung, sondern um konkrete, von den Patientinnen und Patienten beurteilbare Sachverhalte, wie etwa das Ausmaß an Beschwerden (z.B. Brustenge oder Luftnot) vor und nach dem Eingriff.
Damit wird die Patientenperspektive erstmalig im QS-Verfahren PCI Teil der gesetzlichen Qualitätssicherung und ergänzt somit die bisherigen Instrumente der Erhebung von QS- und Routinedaten. In Zukunft soll dieses neue Instrument auch in weiteren QS-Verfahren zur Anwendung kommen, so z.B. im Bereich der Gynäkologie oder auch bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Schizophrenie.
Wird jeder Patient und jede Patientin befragt? Ist eine Teilnahme für alle Patientinnen und Patienten verpflichtend?
Die Befragung richtet sich an erwachsene, gesetzlich krankenversicherte Patientinnen und Patienten, bei denen eine elektive oder akute Koronarangiographie und/oder perkutane Koronarintervention (PCI) als Indexeingriff durchgeführt wurde.
Bei Krankenhäusern und Arztpraxen (Leistungserbringer), die in einem Erfassungsjahr mehr als 200 Patientinnen und Patienten mit dem Indexeingriff behandeln, wird pro Einrichtung eine Zufallsstichprobe gezogen. Ansonsten werden alle entsprechenden Patientinnen und Patienten eines Leistungserbringers in die Befragung einbezogen.
Alle Leistungserbringer, die eine PCI oder Koronarangiographie durchführen, sind verpflichtet, für die Patientenbefragung monatlich die Adressen sowie einzelne behandlungsspezifische Daten der Patientinnen und Patienten zu übermitteln.
Für die Patientinnen und Patienten selbst ist die Teilnahme an der Patientenbefragung freiwillig, anonym und kostenlos.
Wann rechnen Sie mit ersten Ergebnissen, und was genau passiert dann damit?
Erste Ergebnisse sollen Ende Mai 2023 zur Verfügung stehen. Es wird sich dabei um 19 Qualitätsindikatoren handeln, die die Behandlungen von Patientinnen und Patienten im 2. Halbjahr 2022 betreffen. Diese Ergebnisse aus der Patientenbefragung werden gemeinsam mit allen anderen Indikatorergebnissen, die schon länger regelmäßig erhoben werden, den Leistungserbringern zur Verfügung gestellt. Bei auffälligen Abweichungen der Behandlungsqualität wird den entsprechenden Kliniken oder Praxen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, und es können bei Bedarf qualitätsverbessernde Maßnahmen eingeleitet werden (s.u.).
Wie können sich Patientinnen und Patienten genauer informieren?
Nach wie vor ist es für Patientinnen und Patienten und Angehörige nicht einfach, sich leistungserbringerbezogen über die Ergebnisse der ext. Qualitätssicherung zu informieren. Krankenhäuser müssen zwar seit vielen Jahren ihre Ergebnisse im Qualitätsbericht veröffentlichen, die Aufarbeitung dieser Ergebnisse auf den entsprechenden Internetseiten ist aber zumeist nicht nutzerfreundlich und zum Teil auch irreführend. Das Bundesinstitut plant ein bundesweites Qualitätsportal, welches hier in Zukunft Abhilfe schaffen soll.
Ein zentrales Element der externen Qualitätssicherung ist das Stellungnahmeverfahren. Es wird nach den Regelungen der Richtlinie zur datengestützten einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung (DeQS-RL) bei rechnerischen Auffälligkeiten eines Qualitätsindikators eingeleitet. Welche Ziele werden dabei verfolgt?
Ergebnisse aus der datengestützten QS geben bei auffälligen Ergebnissen nur einen Hinweis auf mögliche Qualitätsprobleme. Um herauszufinden, ob dahinter ein tatsächliches Behandlungsdefizit steckt, wird das Stellungnahmeverfahren durchgeführt. In diesen Fällen werden dann weitere Maßnahmen mit den Leistungserbringern vereinbart oder durchgeführt werden.
Wie ist der Ablauf? Gibt es Vor-Ort-Begehungen?
Wenn es im Rahmen des Stellungnahmeverfahrens klare Hinweise auf Struktur- und/oder Prozessmängel gibt, sind verschiedene QS-Maßnahmen vorgesehen. Zum einen können Teilnahmen an Fortbildungen, Fachgesprächen oder Qualitätszirkel vereinbart werden, zum anderen aber auch Audits oder Peer-Reviews vor Ort. Bei ausbleibendem Erfolg sind auch Vergütungsabschläge oder Entzug der Abrechnungsmöglichkeit vorgesehen.
Welcher Personenkreis ist beteiligt?
Von Seiten der Leistungserbringer die verantwortlichen Ärztinnen und Ärzte bzw. bei pflegerischen Leistungsbereichen die verantwortlichen Pflegerinnen und Pfleger, QM-Beauftragte und ggf. auch die Geschäftsführung, von Seiten der LAGQH Fachexpertinnen und -experten, Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter und abhängig vom Verfahren auch Vertreter der Selbstverwaltung bzw. des HMSI.
Vielen Dank.