Interview mit den Fachgruppensprecherinnen der Fachgruppe Ambulante Dienste im Paritätischen Wohlfahrtsverband Hessen

"Es ist für alle Einrichtungen schwierig, Mitarbeitende zu finden."

Sabine Eickmann und Ursula Ott sind Fachgruppensprecherinnen der Fachgruppe Ambulante Dienste im Paritätischen Wohlfahrtsverband Hessen. Im Interview sprechen sie über die gegenwärtigen Herausforderungen in der ambulanten Pflege und worin ihrer Meinung nach die größten Chancen für die zukünftige Entwicklung der ambulanten Pflege liegt.

Ambulante Pflegedienste stehen oft vor besonderen, oft personellen Herausforderungen. Wie schwierig ist es aktuell, qualifizierte Pflegekräfte zu finden, und welche Maßnahmen ergreifen Sie, um Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten?

Sabine Eickmann

Sabine Eickmann, Geschäftsführung, CBF Darmstadt e.V.:

Es ist nach unserer Einschätzung für alle Einrichtungen, die qualifizierte Pflegekräfte benötigen, schwierig, Mitarbeitende zu finden. Wir setzen auf „Mund zu Mund“-Empfehlungen von Mitarbeitenden, die schon bei uns arbeiten und Social Media benutzen.

Hier haben wir aktuell eine gezielte Kampagne zur Mitarbeitendenbindung, zahlen tarifliche Gehälter und bieten zusätzlich eine steuerfreie Sachbezugskarte an. Die Dienstpläne werden monatlich mit den Mitarbeitenden abgestimmt, so dass Beruf und Familie/Freizeit bestmöglich in Vereinbarung gebracht werden können.

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Ursula Ott, Fachbereichsleitung Ambulante Dienste, Frankfurter Verband für Alten- und Behindertenhilfe e.V.:

Wir unterstützen aktiv die Qualifizierung erfahrener Pflegehilfskräfte und bilden sowohl langjährige Mitarbeitende als auch Menschen, die neu im Beruf sind, zu Pflegefachleuten aus. Wir sind Partner verschiedener Pflegeschulen und bieten begleitete Praxiseinsätze in der Ambulanten Pflege an, die alle Auszubildenden in der Pflege absolvieren müssen. Leider müssen wir feststellen, dass durch die generalistische Ausbildung die Nachwuchskräfte nach Ausbildungsabschluss in die Krankenhäuser abwandern, so dass unsere Bemühungen hier derzeit wenig erfolgsbringend für unsere eigene Einrichtung sind.

Da viele Pflegebedürftige zu Hause versorgt werden, arbeiten ambulante Pflegedienste eng mit Angehörigen zusammen. Welche zusätzliche Unterstützung bräuchten pflegende Angehörige aus Ihrer Sicht, um langfristig eine gute Versorgung sicherzustellen?

Sabine Eickmann:  Wichtig ist es, den pflegenden Angehörigen Sicherheit in ihrer Situation zu geben. Das bedeutet einerseits eine Zuverlässigkeit durch den Träger, aber auch Unterstützung bei Fragen, z.B. rückenschonendes Arbeiten, Hilfsmittelberatung, Material das bei der Pflege benötigt wird und natürlich auch die Möglichkeit der „Auszeiten“. Manchmal auch einfach „nur“ ein offenes Ohr für Anliegen und Fragen.

Ursula Ott: Die Erfahrung zeigt, dass Entlastungsangebote zwar häufig gewünscht aber letztlich nicht angenommen werden, weil eine innere Verpflichtung die Annahme von Entlastung verhindert.

Welche digitalen Innovationen – z.B. elektronische Dokumentation, Telepflege und/oder smarte Assistenzsysteme – setzen Sie bereits ein, und wo sehen Sie das größte Potenzial für die Zukunft der ambulanten Pflege?

Sabine Eickmann:  Wir nutzen bereits ein digitales Dienstplanungs- und Abrechnungssystem und hoffen zeitnah auch die Leistungsdokumentation digital vor Ort bei den von uns betreuten Menschen anbieten zu können.

Ursula Ott: Im Frankfurter Verband erfolgt seit 2018 die gesamte Pflegeprozess- und Leistungsdokumentation digital. Vor Allem, dass die Prozessdokumentation in die mobilen Datenerfassungsgeräte gesprochen werden kann und nicht mehr schriftlich erledigt werden muss ist gerade für Mitarbeitende mit Migrationshintergrund eine ungeheure Erleichterung. Wir sehen z.B. ein großes Potenzial in der Leistungsplanung mit Unterstützung von KI, die Wegezeiten in Kombination mit den Wunscheinsatzzeiten der von uns Betreuten optimiert und dadurch die Zeiten verringert, die die Mitarbeitenden auf der Straße verbringen. Telepflege und smarte Assistenzsysteme werden in den kommenden Jahren sicher weiter an Bedeutung gewinnen, können jedoch nie den persönlichen Kontakt ersetzen. Telepflege oder smarte Assistenten sind für Menschen mit Behinderungen völlig ungeeignet, weil sie viel zu unpersönlich sind.

Im Gegensatz zu städtischen Ballungsräumen gibt es in ländlichen Gebieten öfter zu wenig ambulante Pflegedienste. Wie kann die Versorgungssituation in der Fläche verbessert werden?

Sabine Eickmann: Nach unserer Einschätzung fehlt oft die Zeit um die Menschen angemessen versorgen zu können. . Wenn Fahrtzeiten und Fahrtkosten besser vergütet würden, könnte das deutlich helfen. Auch die Finanzierung von Fahrzeugen wäre hilfreich da der ÖPNV dort oft nicht gut ausgebaut ist.

Ursula Ott: Mit den aktuellen Hausbesuchspauschalen ist eine Versorgung im ländlichen Bereich niemals wirtschaftlich zu erbringen. Hier müsste auf jeden Fall eine Nachbesserung erfolgen.

Welche Reformen sind aus Ihrer Sicht notwendig, damit die Versorgung und Unterstützung durch ambulante Pflegedienste in Hessen aufgewertet wird? Welche politischen Entscheidungen wünschen Sie sich?

Sabine Eickmann:  Eine erste Aufwertung hat durch die Verpflichtung einer tariflichen Vergütung stattgefunden. Aber was fehlt ist ein Vertrauen in die Träger, dass sie eine gute Arbeit machen! Dann könnte viel Bürokratie durch zu viel Kontrolle entfallen. Wenige „schwarze Schafe“ haben zu einem „Generalverdacht“ geführt, der absolut abwertend gegenüber den Trägern ist, die sorgfältig arbeiten und für die Pflegebedürftigen vor Ort da sein möchten. Stattdessen verbringt man endlos Zeit mit Anträgen, Dokumentationen, Abrechnung, neuen Richtlinien und Anforderungen, die unheimlich viel Zeit kosten, die man nicht den Menschen zukommen lassen kann. Von daher braucht es dringend einen Abbau der Bürokratie! Dazu sollten aber nicht wieder nur „Experten“ der Politik beraten, sondern die Träger befragt und eingebunden werden.

Ursula Ott: Um die Ambulante Pflege aufzuwerten, wäre neben dem Abbau der Bürokratie für die Dienste vor Allem auch eine Vereinfachung der Leistungen für die Pflegebedürftigen dringend erforderlich. Der Eintritt in Pflegebedürftigkeit stellt in der Regel eine Notsituation dar. Sich in dieser Situation mit den komplizierten Regelungen und verschiedenen Töpfen der Pflegeversicherung auseinandersetzen zu müssen ist unzumutbar.

Als politische Änderungen wünsche ich mir von ganzem Herzen die Altenpflege-Ausbildung zurück. Wenn die Abwanderung der Auszubildenden in die Krankenhäuser sich weiter so fortsetzt, wird es in absehbarer Zeit sehr eng werden in der ambulanten Pflege. Und dringend erforderlich wäre eine Neuregelung der Geldleistung, die aktuell so oft als zusätzliches Einkommen und Rentenaufbesserung und nicht als Entlohnung für Hilfestellungen genutzt wird.