Interview mit Richard Graubert

"Ein erster notwendiger Schritt wäre, die Pflege zu entbürokratisieren!"

Richard Graubert ist Vorstandsvorsitzender des Ambulanten Stationären PflegeVerbands Hessen e.V. und Leiter der Pflegestation Graubert. Im Interview spricht er über die gegenwärtigen Herausforderungen in der Pflege und worin seiner Meinung nach die größten Chancen für die zukünftige Entwicklung der stationären Pflege liegt.

Wie hat sich die Soziale Pflegeversicherung in seit ihrer Gründung vor 30 Jahren auf den Alltag in hessischen Pflegeheimen ausgewirkt? Welche Entwicklungen sehen Sie positiv, wo liegen die besonderen Herausforderungen?

Richard Graubert

Was sich äußerst positiv verändert hat, sind die Unterbringungsstandards in der Stationären Pflege von heute im Vergleich zu vor der Pflegeversicherung. Einbettzimmer und Nasszellen gehören zum Standard. Desweitern hat die Betreuung von Bewohnern in stationären Einrichtungen einen eigenen Stellenwert. Nicht mehr satt, sauber und warm, sondern die Wahrnehmung des Einzelnen sowohl mit seinen Ressourcen als auch Einschränkungen ist in den Pflegeleitbildern verankert.

Durch eine verbesserte ambulante Versorgung kommen die Menschen später in eine stationäre Einrichtung. Hier ist kritisch zu hinterfragen, ob die Zulassung von immer größeren Einrichtungen dem einzelnen Bewohner noch gerecht wird, der mit einem höheren Pflegebedarf und mit geringerer kognitiver Leistungsfähigkeit in die Einrichtung einzieht. Das Gefühl „hier bin ich Zuhause“ stellt sich dann seltener ein.  

Ein weiterer kritischer Punkt ist die Finanzierung der Heimkosten. Durch das „Tariftreue-Gesetz“ und die damit verbundene leistungsgerechte Bezahlung der Beschäftigten in der Pflege (was prinzipiell zu begrüßen ist) sind die Heimkosten drastisch gestiegen. Leider ist sowohl die Erstattung durch die Pflegeversicherung für die Bewohner als auch die Refinanzierung durch die Kostenträger für die Einrichtungen dem nur in Teilen gefolgt. In der Folge sind die Eigenanteile für die Bewohner exorbitant gestiegen. Zwar steigt bei Bewohner mit einem längeren Aufenthalt in stationären Einrichtungen die Erstattungsquote der Pflegekosten, dies federt aber erst spät die Eigenanteile ab. 

Eine klare Fehlentscheidung ist es die Pflegefachausbildung zum Teil über die Pflegekosten zu finanzieren. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe dafür zu sorgen, dass in Zukunft genug gut ausgebildete Pflegefachkräfte zur Verfügung stehen. Diese finanziellen Belastungen für den Heimbewohner und seine Angehörigen ist ein solidarischer Offenbarungseid. Außerdem ist dadurch ein nicht im Verhältnis stehender Verwaltungsaufwand entstanden, der sowohl zeitliche als auch finanzielle Ressourcen kostet, die an anderer Stelle viel besser investiert werden sollten.

Der Pflegeberuf leidet unter Personalmangel, auch in Hessen. Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um Pflegeberufe attraktiver zu machen? Wie tragen Sie bzw. Ihre Einrichtung dazu bei?

Ein erster notwendiger Schritt wäre die Pflege zu entbürokratisieren. Das heißt bei der Pflegequalitätskontrolle durch den MD auf das Ergebnis zu schauen und nicht auf überbordende Dokumentation. Es sollte die Ergebnisqualität festgelegt werden, aber nicht den Weg dorthin. Der Weg dorthin sollte nachvollziehbar sein, aber individuell von der Einrichtung festgelegt werden, abhängig von der Bewohnerstruktur und den regionalen Gegebenheiten. Dies würde sowohl eine erfahrbare Wertschätzung als auch eine Motivation für die Pflegefachkräfte sein, individuell auf den jeweiligen Bewohner einzugehen.

Ein weiter Punkt wäre die Entkriminalisierung in der ambulanten wie auch stationären Pflege. Qualitätskontrollen könnten bei einem guten Ergebnis der Prüfung auf alle zwei Jahre festgelegt werden. 

Unser Beitrag für die Gewinnung von Auszubildenden in der Pflege ist, dass wir eine Personalabdeckung zur Verfügung stellen, dass der Schüler auch begleitet und angelernt werden kann. Als komplexer Anbieter in der Pflege (Ambulante Pflege, Tagespflege und vollstationäre Pflege) bieten wir einen interessanten Mix an Einsatzstellen an. Während der Ausbildung sollte der Auszubildende das Handwerkzeug erlernen, mit spezifischen Belastungen in der Pflege umzugehen, damit er nach der Ausbildung gerne weiter in der Pflege arbeitet.

Immer mehr Menschen wollen zu Hause gepflegt werden, doch Pflegeheime bleiben unverzichtbar. Wie verändert sich die Rolle stationärer Einrichtungen und wie können sie sich zukunftsfest aufstellen (Stichworte: Prozessoptimierung, Digitalisierung u. ä.)?

Damit die Pflege von Menschen mit ihren verschiedenen Einschränkungen in Zukunft menschwürdig sichergestellt werden kann, bedarf es als erstes eine Ausrichtung und Zielsetzung auf den zu pflegenden und betreuenden Menschen. Hieran müssen sich sowohl die Pflegekonzepte (WG, stationäre Versorgung, betreutes Wohnen) als auch deren Zulassungsverfahren ausrichten.

Diese Zulassungsformen sollten auch das Ehrenamt in den Einrichtungen fördern. Wenn Menschen aus der Region Bewohner in den Einrichtungen besuchen, fühlt sich zu einem der Bewohner nicht abgeschoben und zum andern wird die Gesellschaft ihrer menschlichen Verantwortung gegenüber Menschen mit verschiedenen Einschränkungen gerecht.

Eine Prozessoptimierung mit Unterstützung durch digitale Dokumentation wird dann zu Entlastung führen, wenn nur das Nötigste dokumentiert werden muss. Die Notwendigkeit der Dokumentation sollte sich nach der notwendigen Weitergabe von Information von dem Bewohner und nicht nach Ausschluss von Haftungsansprüchen richten, die zurzeit einen zu großen Zeitrahmen in Anspruch nehmen. 

Wo stehen stationärer Pflegeeinrichtungen in 10 Jahren? Werden neue Konzepte wie z.B. Pflege-WGs oder hybride Versorgungsmodelle eine größere Rolle spielen, und welche Reformen sind aus Ihrer Sicht am dringendsten? 


Wir müssen neue Konzepte finden, wo der Mensch Unterstützung in Betreuung und Pflege braucht sowie Ziel unseres Denkens und Handelns ist. 

Um diesen Anspruch gerecht zu werden, brauchen wir Pflege- und Betreuungskonzepte, die durchlässig sind. Das heißt ein Angebot schaffen, wo ambulante Versorgung, betreutes Wohnen, WGs und Tagespflege unter einem Dach vereint sind. Dies würde zum einem innerhalb der Versorgungsbereiche zu weniger Bürokratie führen und zum anderem könnten die Menschen länger in ihrem sozialen Umfeld verbleiben. Des Weiteren muss sich die Wohnform nach dem Menschen und dessen sozialem Umfeld ausrichten. Ein solche Versorgungsform kann die Lebensqualität deutlich steigern, weil sie kleiner und regional verankert ist. Darüber hinaus wird sie auch Kosten einsparen können, sofern diese Wohnformen entbürokratisiert werden.