Interview mit PD Dr. Ana Paula Barreiros

PD Dr. Ana Paula Barreiros, Geschäftsführende Ärztin der Region Mitte der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO)

Organspenden können Leben retten – und doch bleibt die Bereitschaft in Deutschland und Hessen hinter den Möglichkeiten zurück. Wieso das so ist und welche Weichenstellungen die Zukunft beeinflussen können, erklärt PD Dr. Ana Paula Barreiros, Geschäftsführende Ärztin der Region Mitte der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO).

Sie sind geschäftsführende Ärztin der Region Mitte der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Was motiviert Sie persönlich jeden Tag bei der Arbeit für die Organspende in Deutschland?

Eine Organspende bedeutet die Lebensrettung von bis zu 8 Menschen, die zum Teil jahrelang auf ein Organ warten. Teil dieses Konzeptes zu sein und somit an der Rettung von Menschenleben beteiligt zu sein, ist für mit tagtäglich sinngebend.

Die DSO organisiert die Abläufe rund um Organspenden in Hessen. Wie genau koordiniert die DSO auch in Hessen die Zusammenarbeit zwischen Entnahmekrankenhäusern, Transplantationszentren und Eurotransplant?

Wie in allen anderen Regionen der DSO, sind wir für die Entnahmekrankenhäuser rund um die Uhr einsatzbereit, wenn diese Fragen zu einer möglichen Organspende haben oder eine Organspende stattfinden kann. Im Falle einer Spende fahren unsere Koordinatorinnen und Koordinatoren in die Kliniken und kümmern sich um alle Schritte, die für die Durchführung einer Organspende nötig sind. Dazu gehört u.a. die Meldung der zur Übertragung verfügbaren Organe und die Organisation der Transporte in die Transplantationszentren der jeweiligen Empfängerinnen und Empfänger. Zudem unterstützen wir die Kliniken auf Wunsch bei den Gesprächen und der Betreuung von Angehörigen. Auch nach einer Organspende können sich Angehörige mit Fragen jederzeit an uns wenden und an unseren Veranstaltungen für Familien von Organspendern teilnehmen.

Laut aktuellen Zahlen aus 2024 ist die Zahl der postmortalen Organspenderinnen und -spender in Hessen erneut leicht gestiegen. Können Sie diese Entwicklung einordnen – worauf führen Sie den Anstieg zurück?

Die Einflussfaktoren auf die Entwicklung der Organspendezahlen sind vielschichtig und so gibt es in allen Bundesländern jährliche Schwankungen. Dennoch verdankt sich jede realisierte Organspende dem Engagement der Mitarbeitenden auf der Intensivstation, die die Möglichkeit für eine Spende erkannt und sich mit der DSO in Verbindung gesetzt haben. Im letzten Jahr wurden in Hessen 88 Organspenden realisiert, was seit vielen Jahren die höchste Zahl darstellt. Entsprechend konnten mehr als 100 Patienten und Patientinnen, die auf der Warteliste auf ein Organ standen, geholfen und in den meisten Fällen sogar deren Leben gerettet werden. Man kann durchaus sagen, dass die hessischen Ärztinnen und Ärzte ein großes Engagement für die Organspende haben und dies ein wichtiger Faktor für dieses positive Ergebnis ist.

Wir als DSO engagieren uns im Rahmen unserer Möglichkeiten, die Kliniken für die Organspende zu sensibilisieren, zu schulen und im akuten Fall bestmöglich zu unterstützen.

Ebenso bedeutet jede Spende, dass es jemanden gab, der eine Einwilligung erteilt hat, Organe nach seinem Tod auf andere Menschen zu übertragen.  Nur in den seltensten Fällen, nämlich in ca. 15 Prozent, liegt diese Einwilligung vom Verstorbenen in schriftlicher Form vor. Meistens, in über 60 Prozent der Fälle, müssen Angehörige darüber verfügen, was eine schwere Entscheidung darstellt und nicht hoch genug gewertschätzt werden kann.

Die Organspende ist eine Gemeinschaftsaufgabe und somit auch ein Ergebnis von allen daran Beteiligten. Wichtig ist uns, dass jede Möglichkeit für eine Organspende erkannt wird. Denn zum einen sollte der Wille des Verstorbenen unbedingt umgesetzt werden und zum anderen sollte keine Chance übersehen werden, die für die Patienten und Patientinnen auf den Wartelisten überlebenswichtig sein können. Für diese Menschen zählt jedes einzelne Organ.

In Hessen stehen aktuell 627 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Wie groß ist das Missverhältnis zwischen Spenderorganen und wartenden Menschen und was tut die DSO, um dem entgegenzuwirken?

Unser großer Wunsch wäre es selbstverständlich, dass wir allen Menschen auf den Wartelisten schnellstmöglich mit einem passenden Organ helfen könnten, damit sie weiterleben können. Davon sind wir weit entfernt. Im vergangenen Jahr gab es in Hessen lediglich 95 Transplantationen nach postmortaler Spende.

Wir bieten den Entnahmekrankenhäusern jährlich zahlreiche Aus- und Fortbildungsveranstaltungen an, damit sie für die Aufgabe der Organspende möglichst gut vorbereitet sind und das Thema auch innerhalb der Stationen vermitteln können. Wir freuen uns über die große Resonanz auf diese Angebote. Vor allem bei den Pflegenden ist das Interesse an der Organspende sehr hoch.

Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, das Thema in unserer Gesellschaft immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, damit jeder eine persönliche Entscheidung zur Organspende trifft.

Umfragen belegen, dass die meisten Deutschen die Organspende positiv sehen, jedoch nur gut 40 Prozent einen Organspendeausweis haben. Wie könnte man Ihrer Meinung nach diese Diskrepanz verringern?

Die konkrete Auseinandersetzung mit dem Thema Organspende ist zwangsläufig mit der Beschäftigung mit dem eigenen Tod verbunden. Es ist etwas sehr Menschliches, dass wir uns mit diesen Fragen dann vielleicht doch nicht so gerne beschäftigen und somit auch die Entscheidung zur Organspende bzw. das Ausfüllen eines Organspendeausweises oder die Registrierung im Organspende-Register beiseiteschieben. Oft können im Moment der Entscheidung auch Fragen oder Zweifel auftauchen, die ebenso dazu führen können, dass man die Entscheidung erst einmal nicht trifft. Eine gute Aufklärungsarbeit ist daher besonders wichtig. Ebenso können bestimmte Anlässe wie das Gespräch mit dem Hausarzt oder der Hausärztin das Thema in den Fokus rücken und die Entscheidungsfindung unterstützten – auch unabhängig davon wie diese ausfällt. Nicht zuletzt wäre die Einführung der Widerspruchsregelung ein klares Signal, damit eine breit angelegte Information und Aufklärung der Bevölkerung stattfindet und die Menschen motiviert werden, ihre persönliche Entscheidung zu treffen. Sie tun dies übrigens auch im Sinne ihrer Angehörigen. Denn im Falle einer möglichen Organspende, werden sie in einer ohnehin sehr belastenden Situation um eine Entscheidung gebeten, wenn der Verstorbene seinen Willen zu Lebzeiten nicht dokumentiert oder geäußert hat.

In Deutschland wurde vor einiger Zeit intensiv über die Widerspruchslösung diskutiert. Die Gesetzesänderung wurde im Bundestag jedoch zugunsten der Entscheidungslösung abgelehnt. Halten Sie eine erneute politische Initiative für realistisch und wie sollte sie ausgestaltet sein, um breite Akzeptanz zu finden?

Wir hoffen, dass die Diskussion um die Widerspruchsregelung wieder aufgenommen wird. In der zuletzt geführten Anhörung im Gesundheitsausschuss wurde deutlich, dass die bisherigen Maßnahmen für mehr Organspenden nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt haben. Die Einführung einer Widerspruchsregelung braucht jedoch den Konsens in der Bevölkerung und dafür ist eine umfangreiche Aufklärung und Information der Menschen wichtig. Wir würden uns die Entwicklung hin zu einer Kultur der Organspende wünschen, bei welcher die Frage nach einer Organspende etwas ganz Normales ist.

In Spanien ist die Organspenderate etwa doppelt so hoch wie in Deutschland. Worin liegen die entscheidenden strukturellen Unterschiede und welche konkreten Reformansätze hält die DSO für Deutschland für sinnvoll?

In Spanien konzentriert sich die Organspende auf wenige große Krankenhäuser, für die mehrere Transplantationskoordinatoren zuständig sind. Die Organspende ist dort eine fest integrierte Aufgabe innerhalb der Kliniken und wird damit auch mehr als Selbstverständlichkeit aufgefasst. Dazu trägt vermutlich auch die dort geltende Widerspruchsregelung bei. Hierbei ist zu ergänzen, dass im Vorfeld einer Spende auch bei der geltenden Widerspruchsregelung Gespräche mit den Angehörigen stattfinden. Hinzu kommt, dass in Spanien eine Organspende nach Herz-Kreislauf-Tod möglich ist. Ein Großteil der Spenden, ca. 50 Prozent, findet auf dieser Grundlage statt, was ebenfalls zu dieser hohen Rate beiträgt. Die Organspende nach Herzkreislauf-Tod ist in Deutschland gesetzlich nicht erlaubt.

Die DSO begleitet auch Angehörige vor allem nach der Organspende. Wie kann man sich das vorstellen und warum ist das wichtig?

Die DSO bietet ihre Unterstützung auch vor einer Organspende an, um mögliche Fragen der Angehörigen zu klären und sie bei Bedarf bei der Entscheidungsfindung zu begleiten. Auch nach einer Organspende können Unsicherheiten auftreten und Angehörige müssen oft erst einmal einen Umgang mit ihrer Trauer finden. Da das Thema Organspende in unserer Gesellschaft immer noch verdrängt wird, ist es für viele Angehörige sehr wichtig sich ungezwungen und offen mit anderen Familien von Organspendern auszutauschen, da dies bei vielen nicht möglich ist. Auch der Kontakt zu Organempfängern, die ebenfalls an diesen Veranstaltungen teilnehmen, kann dazu beitragen, dass sich Angehörige in ihrer Entscheidung bestätigt und bestärkt fühlen und sehen, welch ein Glück ein einzelnes Spenderorgan für einen schwerkranken Patienten bedeuten kann. Ein persönliches Kennenlernen ist in Deutschland zwischen Organspenderfamilie und Organempfängern nicht möglich.

Zudem steht die DSO den Angehörigen auch immer noch für Fragen zur Verfügung, die vielleicht längere Zeit nach einer Spende aufkommen.

Abschließend mit Blick in die Zukunft: Wie wirkt sich die technologische Entwicklung etwa bei künstlichen Organen oder Organerhaltungsverfahren auf die Zukunft der Transplantationsmedizin aus? Wie könnte Künstliche Intelligenz konkret helfen, Spender zu finden und die Nachsorge von Organtransplantierten in den nächsten fünf bis zehn Jahren effizienter und noch sicherer zu gestalten?

Derzeit wird mit Methoden der Künstlichen Intelligenz insbesondere in den USA an einer Verbesserung der Regeln für die Organzuteilung gearbeitet, mit dem Ziel, dass die Organe nach der Transplantation möglichst lange und optimal im Spender arbeiten. So können die gewonnenen Lebensjahre gesteigert und etwaige Re-Transplantationen vermieden oder zumindest hinausgezögert werden. Voraussetzung dafür sind umfangreiche Datensammlungen zu Spendern, Empfängern und den Ergebnissen der Transplantation. Die Daten im deutschen Transplantationsregister sind leider noch nicht ausreichend, so dass wir zunächst noch auf die Erfahrungen aus anderen Ländern angewiesen sind.

Die Herstellung von bestimmten Geweben scheint in der Forschung in greifbarer Reichweite zu sein, die von ganzen Organen hingegen ist derzeit noch nicht absehbar. Im Bereich der Xenotransplantation sind mit der Transplantation von Schweineherzen und auch Schweinenieren erste Schritte gegangen worden. Allerdings haben diese Pioniereingriffe bisher keinen dauerhaften Erfolg gebracht.

Einen großen Mehrwert für die Organspende bietet aus unserer Sicht die Maschinenperfusion. Sie kann die Organkonservierung verbessern und somit zu einem größeren Transplantationserfolg beitragen. Zudem gibt es deutliche Hinweise, dass die Maschinenperfusion die Beurteilung der Organqualität verbessern kann und zudem das Potential besitzt, die Organqualität – ggf. durch Behandlung des Organs während der Perfusionsphase – zu optimieren. Im kommenden Jahr führt die DSO deutschlandweit die Maschinenperfusion für die Niere ein.