In Hessen wie auch in ganz Deutschland besteht erheblicher Optimierungsbedarf bei der Versorgung von Notfallpatientinnen und -patienten. Derzeit ist sie weniger am Patientenwohl ausgerichtet. Sektorale Grenzen sowie eine Vielzahl unterschiedlicher rechtlicher Zuständigkeiten und mitwirkender Akteure führen zu erheblichen Brüchen in der Versorgung. Warum ist das so und was lässt sich dagegen tun?
Auf der gestrigen Fachveranstaltung „Rettung in Not - Reformbedarf in der Notfallversorgung“ - Patientensicherheit statt Gefahrenabwehr - der vdek-Landesvertretung Hessen in Frankfurt wurden hierzu die zentralen Fragestellungen diskutiert: Wie kann eine Reform der Notfallversorgung die strukturellen Probleme lösen und damit auch der Überlastung des vorhandenen Personals und dem Fachkräftemangel entgegenwirken? Wieso konnten andere, ebenfalls föderal organisierte Länder bereits einheitliche und patientenorientierte Versorgungsstrukturen einführen? Wo bietet das SGB V einen Ansatz zur gesetzlichen Verankerung der vorliegenden Reformkonzepte in allen Sektoren der Notfallversorgung? Was hindert die Politik daran, diese aufzugreifen?
Nach einem Grußwort von Staatssekretärin Dr. Sonja Optendrenk, Hessisches Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege, machte Dr. Janosch Dahmen, Gesundheitspolitischer Sprecher, Bündnis90/Die Grünen, deutlich, wie die Notfallversorgung in Deutschland zukunftsfähiger aufgestellt werden kann: „Die notwendige Expertise liegt auf dem Tisch. Es geht jetzt für politische Verantwortliche in Bund und Ländern darum, diese in die Tat umzusetzen. Deutschland hat in der Notfallversorgung insbesondere im Rettungswesen genug Modellprojekte. Es geht jetzt darum, systematische, flächendeckende Lösungen durch gute Regulierung in die Tat umzusetzen und zur Regelversorgung zu machen. Dabei ist wichtig, dass die Lösungen, über die jetzt für die Zukunft der Notfallversorgung diskutiert werden, vom Patienten her gedacht werden“.
Hochkarätige Podiumsdiskussion
Im Anschluss an die Impulsvorträge von Christof Chwojka, Geschäftsführer der Björn-Steiger-Stiftung, und Prof. Ulrich Wenner, Vorsitzender Richter am BSG a.D., die die Thematik aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachteten, moderierte Florian Albert eine lebhafte Diskussion.
„Die Ausgaben für Rettungswagen sind in den letzten 10 Jahren um 161 Prozent auf über 4 Milliarden Euro gestiegen. Eine Reform der Notfallversorgung muss unbedingt mit einer Reform des Rettungsdienstes einhergehen,“ forderte Boris von Maydell, Abteilungsleiter Ambulante Versorgung des Verbands der Ersatzkassen e.V. (vdek). „Die geplante digitale Vernetzung der Leitstellen des Rettungsdienstes 112 und die des ärztlichen Bereitschaftsdienstes 116 117 ist zwingend erforderlich, aber sie reicht nicht aus. Es wäre wichtig, die heutigen Leitstellen zu Gesundheitsleitstellen auszubauen, von wo aus neben dem Rettungsdienst- oder Notarzteinsatz auch andere Versorgungsangebote, wie eine pflegerische Notfallversorgung oder der psychosoziale Notdienst, angesteuert werden können,“ so von Maydell weiter.
"Ziel ist, dass der Patient bekommt was er braucht, nicht was er gerne hätte …. und das beim „best point of service““, stellte Christof Chwojka, heraus. "Nicht der Laie muss wissen, wohin er sich mit einem Problem wenden soll, sondern sein Partner am anderen Ende der Telefon- oder Datenleitung muss die optimalen Antworten parat haben – und zwar standardisiert, qualitätsgesichert und nachvollziehbar“, so Chwojka weiter.
Prof. Ulrich Wenner erklärte: "Der Bund kann über seine Gesetzgebungskompetenz für die Sozialversicherung die Ansprüche der Versicherten auf Leistungen des Rettungsdienstes, die Anforderungen an die Qualität dieser Leistungen und den rechtlichen Rahmen für die Preisbildung regeln. Die Abgrenzung zur Zuständigkeit der Länder für die Organisation des Rettungsdienstes als Teil der Gefahrenabwehr ist nicht ganz einfach und kann verfassungsrechtliche Risiken mit sich bringen. Diese sind aber nicht größer als bei den aktuellen Gesetzesvorhaben des Bundes im Krankenhausbereich."
„Wir als KV haben uns auf die Fahnen geschrieben, Notfallversorgung in Hessen aktiv zu gestalten. Dazu gehören u. a. die “Gemeinsamen Tresen“ in den Kliniken Frankfurt-Höchst und Darmstadt sowie die Erprobung der Videosprechstunde im Kinderärztlichen Bereitschaftsdienst. Mit dem SaN-Projekt haben wir überdies bereits vor zwei Jahren ein deutschlandweit einzigartiges Modellprojekt zur sektorenübergreifenden ambulanten Notfallversorgung gestartet. Dabei setzen wir auf die Vernetzung von Rettungsdienst und ambulanter Versorgung. Soll heißen: Der Rettungsdienst fährt Patient:innen und Patienten, die keine Notfallversorgung im Krankenhaus benötigen, zur Versorgung in eine Arztpraxis oder ärztliche Bereitschaftsdienstzentrale. Diese Patientensteuerung schont Ressourcen und entlastet die Notaufnahmen“, sagte Armin Beck, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen.
Markus Müller, Geschäftsführer der DRK Rettungsdienst Mittelhessen gemeinnützige GmbH, betonte: "Gefahrenabwehr und Patientensicherheit stehen nicht im Widerspruch. Wir brauchen Mut zur Innovation, die tatsächlichen Bedürfnisse unserer Patienten in den Mittelpunkt zu stellen. Das Spektrum der möglichen Reaktionen auf Hilfeersuchen muss viel größer werden. Dazu müssen wir uns öffnen und vernetzen. Bei allen Veränderungen darf die Perspektive derer, die die Arbeit leisten, niemals aus dem Blick verloren werden. Die Arbeitswelt Rettungsdienst ist vielen Einflussgrößen ausgesetzt, die es unattraktiv für die Beschäftigten machen."
Dr. Ben Michael Risch, Referatsleiter Krankenhausplanung, Rettungsdienst und Digitalisierung im Gesundheitswesen im Hessischen Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege hieb hervor: „Es ist wichtig, dass wir die Notfallversorgung umfassend denken und nicht in eine sektorenspezifische Betrachtung zurückfallen. Das heißt: von den ambulanten Akutfällen über die stationäre Notfallversorgung bis hin zu Pandemie und Zivilschutz.“
Sektorale Grenzen verhindern passgenaue Versorgung der Patientinnen und Patienten
„Wichtig ist, dass bei einer Reform der Notfallversorgung gerade auch im Rettungsdienst darauf geachtet wird, dass die Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden und das Personal in der Notfallversorgung spürbar entlastet wird. Hier gebührt unser Dank all denjenigen, die an der Front in der Versorgung von Notfallpatientinnen und -patienten mit viel Engagement und trotz aller Widrigkeiten einen wirklich guten Job machen,“ erklärte Claudia Ackermann, Leiterin der vdek-Landesvertretung Hessen. „Trotzdem liegt einiges im Argen: Die aktuellen Strukturen mit ihren sektoralen Grenzen sowie unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen verhindern eine passgenaue, qualitätsgesicherte und effiziente Versorgung der Patientinnen und Patienten. Deshalb besteht in Hessen und darüber hinaus auch im internationalen Vergleich Aufholbedarf bei den genannten Strukturen. Dazu gehört u.a. die Einführung einer einheitlichen Bedarfsplanung über die Sektorengrenzen hinweg und die landesweite Modernisierung insb. der Leitstellenstrukturen“, so Ackermann weiter.
Hintergrund
Bei den Veranstaltungen der vdek-Landesvertretung Hessen treffen sich regelmäßig wichtige Player der hessischen Gesundheitswirtschaft, u.a. Vertreter:innen von Politik, Wirtschaft, Kommunen, Verbänden. Krankenkassen und deren Selbstverwaltung, (Zahn-)Ärzt:innen Vertreter:innen von Krankenhäusern und aus weiteren Gesundheitsberufen, um über aktuelle Themen der Gesundheitsversorgung zu diskutieren.
Am 21.05.2024 fand die Veranstaltung in der Evangelischen Akademie in Frankfurt statt. Die Podiumsdiskussion wurde via Livestream übertragen und ist auch als Mitschnitt auf dem YouTube-Kanal der vdek-Landesvertretung Hessen verfügbar.
Kontakt
Heike Kronenberg
Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek)
Landesvertretung Hessen
Tel.: 0 69 / 96 21 68 - 20
E-Mail: heike.kronenberg@vdek.com