Notfallversorgung: Es muss sich was ändern

Kommentar von Hanno Kummer, Leiter der vdek-Landesvertretung Niedersachsen

Eine funktionierende Notfallversorgung bedeutet, Menschen zu helfen, wenn sie Hilfe am dringendsten brauchen. Sie ist damit Kernversprechen eines Gesundheitswesens und auch Gradmesser für das Vertrauen, das Menschen in ihre Gesundheitsversorgung haben. Und dieses Vertrauen ist zuletzt deutlich gesunken, wie eine aktuelle Allensbach-Umfrage zeigt.

In Kernbereichen der Gesundheitsversorgung gibt es deutlich erkennbare und auch für die Menschen deutlich wahrnehmbare Defizite. Zu diesen Kernbereichen gehört die Notfallversorgung. Krankenhaus-Notaufnahmen sind überlastet, weil sie sich um Patientinnen und Patienten kümmern müssen, die nicht dorthin gehören. Das Bundesgesundheitsministerium geht davon aus, dass jeder dritte Patient einer Notaufnahme auch in einer Praxis hätte behandelt werden können. Das sind mehrere Millionen Fälle jährlich. Die Zahl der sogenannten Selbstvorsteller in den Notaufnahmen macht dort fast die Hälfte aller Fälle aus. Das ist ein deutlicher Indikator für eine fehlerhafte Inanspruchnahme.

Versorgungspfade definieren

Niemand macht sich absichtlich oder zumindest nicht aus bösem Willen auf den falschen Weg. Menschen, die nach fachlichem Verständnis keine Notfälle sind, kommen zu Fuß in die Notaufnahme, weil sie kein Vertrauen haben, kurzfristig einen Facharzttermin zu bekommen, weil sie die Terminservicestellen oder die 116117 nicht kennen oder aber dort nicht die erhoffte Hilfe erwarten.

Es muss deshalb der Anspruch sein, dass Versorgungspfade klar definiert werden, transparent sind und dann auch erfahrbar gut funktionieren. Dabei müssen die richtigen Hebel bewegt werden.

Sinnvoll sind vor allem die im Zuge der Notfallreform geplanten Integrierten Notfallzentren (INZ).  Hierbei wirken an Krankenhausstandorten die Notaufnahme, eine Notdienstpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und eine zentrale Ersteinschätzungsstelle zusammen. Damit besteht die Möglichkeit, Patientenströme effizienter in die jeweils passende Versorgungsebene zu leiten und die Notaufnahmen der Krankenhäuser deutlich zu entlasten.

Notdienst ausbauen

Die notdienstliche Versorgung der KV wird zudem deutlich ausgebaut. Für Akutfälle stehen 24/7 telemedizinische und aufsuchende Notdienste zur Verfügung, vermittelt durch eigens eingerichtete Akutleitstellen der KV. Das kann sowohl zu einer Entlastung der neuen Integrierten Notfallzentren als auch des Rettungsdienstes führen und ist deshalb vom Grundsatz her positiv.

Es ist klar, dass durch die Anforderung einer 24/7 aufsuchenden Versorgung erhebliche Kosten entstehen. Diese sind nur dann zu rechtfertigen, wenn parallel die Rettungsdienstleistungen auch wirklich zurückgehen.

Trotz grundsätzlich positiver Bewertung der Reform muss auch Wasser in den Wein gegossen werden.

Rettungsdienst einbinden

Bei der Reform der Notfallversorgung sind die niedergelassenen Ärzte und die Krankenhäuser eingebunden, aber nicht der Rettungsdienst.

Der Rettungsdienst gehört aber zwingend mit dazu, er ist inhärenter Teil der Notfallversorgung.

Das wird an einem Punkt besonders deutlich:

Die Einrichtung gemeinsamer Gesundheitsleitsysteme von Rettungsdienstträgern und Kassenärztlichen Vereinigungen ist eine Kernvoraussetzung für eine besser funktionierende, effiziente Notfallversorgung. Die geplante Vernetzung der KV-Akutleitstellen mit den Rettungsleitstellen ist daher ein richtiger Ansatz. Aber: Sie kommt nur auf Antrag des Trägers der Leitstelle, also nur dann, wenn der Landkreis oder die kreisfreie Stadt das möchte. Notwendig wäre eine Verpflichtung. Dafür hat der Bundesgesetzgeber aber bisher keine Kompetenz. Verpflichten kann der Bundesgesetzgeber hierbei nur die Kassenärztlichen Vereinigungen. Wir stehen damit vor dem Dilemma, dass es auch weiterhin zwei unverbunden nebeneinanderstehende Zugänge zur Notfallversorgung geben kann.

Konsequent wäre es, noch einen Schritt weiterzugehen und die Leitstellen zu umfassenden Gesundheitsleitstellen ausbauen. Diese wären dann zuständig für 1.) den Rettungsdienst, 2.) aufsuchende notdienstliche Versorgung und telemedizinische Beratung der KV sowie 3.) eine kompetente Gesundheitsberatung zu pflegerischer Notfallversorgung, ambulanter Palliativversorgung und Sozialdienst.

Weniger Leitstellen, dafür größere

Wie in den anderen Bereichen der Gesundheitsversorgung sollte es für den Rettungsdienst einheitliche Vorgaben zu Qualität und Wirtschaftlichkeit geben. Ein Beispiel: Die Regierungskommission empfiehlt für Leitstellen eine Richtzahl von einer Million Einwohner je Stelle, das wären 84 Leitstellen bundesweit. Heute haben wir 229 Leitstellen, fast drei Mal so viel. In Niedersachsen gibt es 29 Leitstellen für den Rettungsdienst, für Polizeieinsätze gibt es acht. Und diese 29 Rettungsleitstellen in Niedersachsen sind ein Flickenteppich: Während die größte Leitstelle für 1,2 Millionen Einwohner zuständig ist, sind die drei kleinsten jeweils für gerade mal 50.000 zuständig.

Mindestgrößen für Leitstellen sind erforderlich, um personell und technisch sicher und zukunftsfähig aufgestellt zu sein. Dies betrifft beispielsweise die Bewältigung von Personalausfällen, Fort- und Weiterbildung des Personals und die künftige Gewinnung von Fachpersonal. Größere Leitstelleneinheiten versprechen Vorteile in der Einsatzsteuerung und entsprechende Synergieeffekte, also mehr Qualität und Effizienz im Rettungsdient insgesamt.

Fazit: Die Reform verfolgt einen tendenziell richtigen Ansatz, aber keinen umfassenden, weil der Rettungsdienst nicht einbezogen wird. Am Ende wird die Reform ein Erfolg, wenn die Steuerung im Notfall tatsächlich und auch für die Menschen erfahrbar besser funktioniert als bisher.