Im Interview: Dr. Nadja Moreno

"Digitalisierung ist kein Allheilmittel gegen den Ärztemangel"

Dr. Nadja Moreno, Kassenärztliche Vereinigung

Dr. Nadja Moreno...

 

 

... ist Juristin und Leiterin der Abteilung Sicherstellung bei der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV RLP).

Wo liegen aktuelle und künftige Chancen bzw. Herausforderungen in der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung?

Die Gesundheitsversorgung ist und bleibt spannend. Wir stehen vor besonderen Herausforderungen. Ein stark zunehmender Arztzeit-Mangel trifft auf einen steigenden Behandlungsbedarf der Patientenschaft. Längere Wartezeiten auf Termine sind nur eine Folge davon. Diese Faktoren begegnen zudem unvorteilhaften Rahmenbedingungen, wie einer veralteten Bedarfsplanung oder der Budgetierung von Leistungen, die die Attraktivität einer Tätigkeit in der ambulanten Gesundheitsversorgung schmälern. Trotz der schwierigen Voraussetzungen bieten sich aber auch Chancen: Attraktive Weiterbildungsverbünde und flexible Arbeitsmodelle fördern die Gewinnung von qualifiziertem ärztlichem Nachwuchs und verbessern die Work-Life-Balance der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft. Insbesondere die intersektorale Zusammenarbeit zwischen stationär und ambulant bietet die Möglichkeit, die Behandlungsqualität weiter zu steigern. Die in den Praxen tätigen Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten haben das Know-how und die Stärke, eine entscheidende Rolle bei Reformvorhaben des Gesetzgebers zur Ambulantisierung einzunehmen. Hierzu ist erforderlich, dass deren Rolle erkannt und in die gesetzgeberischen Bestrebungen einbezogen wird. Wünschenswert ist ebenfalls, dass die Förderung der ärztlichen und psychotherapeutischen Weiterbildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen und nicht, wie bisher, durch die Honorare unserer Mitglieder getragen wird. Nicht zuletzt fördert die Kooperation mit Kommunen in Projekten, Veranstaltungen und Austauschen die Attraktivität des Arztberufes und kann überdies zur Lösungsfindung bei Versorgungsbrennpunkten beitragen.

Mit welchen Themen haben Sie schwerpunktmäßig tagtäglich zu tun?

Die Aufgaben der Abteilungsleitung Sicherstellung der KV RLP spielen sich im Wesentlichen auf drei Ebenen ab. Es gibt das Alltagsgeschäft, das es zu erledigen gilt, wie die Gremienarbeit, zum Beispiel die Organisation des Zulassungsausschusses, aber auch das Prüfen und Ausstellen von KV-Genehmigungen und der ständige Kontakt zu unseren Mitgliedern sowie zukünftigen Mitgliedern. Auf der zweiten Ebene kümmern wir uns um besondere Projekte zur nachhaltigen Sicherstellung der ambulanten Versorgung. Beispielsweise haben wir eine Kampagne zur Weiterbildung gestartet, installieren aktuell zwei Mobile Arztpraxen für Rheinland-Pfalz, die dann zum Einsatz kommen, wenn in der Allgemeinmedizin kurzfristig Arztpraxen schließen und für Patientinnen und Patienten ein Versorgungsengpass entsteht. Auf der dritten Ebene geht es ganz konkret um diese akuten Versorgungsbrennpunkte. In diesen Fällen bildet die kontinuierliche Versorgung der Patientenschaft den Mittelpunkt unserer Bestrebungen ab. Hier ist schnelles Handeln auf verschiedenen Ebenen gefragt.

Wie soll die Rolle der vertragsärztlichen Versorgung bzw. der KV RLP in der zukünftigen Gesundheitsversorgung aussehen (Stichpunkte Regionale Gesundheitszentren RGZ, Ambulantisierung und Reform der Notfallversorgung)?

Wir befinden uns aktuell in einer Situation, in der wegweisende Reformen dringend notwendig sind. Immer weniger Arztzeit, immer mehr Bürokratie, fehlender Nachwuchs, die längst überfällige Entbudgetierung etc. zeigen uns, dass es so nicht weitergehen kann. Die Ambulantisierung ist einer von vielen wichtigen Schritten, die nun umgesetzt werden muss. Aber das geht nur, wenn die Praxen eng eingebunden werden und dies ohne zusätzlichen Bürokratieaufwand geschieht, sodass die Entscheidung, ambulant tätig zu sein, beim medizinischen Nachwuchs an Attraktivität gewinnt. Die KV RLP fordert die Politik auf, mehr Tempo und Mut aufzubringen, um die Ambulantisierung voranzubringen. Die Ambulantisierung hat das Potenzial, begrenzte Ressourcen effizienter zu nutzen, wie eine verbesserte Ausrichtung personeller Kräfte im Interesse der Patientenschaft. Dabei ist aber immer stets zu beachten, dass sektorenübergreifende Versorgung keine Einbahnstraße ist. Auch eine Notfallreform ist notwendig. Die kürzlich von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorgelegten Eckpunkte enthalten einige gute Ansätze. Sie müssen jedoch finanzierbar und die aktuellen Gegebenheiten in den Praxen im Blick haben.

Digitalisierung als Allheilmittel? Wo braucht es aus Ihrer Sicht weiter den Arzt vor Ort? Wo sind derzeit noch die (notwendigen) Grenzen bei der Digitalisierung?

Die Digitalisierung muss die Arbeitsabläufe in den Praxen sinnvoll ergänzen, sodass mehr Zeit für Diagnostik und Behandlung bleibt. Die Notwendigkeit und die Chancen der Digitalisierung sind völlig unbestritten. Eines ist jedoch wichtig: Sie muss reibungslos funktionieren. Die Praxen sind kein Testlabor für Anwendungen der Telematikinfrastruktur. Diese dürfen erst dann zwingend eingeführt werden, wenn sie reibungslos funktionieren. Entscheidend ist, dass die Qualität passt und die Arzt-Patienten-Beziehung nicht darunter leidet. Insgesamt wird die Digitalisierung in Zukunft eine noch größere Rolle spielen – sie ist jedoch nicht das Allheilmittel gegen den Ärztemangel.

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