Im Interview: Dr. Markus Mai

"Der Pflegeberuf sollte als Alternative zum Medizin- oder Psychologiestudium positioniert werden"

Dr. Markus Mai, Pflegekammer RLP

Dr. Markus Mai...

 

 

... ist ausgebildeter Krankenpfleger, Pflegewissenschaftler und Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz.

Wo liegen aktuelle und künftige Chancen bzw. Herausforderungen in der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung?

Herausforderungen:

  • Die demografische Entwicklung führt zu einem Anstieg pflegebedürftiger Menschen, sowohl aufgrund einer größeren Gesamtbevölkerung als auch durch medizinischen Fortschritt mit komplexeren Pflegebedarfen.
  • Veränderungen in der Familienentwicklung, wie der Rückgang der traditionellen Kernfamilie und die Zunahme von Single-Haushalten beeinflussen die verfügbaren Pflegeunterstützungssysteme.
  • Klimaveränderungen wirken sich auf die Gesundheit und Lebensverhältnisse aus, wodurch Katastrophen- und Infektionsschutz an Bedeutung gewinnen.
  • Zunehmende Verknappung der zur Verfügung stehenden Mittel bzw. steigende Kosten in der noch nicht angemessenen Versorgung.

Chancen:

  • Die demografische Entwicklung zwingt zu technischen, medizinischen und gesellschaftlichen Innovationen in der Pflege.
  • Veränderungen in den Familienstrukturen erfordern eine Weiterentwicklung der Pflege, um individuelle Pflege in allen Lebenssituationen zu ermöglichen.
  • Die Klimadiskussion könnte zu einer umweltfreundlicheren Infrastruktur führen, die die Teilhabe von Menschen mit Pflegebedarf am gesellschaftlichen Leben erleichtert.

Warum bleibt die Pflege bei den Diskussionen um die sektorenübergreifende Versorgung oft unbeachtet? Warum ist das vielleicht auch ein Fehler?

Diskussionen in der Gesundheitspolitik fokussieren sich häufig auf akute medizinische Versorgung, vernachlässigen jedoch langfristige Pflegebedarfe. Pflege wird als Kostenfaktor betrachtet und nicht als eigenständiger Behandlungsbereich im gesamten Versorgungsprozess. Sie hat die größte Nähe zu den Menschen mit Pflegebedarf und fungiert als wichtige Schnittstelle zwischen verschiedenen Sektoren. Pflege ist entscheidend für die Informationsübertragung und kann Versorgungseinbrüche verhindern.

Was können wir tun, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen? Wie gewinnen wir mehr Fachkräfte? Thema Delegation/Substitution (Arbeitsteilung in der Medizin) – wie kann man das Thema voranbringen, ohne eine politische Debatte mit den Ärzten zu führen?

Pflege sollte nicht nur auf Verrichtungen reduziert werden, sondern mehr Eigenverantwortlichkeit ermöglichen. Der Pflegeberuf sollte als Alternative zum Medizin- oder Psychologiestudium positioniert werden, um auch Abiturienten anzusprechen. Delegation/Substitution erfordert eine politische Debatte, um Pflegefachpersonen mehr Handlungsspielraum zu geben, ohne eine Konfrontation mit Ärzten zu suchen. Der Bundesgesetzgeber muss ggf. auch gegen Widerstände einzelner Gruppen den Mut haben, die Heilkundeübertragung an Pflegefachpersonen im Sinne einer verbesserten Versorgung der betroffenen Bürger zu etablieren, wie das auch schon fast überall auf der Welt passiert.

Welche Chancen bietet die Digitalisierung für die Pflege?

Die Digitalisierung stärkt die Autonomie von Menschen mit Pflegebedarf durch Überwachung von Symptomen und dem selbstständigeren Umgang mit chronischen Erkrankungen. Virtuelle Kontakte zu Pflegefachpersonen und Ärzten über Videosprechstunden ermöglichen eine effektive Kommunikation über große Entfernungen. Digitalisierung erleichtert bürokratische Abläufe, Dokumentation und bietet Chancen für Wissenschaft und Forschung in der Pflege. Pflegeplanung wird durch digitale Tools und auch durch KI unterstützt, was eine effizientere Analyse im Pflegeprozess ermöglicht.

 

  1. Ersatzkassenforum 2023 RLP-SL: Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des vdek, stellt die Vorschläge der Ersatzkassen für eine moderne Gesundheitsversorgung vor.
    Ersatzkassenforum der Landesvertretungen Rheinland-Pfalz und Saarland

    Stadt, Land, Dorf – wie gelingt eine gute zukünftige Gesundheitsversorgung?

    Moderne, bezahlbare und zukunftsfeste Strukturen in der Gesundheitsversorgung und in der Pflege – das ist etwas, was wir uns alle wünschen und unter dem doch jeder etwas anderes versteht. Dass Strukturen angepasst werden müssen, ist angesichts des demografischen Wandels, dem Mangel an Fachkräften und knapper finanzieller Ressourcen mittlerweile unstrittig. Aber wie kann das gelingen in Stadt, Land und Dorf? Und wo bleibt bei allen Überlegungen eigentlich die Patientin bzw. der Patient? » Lesen