Interview mit Prof. Dr. Michael Isfort, stellv. Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung e.V. (DIP) sowie Prof. für Pflegewissenschaft und Versorgungsforschung bei der Katholischen Hochschule in Köln
Über 20 Jahre betrachten Sie die Pflege nun aus wissenschaftlicher Sicht. Was stößt Ihnen am meisten auf?
Pfleger:innen bilden mit insgesamt 1,1 Millionen Beschäftigten die größte Berufsgruppe in der Versorgung, werden aber oft nach Sektoren getrennt betrachtet, also zum Beispiel Pflegefachkräfte in der Altenpflege oder isoliert das Personal im Krankenhaus. Es gibt keine verbundenen Datenbestände, die ein deutschlandweites Bild über die Berufsgruppe und die Versorgungsleistungen zulassen. Das DIP versucht daher alle Zahlen rund um die Pflege zu bündeln und so eine ganzheitliche Betrachtung aus der Perspektive der Versorgungssicherung älterer Menschen in Regionen und kommunalen Räumen zu ermöglichen.
Warum brauchen wir Zahlen zur Pflege?
Wenn wir die Pflege zukunftssicher gestalten wollen, dann müssen wir einerseits mehr über die Qualifizierung, die Mobilität, die Berufseinmündung und den Berufsverbleib Pflegender wissen und andererseits quantifizieren, wo in welcher Intensität pflegerische Versorgung benötigt wird.
Wenn wir also zum Beispiel wissen, wie alt die Pflegekräfte sind und wie weit sie zur Arbeit fahren, dann können wir in Modellen berechnen, wann und wie viele Pfleger:innen in einer Region in Rente gehen, wie viele Nachwuchskräfte vor Ort benötigt werden und in welchen Gebieten der Bau von Pflegeeinrichtungen überhaupt Sinn ergibt.
Wenn wir andererseits über die Pflegebedürftigen herausfinden, wo sie wohnen und wann sie sich voraussichtlich für ein Pflegeheim entscheiden, dann können wir berechnen, wo ein Pflegeheim gebraucht wird. Beide Analysen muss man dann zusammenführen, um einschätzen zu können, ob eine regionale Versorgung gewährleistet werden kann.
Was sind für Sie die derzeit wichtigsten Themen Ihrer Pflegeforschung?
Mit den Informationen, die uns vorliegen, konnten wir kursierende Mythen widerlegen. Mythos Nummer eins: Viele Pflegekräfte bleiben nicht lange in ihrem Beruf. 35 Prozent aller Pflegekräfte sind über 50 Jahre alt und damit schon sehr lange im Beruf. Mythos Nummer zwei: Es gibt immer weniger Fachkräfte. Wir stellen im Gegenteil in den letzten Jahren einen Anstieg an Beschäftigten sowie an Auszubildenden fest. Fakt ist aber auch, dass zahlreiche Pflegefachkräfte in Deutschland in den nächsten Jahren in Rente gehen. Da der Bedarf an Pflegekräften steigt, auch bedingt durch den demographischen Wandel der Bevölkerung, brauchen wir auch mehr Pflegekräfte. Hier gilt es also ein drohendes Delta zu schließen. Dieses aber ist nicht gleich verteilt oder in Deutschland überall gleich groß - unsere Analysen zeigen, dass wir sehr unterschiedliche Ausprägungen in Bundesländern und in Regionen haben.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen in der Pflege?
Wir sollten nicht davon ausgehen, dass der Markt die pflegerische Versorgung regelt oder koordiniert. Unserer Einschätzung nach ist kurz- und mittelfristig das Maximum an Versorgung erreicht - ein „Mehr“ wird es nicht geben- es braucht ein mutiges „Anders“. Die Versorgung muss daher aktiv gestaltet und politisch gelenkt werden, damit sie zukunftssicher ist. So gilt es dringend die Akteur:innen in der Pflege regional zu vernetzen und die Kommunen müssen sich dem Thema der Versorgungssicherung zuwenden. Zahlreiche Reformen, die angestoßen werden, versuchen das System zu stützen und zu erhalten - das ist nicht grundsätzlich falsch, geht aber eben nicht an die Ursache und die lautet: das Wachstum stößt an seine Grenzen.
Vielen Dank für das Gespräch.