Am Mittwoch, den 27. November 2024, lud die vdek-Landesvertretung Sachsen-Anhalt zum Fachgespräch „Ein Sprung in die Zukunft: Der digitale Rettungsdienst und die Rolle des Telenotarztes“ ein. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Einführung des Telenotarztes in Sachsen-Anhalt. Dieses Modell, das in den Städten Halle (Saale), dem Saalekreis und dem Landkreis Mansfeld-Südharz getestet wird, soll die notärztliche Versorgung entlasten, schnellere und gezieltere Hilfe ermöglichen und langfristig auch Kosten senken. Sollte das Pilotprojekt erfolgreich verlaufen, könnte eine flächendeckende Einführung in Sachsen-Anhalt folgen.
IVENA in Hessen: Vorbild für Sachsen-Anhalt?
Ein wichtiger Bestandteil der Diskussion war die Rolle von IVENA (Interdisziplinärer Versorgungsnachweis), das 2013 in Hessen eingeführt wurde und als Vorbild für Sachsen-Anhalt dienen könnte. Hans Georg Jung, freiberuflicher Experte für IVENA, erläuterte: „IVENA trägt wesentlich zur Qualität und Effizienz der Patientenversorgung bei, da alle hessischen Plan-Krankenhäuser nach Notfallstufen und Fachgebieten abgebildet sind.“ Die Plattform vernetzt alle 23 hessischen Leitstellen und ermöglicht eine präzise regionale und überregionale Zuweisung von Patienten. Bereits vor dem Eintreffen des Patienten im Krankenhaus können diagnostische und therapeutische Daten übermittelt werden, was die Versorgungszeiten optimiert.
Einheitliche Standards und Digitalisierung im Rettungsdienst Sachsen-Anhalts
Tobias Niemann, Leiter Rettungsdienst beim Malteser Hilfsdienst Magdeburg, betonte die Notwendigkeit einer landesweit einheitlichen Umsetzung von Standardarbeitsanweisungen und Behandlungspfaden im Rettungsdienst. „Wir brauchen eine landesweit einheitliche Umsetzung der Standardarbeitsanweisungen und Behandlungspfade im Rettungsdienst, damit Algorithmen vergleichbar und Standards durchgängig implementiert werden“, sagte Niemann. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Forderungen war die flächendeckende Digitalisierung des Rettungsdienstes: „Die Einführung einer landesweiten digitalen Einsatzdokumentation sowie die Echtzeit-Datenübertragung sind längst überfällig“, so Niemann.
Er ging auch auf die kontinuierliche Weiterentwicklung von IVENA ein und erklärte: „Die Integration von Echtzeitdaten ist essenziell, um eine präzise und aktuelle Übersicht über die Ressourcenverfügbarkeit zu gewährleisten.“
Telenotarzt und Integrierte Kreisleitstellen
Dr. Karsten zur Nieden, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst der Stadt Halle (Saale), erklärte, dass der Telenotarzt im Rettungsdienstgesetz des Landes Sachsen-Anhalt derzeit noch nicht verankert sei und nur im Rahmen der Experimentierklausel (§ 49a RettDG LSA) getestet werde. Langfristig solle der Telenotarzt jedoch als fester Bestandteil des Rettungsdienstes ins Gesetz aufgenommen werden. „Ein Telenotarzt kann bei Einsätzen, die vor allem ärztliche Entscheidungs- oder Beratungskompetenz erfordern, den Notarzt ersetzen. Bei akuten Lebensgefahren bleibt jedoch ein Notarzt vor Ort unverzichtbar“, so Dr. zur Nieden. Er erwartet langfristig einen Rückgang der Notarzteinsätze durch die Einführung des Telenotarztes: „Es ist mit einem Rückgang der NEF-Einsätze zu rechnen, der in anderen Regionen mit etwa 20 Prozent kalkuliert wird.“
Für Götz Ulrich, Präsident des Landkreistages Sachsen-Anhalt und Landrat des Burgenlandkreises, können Elemente wie der Telenotarzt die Qualität im Rettungsdienst erhöhen, Notarzteinsatzfahrzeuge jedoch nicht ersetzen. Die Digitalisierung bietet große Chancen für die Integrierten Kreisleitstellen. „Es bedarf jedoch einer über Ländergrenzen hinausgehenden Kooperation“, so Ulrich. Die Integrierten Kreisleitstellen sind unverzichtbar für die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr, insbesondere in Krisenzeiten. „Sie sind die koordinierende Einsatzzentrale für Rettungsdienst, Brandschutz, Katastrophen- und Zivilschutz und rund um die Uhr erreichbar“, betont Ulrich. Dabei ist der Grundsatz „Ein Landkreis, eine Leitstelle“ vor allem für den Zivilschutz von zentraler Bedeutung.
Herausforderungen und politische Perspektiven
Die politischen Vertreter zeigten sich einig, dass digitale Innovationen wie der Telenotarzt und IVENA das Potenzial haben, die Effizienz und Qualität der Notfallversorgung zu steigern, aber es gab unterschiedliche Auffassungen zur Umsetzung. Tobias Krull (CDU) hob hervor: „Die neuen technischen Möglichkeiten zur Verbesserung der Notfallversorgung sollten bei der nächsten Überarbeitung des Rettungsdienstgesetzes dauerhaft eingearbeitet werden.“ Andreas Henke (Die Linke) betonte, dass der Telenotarzt eine Unterstützung sei, aber keinesfalls den menschlichen Kontakt in der Notfallversorgung ersetzen dürfe. „Die Vernetzung des vertragsärztlichen Notdienstes, der Notaufnahmen der Krankenhäuser und der Rettungsdienste muss zwingend besser werden“, sagte Henke.
Rüdiger Erben (SPD) begrüßte die Experimentierklausel im RettDG LSA, forderte jedoch eine detailliertere Umsetzung: „Die Abläufe in der Landesregierung in den letzten drei Jahren schließen es aus, dass der darin festgelegte ‚Fahrplan‘ eingehalten wird“, erklärte er.
Konstantin Pott (FDP) unterstrich die Bedeutung der Digitalisierung im Rettungswesen: „Wir brauchen einen Fokus auf die Digitalisierung und die daraus erwachsenden Möglichkeiten“, sagte er und sprach sich für die landesweite Einführung einer smartphonebasierten Ersthelfer-Alarmierung aus.
Sebastian Striegel (Bündnis 90/Die Grünen) mahnte zur Geduld bei der Bewertung des Telenotarztes und forderte eine dezentrale Planung des Rettungsdienstes: „Wenn wir über den Rettungsdienst sprechen, sollten wir nicht vom fernen Magdeburger Tisch aus die großen Strukturfragen bewegen“, sagte Striegel.
Fazit
Die Veranstaltung verdeutlichte die unterschiedlichen Perspektiven und die Komplexität der geplanten Änderungen im Rettungsdienst. Alle politischen Akteure erkannten das Potenzial digitaler Innovationen wie des Telenotarztes und des IVENA-Systems, jedoch sind noch viele Fragen zu klären, etwa hinsichtlich Datenschutz, der Integration in die bestehende Struktur und der notwendigen rechtlichen Anpassungen. Es bleibt abzuwarten, wie die nächsten Schritte zur Digitalisierung und Vernetzung im Rettungswesen konkret umgesetzt werden. Der Wandel wird nur schrittweise erfolgen und erfordert eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten, um eine effiziente und gerechte Versorgung zu gewährleisten.