PD Dr. med. habil. Matthias Gründling
Qualitätsmanagementprojekt SepsisDialog
Universitätsmedizin Greifswald
Klinik für Anästhesiologie
Anästhesie, Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin
"Könnte es Sepsis sein?" – Eine so einfache Frage, die aber enorme Wirkung entfalten kann. Denn sie kann Leben retten.
Seit mehr als einem Jahrzehnt sind engagierte Medizinerinnen und Mediziner der Universitätsmedizin Greifwald forschend wie praktisch damit beschäftigt, einen Baustein beizutragen, Sepsis bekannter zu machen. Das Ziel: Die sepsisbezogene Sterblichkeit in Deutschland zu verringern. Denn mehr als 75.000 Sepsis-Tote in jedem Jahr sind eindeutig zu viele.
Ebenso wie der vdek und die Ersatzkassen, engagiert sich der SepsisDialog der Universitätsmedizin Greifswald im Projekt "Deutschland erkennt Sepsis". Wir hatten die Möglichkeit eines kurzen Gesprächs mit Dr. Matthias Gründling vom SepsisDialog.
Qualitätsmanagementprojekt SepsisDialog
Universitätsmedizin Greifswald
Klinik für Anästhesiologie
Anästhesie, Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin
Dr. Gründling: Ein wesentlicher Grund für mein und unser Engagement ist die Realität, die wir tagtäglich vor Augen haben. Ich bin Intensivmediziner, und wir erleben immer wieder, dass Patientinnen und Patienten, die auf unsere Station kommen, eine Sepsis haben oder eine Sepsis entwickeln. Daher haben wir uns in Greifswald schon recht frühzeitig mit dieser Thematik beschäftigt. Uns hat von Beginn an die Erkenntnis gereizt, dass man durch wirklich wenig viel erreichen kann. Und inzwischen wurden auch verschiedene Studien publiziert, die belegen, dass man mit einem entsprechenden Qualitätsmanagement schon durch ganz einfache Veränderungen einen großen Erfolg in Bezug auf die Sterblichkeit bei Sepsis-Erkrankten erreichen kann.
Zudem bin ich auch durch meine eigene Forschungsarbeit eng mit dieser Thematik verbunden. Mein Promotionsthema hat sich mit beatmungsassoziierter Lungenentzündung befasst, was eng mit der Sepsis-Thematik verbunden ist.
Dr. Gründling: Man muss wirklich alle erreichen. Die Bevölkerung ist dabei natürlich wichtig. Aber genauso wichtig ist der komplette medizinische Bereich. Die niedergelassenen Ärzte, die Pflegenden in Pflegeeinrichtungen; die Pflegerinnen und Pfleger und natürlich auch die Ärztinnen und Ärzte der Krankenhäuser. Also wirklich alle. Auf allen Ebenen gibt es in Bezug auf Sepsis noch wirkliche Defizite.
Dr. Gründling: Das Bündnis „Deutschland erkennt Sepsis“ besteht seit gut einem Jahr. Da ist eine mögliche Veränderung noch eher schwer zu fassen. Ich glaube, die Sepsis-Stiftung hat anhand einer Umfrage Daten erhoben, was die Menschen über Sepsis wissen. Die Ergebnisse dürften in Kürze publiziert werden. Vielleicht lassen sich daraus schon erste Erkenntnisse ableiten, inwieweit die Zahl derjenigen, die etwas über Sepsis wissen, angestiegen ist.
Wir sind als Sepsis-Dialog der Unimedizin Greifswald im Rahmen von „Deutschland erkennt Sepsis“ dafür verantwortlich, Schulungsmaterial für die Krankenhäuser zu erstellen. In diesem Zusammenhang wird deutlich – in E-Mails oder auch Social-Media-Kommentaren – dass ein großes Interesse an der Thematik „Sepsis“ besteht. Wir haben inzwischen an die ersten einhundert Kliniken Infomaterial verschickt und auch Download-Links für Schulungsmaterialien zur Verfügung gestellt. Da ist ein wirklich großes Interesse zu spüren. Ob das am Ende dazu führt, dass sich die Situation wirklich verbessert, das kann man natürlich nur hoffen.
Dr. Gründling: Sepsis ist leider sehr viel schwerer zu erkennen als beispielsweise ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall. Da sind die Symptome in der Regel ziemlich eindeutig. Bei der Sepsis können sie allerdings sehr verschieden sein. Die Patienten bekommen beispielsweise Fieber und Schüttelfrost. Da kann es natürlich auch „nur“ eine Grippe sein. Aber eben auch der Beginn einer Sepsis.
Wenn dann Verwirrtheit oder Desorientierung oder sogar Bewusstlosigkeit hinzukommen, dann liegt der Verdacht auf eine Sepsis deutlich näher. Schneller Puls, schnelle Atmung, Kurzatmigkeit, feuchte, auch kalte, schlecht durchblutete Haut, nachlassende Urinausscheidung. Also lauter Symptome , die auch bei anderen Krankheiten vorkommen. Die Patientinnen und Patienten geben oft an, sich noch nie so krank gefühlt zu haben, wie zu dem Augenblick. Insgesamt ist und bleibt es das Problem, dass eine Sepsis schwer zu erkennen ist.
Dr. Gründling: Sepsis kann am Ende jeden treffen. Man weiß, dass es höhere Zahlen bei Kindern unter einem Jahr und Menschen über 60 Jahren gibt. Aber letzten Endes kann wirklich jeder eine Sepsis bekommen. Gefährdet sind besonders immunsupprimierte Menschen. Menschen ohne Milz, oder mit anderen Gründen für eine Immunschwäche.
Deswegen muss man – ob es im Rettungsdienst, in der Praxis oder im Krankenhaus ist – eine Sepsis auf dem Zettel haben, wenn jemand erkrankt und sagt, er oder sie fühle sich richtig schwer krank und kenne das in dieser Intensität nicht. Dann gilt es, dieser Diagnose nachzugehen.
Wenn man als Patientin oder Patient selbst einen Sepsisverdacht hat, sollte man sich nicht scheuen zu sagen: „Ich glaube, ich habe eine Sepsis“. Das triggert dann auf Seiten der Ärztinnen und Ärzte oder auch der Rettungskräfte einiges, so dass sie dann dieser Möglichkeit genauer nachgehen werden.
Die, die es überlebt haben, sagen sehr häufig, dass sie nicht ernst genommen wurden. Sie bekamen oft Sätze zu hören wie: „Nehmen Sie mal `ne Analgin, und dann können wir morgen früh eventuell noch einmal Fieber messen.“ Dann aber war es oft schon fast zu spät.
Dr. Gründling: Man muss daran denken und akzeptieren, dass Sepsis ein echter Notfall ist – eben wie Herzinfarkt oder auch Schlaganfall. Und bei Patientinnen und Patienten, die sich neu krank fühlen, deren Zustand sich eventuell sogar schlagartig verschlechtert, muss man in jedem Fall auch an Sepsis denken. Insbesondere wenn sie über Veränderungen des Bewusstseins klagen – wo Medizinerinnen und Mediziner oftmals eher an einen Schlaganfall denken. Es kann auch eine Sepsis sein.
Wenn Sie mehr über den Interviewpartner - speziell auch über ihm verliehene Würden, seine Publikationen oder auch Projekte - erfahren möchten, empfehlen wir Ihnen, das Forschungsinformationssystem der Universität Greifswald zu nutzen. Wir bedanken uns für das Interview.