Der Rettungsdienst in Deutschland steht vor großen Herausforderungen: Steigende Einsatzzahlen und damit verbundene Kosten belasten das System erheblich. Gleichzeitig verschärfen Personalmangel und hohe Fluktuation die Situation. Häufige Überlastung und ineffiziente Ressourcennutzung, etwa durch unnötige Transporte, führen zu Engpässen und steigender Frustration im Rettungsdienst. Hinzu kommen organisatorische Hürden: Regionale Unterschiede und fehlende Vernetzung erschweren eine einheitliche Notfallversorgung. Zudem verhindern rechtliche Beschränkungen den vollen Einsatz von Notfallsanitätern, die oft nur begrenzte Befugnisse haben.
Dr. Klaus Holst Leiter der vdek-Landesvertretung Sachsen-Anhalt
„Der Rettungsdienst braucht dringend eine Reform. Hohe Einsatzzahlen, steigende Kosten, Personalmangel und ineffiziente Ressourcennutzung belasten das System. Regionale Qualitätsunterschiede und fehlende Vernetzung erschweren eine einheitliche Versorgung. Wir brauchen innovative Strukturen, zentrale Leitstellen und einheitliche Standards. Es mangelt nicht an Erkenntnissen, sondern an der Umsetzung“.
Eine Leitstelle für alle?
Gemäß § 9 des Rettungsdienstgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (RettDG LSA) sind die Landkreise verpflichtet, eine ständig besetzte Einsatzleitstelle einzurichten. Diese integrierten Leitstellen übernehmen zentrale Aufgaben im Notfallmanagement - darunter Notrufabfrage, Alarmierung und die Organisation aller Einsätze des Rettungsdienstes - sowie die Koordination von Feuerwehr und Katastrophenschutz.
Die Ersatzkassen in Sachsen-Anhalt fordern seit Jahren eine verstärkte Zentralisierung der Leitstellen. Die Regierungskommission für eine moderne Krankenhausversorgung hat kürzlich eine Leitstelle pro 1 Million Einwohner empfohlen, was in Sachsen-Anhalt zu maximal drei Leitstellen führen würde. Derzeit sind in Sachsen-Anhalt 13 Leitstellen zuständig - jede für etwa 168.000 Einwohner, was die höchste Leitstellendichte im Bundesvergleich darstellt.
Anzahl der Einwohner je Leitstelle nach Bundesland 2022
Bundesland
Einwohnerzahl/ Leitstelle
Berlin
3.755.251
Hamburg
1.892.122
Saarland
992.666
Sachsen
817.230
Bremen
684.864
Rheinland-Pfalz
519.894
Brandenburg
514.627
Bayern
514.207
Schleswig-Holstein
492.212
Nordrhein-Westfalen
348.829
Baden-Württemberg
313.340
Mecklenburg-Vorpommern
271.396
Niedersachsen
262.588
Hessen
255.654
Thüringen
177.237
Sachsen-Anhalt
168.203
Weniger Leitstellen könnten Effizienz, Qualität und Kosten positiv beeinflussen. Eine Reduzierung der Leitstellen würde die Nutzung qualifizierter Fachkräfte optimieren und eine Vereinheitlichung der Qualitätsanforderungen erleichtern. Aktuell führt das unterschiedliche IT-System jeder Leitstelle jedoch zu einer fragmentierten Kommunikation. Eine zentrale Koordination könnte die Versorgung von Notfallpatienten verbessern.
Erste Ansätze zur Zusammenlegung von Leitstellen gibt es bereits in Sachsen-Anhalt: So betreiben der Landkreis Stendal und der Altmarkkreis Salzwedel bereits seit 2013 eine gemeinsame Leitstelle. Diesem Beispiel wollen die Stadt Magdeburg, der Salzlandkreis und der Landkreis Börde folgen und ihre Leitstellen ebenfalls zusammenlegen. Auch der Saalekreis und die Stadt Halle (Saale) planen ihre Kooperation.
Dennoch gibt es Widerstände seitens diverser Landkreise, die darauf bestehen, durch ihre eigenen Leitstellen eigenständig auf regionale Ereignisse reagieren zu können.
Mit IVENA transparent Versorgung planen
IVENA, der Interdisziplinäre Versorgungsnachweis, ist ein System zur Verbesserung der Kommunikation in der Notfallversorgung zwischen Rettungskräften, Leitstellen und Krankenhäusern. Ziel ist es, Notfallpatienten schnellstmöglich einem geeigneten, aufnahmebereiten Krankenhaus zuzuweisen. Vor der Einführung von IVENA mussten Einsatzkräfte oder die Leitstelle die Kapazitäten der Krankenhäuser mühsam telefonisch abklären. Nun bietet IVENA ein Webportal, über das alle Akteure der Notfallrettung die verfügbaren Kapazitäten der Krankenhäuser in Echtzeit einsehen können. Die Krankenhäuser sind gesetzlich verpflichtet, ihre Kapazitäten regelmäßig zu melden.
Der Ablauf sieht wie folgt aus: Nach der Alarmierung beurteilt der Rettungsdienst den Patienten vor Ort und stellt eine Verdachtsdiagnose. Auf dieser Grundlage weist die Leitstelle über IVENA (alternativ der Notfallsanitäter per Tablet/ Smartphone, wenn verfügbar) den Patienten einem passenden, aufnahmebereiten Krankenhaus zu und informiert dieses bereits während des Transports.
Derzeit erhalten weder Leistungserbringer und noch Kostenträger aus Datenschutzgründen Zugang zu den IVENA-Versorgungsdaten. Dabei wären sie nicht nur für Kostenträger wertvoll. Angesichts der Reformen im Krankenhaus- und Notfallwesen könnten die Daten entscheidende Erkenntnisse für die zukünftige Versorgungsplanung liefern. Darüber hinaus ermöglichen die IVENA-Daten eine transparente Zuweisung von Patienten, wodurch sich die Patientenströme gezielter steuern lassen. Dies fördert das Vertrauen der Bevölkerung in das Gesundheitssystem und in politische Entscheidungen.
Telenotarzt
Am 01.Oktober 24 starteten die Stadt Halle (Saale), der Saalekreis und der Landkreis Mansfeld-Südharz gemeinsam das Projekt „Telenotarzt“. Der Telenotarzt agiert zentral von der Leitstelle in Halle und versorgt alle drei Regionen. Sollte sich das Projekt als erfolgreich erweisen, könnte der Telenotarzt künftig landesweit eingesetzt werden. Dazu wäre es notwendig, ihn als Leistungserbringer im Rettungsdienstgesetz des Landes zu verankern. Das Ziel sollte es sein, den Telenotarzt nicht als parallele Instanz zum physischen Notarzt zu etablieren, sondern diesen bei weniger dringenden Einsätzen zu entlasten und so Ressourcen effizienter zu nutzen. Diese neue Versorgungsstruktur könnte jedoch eine kreisübergreifende Planung der Notarztstandorte erfordern.