Gesundheitspolitische Veranstaltung der B 52-Verbändekooperation Baden-Württemberg

"Innovationen im Gesundheitswesen" - Veranstaltung mit Professor Hecken: Alte Zöpfe abschneiden und Blick auf den Patienten richten!

Referenten treten für grundlegende Veränderungen im Gesundheitssystem ein

Innovationen sind wichtig, um die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems zu erhalten. Dabei muss es vor allem darum gehen, Kranken zur Linderung von Schmerzen und zur Genesung zu verhelfen. Meist gehen mit Innovationen allerdings auch Risiken und Nebenwirkungen einher – nicht nur finanzieller Art. Deshalb stellt sich im Gesundheitswesen in besonderer Weise die Frage, ob alles, was möglich ist, auch zugelassen und finanziert werden soll. Das Spannungsfeld zwischen Innovationen und ihren finanziellen, strukturellen sowie ethischen Grenzen beleuchteten Prof. Josef Hecken, Unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), Dr. Michael Lauk von der Wirtschaftsinitiative Baden-Württemberg: Connected (bwcon) und Prof. Dr. Giovanni Maio vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Freiburg bei einer gesundheitspolitischen Veranstaltung am Mittwoch im Stuttgarter Hospitalhof. Eingeladen hatte die B 52-Verbändekooperation Baden-Württemberg, zu der der BKK-Landesverband Süd, die IKK classic, die Knappschaft – Regional­direktion München und der Verband der Ersatzkassen (vdek) gehören.

Dass sich im Gesundheitswesen etwas ändern müsse, darüber waren sich alle Referenten einig. Am Beispiel von hochbetagten, multimorbiden Patienten, die in Pflegeheimen leben, machte Prof. Hecken deutlich, dass „wir völlig andere Strukturen brauchen, um die Versorgung zu gewährleisten“. Für eine optimale Behandlung wäre, so Hecken, eine sektorenübergreifende elektronische Patientenakte hilfreich. Doch es gebe immer noch Diskussionen zwischen den zuständigen Akteuren, die die damit einhergehenden Kontrollmöglichkeiten ablehnten. Auch die Finanzierung des Gesundheitswesens müsse auf andere Beine gestellt werden. So seien die Gesundheitsausgaben in den vergangenen 20 Jahren ähnlich wie das Bruttoninlandsprodukt um mehr als 50 Prozent gestiegen – die Löhne und Gehälter, aus denen sich die Beiträge zur Krankenversicherung errechnen, aber nur um knapp 30 Prozent. Die Schere werde sich noch weiter öffnen, wenn das Rentenniveau abgesenkt werde, es gleichzeitig viel mehr Rentner gebe und der medizinisch-technologische Fortschritt die Behandlung immer teurer mache. Neben anderen Lösungswegen aus diesem Dilemma forderte Hecken, bei der Therapieentscheidung viel mehr auf die Lebensqualität und den individuellen Nutzen für den Patienten zu achten als nur auf die Machbarkeit. In diesem Zusammenhang hielt er die Tatsache für symptomatisch, dass mittlerweile 25 Prozent der Einnahmen von Notaren aus den Honoraren für Patientenverfügungen stammen, „mit denen sich die Patienten vor den Segnungen des medizinischen Fortschritts schützen.“

Als Referent „mit der Start-Up-Brille“ plädierte Dr. Michael Lauk für einen einfacheren Eintritt von Innovationen in die Regelversorgung. Bei der Suche nach Investoren komme immer die Frage „Wird das erstattet?“, und damit ende das Gespräch in den meisten Fällen. „In Deutschland dauert es fünf Jahre und kostet mindestens 20 Millionen Euro, um in die Regelversorgung zu kommen. Damit gehen die meisten Innovationen kaputt, bevor man sie sieht.“ Vor diesem Hintergrund gab Dr. Christian Korbanka von der B 52-Verbändekooperation in seinem Schlusswort zu bedenken, dass dadurch die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Gesundheitsbereich erheblich gemindert werden und das Kapital ins Ausland abwandern könnte.

Prof. Dr. Giovanni Maio warnte in seinem Vortrag über ethische und gesellschaftliche Grenzen bei der Förderung von Innovationen vor einem unkontrollierten Wachstum neuer Möglichkeiten und technischer Fortschritte, zu denen die Medizin erst hinterher das Problem suche. Statt Digitalisierung als Selbstzweck zu fördern, müsse man sich überlegen, wo man als Gesellschaft hin wolle. Das heutige Gesundheitssystem mit seinem mechanistischen Selbstverständnis setze – politisch gewollt – Fehlanreize und führe zu Verschwendung. Maio kritisierte, dass die „Überversorgung am Ende des Lebens“ und der „Aktionismus“ vieler Ärzte finanziell honoriert würden, während eine „verstehensorientierte Zuwendung“ und die gute Beziehung zwischen Arzt und Patient immer mehr in den Hintergrund träten. Stattdessen müsse „Prozessqualität mit Beziehungsqualität“ verknüpft werden. Deshalb gelte es beispielsweise, dort die Digitalisierung vor allem dort zu fördern, „wo sie uns der ganzheitlichen Medizin näher bringt“.

Auch Anton Haupenthal von der B 52-Verbändekooperation hatte in seiner Begrüßung darauf hingewiesen, dass immer der tatsächliche Patientennutzen in den Mittelpunkt der Betrachtungen gerückt werden müsse. Für die Digitalisierung gelte: „Für den Patienten muss es einen wirklichen und erkennbaren Nutzen geben.“ Strukturelle Änderungen im Gesundheitssystem sind nach Haupenthals Worten unausweichlich, beispielsweise bei der sektorenübergreifenden Behandlung oder der Personalisierten Medizin. Das Verhältnis zwischen Leistungserbringern, Krankenkassen und Patienten werde sich im Zuge des Wandels grundlegend neu ordnen, prognostizierte Haupenthal. „Alte und überkommene Zöpfe und Strukturen, die nur der Sicherung eigener lieb gewonnener finanzieller Pfründe dienen, müssen abgeschnitten werden. Stattdessen müssen wir unser Gesundheitssystem konsequent an dem ausrichten, was dem Patienten im Einzelfall nützt.“

Fotos (4), Silicya Roth / vdek 

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