Gespräche am Fluss

Unsere Gespräche am Fluss bringen einmal im Jahr die wichtigsten  Akteurinnen und Akteure im Bremer Gesundheitswesen mit bundesweit relevanten Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftlern, Gestalterinnen und Gestaltern zusammen. Ziel ist es, ein aktuelles Thema der Gesundheitsversorgung aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, fachliche Beiträge zu diskutieren und den gegenseitigen Austausch zu fördern.

Gespräche am Fluss 2025:

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Ambulante Versorgung: Der Weg zu neuen Strukturen

Am 1. Oktober standen Ideen für die ambulante Versorgung der Zukunft im Mittelpunkt unserer diesjährigen Gespräche am Fluss. Denn die Weiterentwicklung der ambulanten Versorgung braucht Impulse und Antworten auf dringende Fragen von Personalknappheit, bessere Koordination und Effizienz. Wie kann der Wandel zu neuen Strukturen gelingen? Impulse aus anderen Regionen, strategische Überlegungen der vdek-Bundesebene und erste bremische Antworten wurden präsentiert:

Dringende Interventionen

Digitalisierung, Delegation und Patientensteuerung – das sind die wichtigen Stichpunkte für eine ambulante Versorgung, die sich, allein schon wegen der Verrentung vieler Ärzte, in den nächsten Jahren großen Herausforderungen stellen muss. Dies war das Kernthema, zu dem die vdek-Landesvertretung am 1. Oktober 2025 in das Atlantic Grand Hotel in Bremen eingeladen hatte.

Das Grußwort für die jährlich stattfindenden Gespräche am Fluss sprach Andrea Toense, Stadträtin für Gesundheit, Umwelt/Klima im Magistrat der Stadt Bremerhaven. Sie wies auf die Dringlichkeit von Interventionen hin und bezog sich dabei auf die drohende Unterversorgung Bremerhavens bei Haus-, Haut- und Kinderärzten. Sie konstatierte aber auch, dass es noch manche bürokratischen Hürden innerhalb des Systems gibt und die Erwartungshaltung der Patienten im Hinblick auf die Terminvergabe und die Erreichbarkeit von Ärzten hoch ist.

„Keiner kann diese Probleme alleine lösen“, so die Stadträtin. Sie begrüßte daher die Intention der Veranstaltung, neue Wege zu finden, die besser zur Realität passen. Sie dankte dabei ausdrücklich den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen für das Projekt der Startup-Praxis „Gesundheitshaven“, das junge Ärzte für Bremerhaven gewinnen will.

Richtige Entscheidungen

„Wir müssen jetzt richtige Entscheidungen treffen und uns über Digitalisierung und Delegation organisieren“, diese Überzeugung vertrat Prof. Wolfgang von Meißner als Facharzt für Allgemeinmedizin und Mitbegründer mehrerer Medizinischer Versorgungszentren (MVZ). Neben dem optimalen Einsatz von IT in seiner Praxis in Baiersbronn im Schwarzwald, deren Mitbegründer von Meißner ist, wird auch die Delegation von Leistungen an medizinische Fachberufe sehr ernst genommen. Als Beispiel nannte er Physician Assistents (medizinische Ausbildung mit Hochschulabschluss), die Sonografien machen und durch eine höhere Routine darin besser sein könnten als die Mediziner. „Die Interpretation und Entscheidung über die Behandlung liegt dann natürlich wieder bei den Ärzten“, so von Meißner.

Regionale Gesundheitszentren (RGZ)

Dass die ambulante Versorgung noch überwiegend in Einzelpraxen geschehe und die Delegation an andere Gesundheitsberufe noch in den Kinderschuhen stecke, bezeichnete auch Boris von Maydell, Vertreter des Vorstandes und Leiter der Abteilung Ambulante Versorgung des vdek in Berlin, als Probleme in der Versorgung. Der vdek fördert daher mit seinem Projekt „Regionale Gesundheitspartner“ Regionale Gesundheitszentren (RGZ), die genau hier ansetzen. In einem RGZ sollen mindestens vier Hausärzte, angegliederte Fachärzte und weitere Gesundheitsprofessionen sowie nichtärztliches Personal angestellt sein. Dabei soll, mit telemedizinischer Ausrüstung, auch die ambulant aufsuchende Versorgung gefördert werden. Diese können zum Beispiel Physician Assistents übernehmen.

Zwar ist die Förderung dieser RGZ derzeit nur für Flächenländer vorgesehen, um Versorgungsengpässen auf dem Land zu begegnen, aber das Konzept selbst ist übertragbar auf städtische Einrichtungen. Wichtig bei all dem sei aber auch eine funktionierende Patientensteuerung, um allen den Zugang zum System zu ermöglichen. Hier müsse eine digitale Ersteinschätzung aufgebaut werden, die Patienten in die richtige Versorgungsebene leitet, so von Maydell.

Angebote für neue Mediziner

„Um einer drohenden Unterversorgung in Bremerhaven entgegenzutreten, ziehen wir an einem Strang mit den Krankenkassen.“, sagte Dr. Bernhard Rochell, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen in Bezug auf das gemeinsame Projekt, den Gesundheitshaven. Ziel des Projekts ist es, ein Angebot zu machen, über das neue Mediziner zunächst angestellt arbeiten und sich perspektivisch in Bremerhaven mit einer eigenen Praxis niederlassen können. Für weitergehende Maßnahmen zur Unterstützung von Projekten und Maßnahmen müsse sich aber auch das Land Bremen stärker einbringen als bislang, so der Vorsitzende der KV Bremen.

In der anschließenden Diskussion berichtete Prof. Jana Hummel vom Studiengang Physician Assistents der Hochschule Bremerhaven, dass im nächsten Jahr 35 bis 40 Absolventen entlassen und für die Versorgung zur Verfügung stehen werden. Zwar läge der erste Fokus der Studierenden auf dem stationären Sektor, aber beispielsweise durch Hospitationen in Praxen ändere sich dieses Bild im Laufe des Studiums.

Eine weitere Perspektive steuerte Thomas Kruse, Geschäftsführer des DIAKO-Krankenhauses in Bremen, bei. Er stellte das Konzept von Hausärzte-MVZ an Kliniken vor, wie es in seinem Hause und in Bremen auch am Rotes Kreuz Krankenhaus betrieben wird. Diese Konzepte nehmen Druck aus der ambulanten Versorgung und sind gleichzeitig direkte Versorgungsmöglichkeiten für Patienten, die nicht in die Notaufnahme der Kliniken gehören.

Viele kleine Schritte nötig

Als ein entscheidendes technisches Problem bei der Digitalisierung von Praxen machten die Fachleute die unterschiedlichen Praxisverwaltungssysteme fest, die zu großen Schnittstellenproblemen führen. Hier müsste der Gesetzgeber regulatorisch dafür sorgen, dass die Anbieter solcher Systeme einheitliche Standards entwickeln.

„Mit vielen kleinen Schritten, wie der Startup-Praxis Gesundheitshaven in Bremerhaven, Hausärzte-MVZ an Kliniken, dem intelligenten Einsatz von medizinischem Fachpersonal und einer durchdachten Patientensteuerung wird die Umwandlung in neue Strukturen gelingen“, fasste der Leiter der Landesvertretung, Torsten Barenborg, die Erkenntnisse aus der Veranstaltung zusammen.

Pressemitteilung zu den Gesprächen am Fluss 2025 Ambulante Versorgung auf dem Weg zu neuen Strukturen
Vortrag von Boris von Maydell, Abteilungsleiter Ambulante Versorgung vdek Ausgewählte Projekte zur Delegation

Gespräche am Fluss 2024:

Einladung Gespräche am Fluss

Krankenhausreform und sektorübergreifende Versorgung

Am 17.05.2024 fanden wieder die Gespräche am Fluss der vdek-Landesvertretung Bremen statt. In diesem Jahr standen die Krankenhausreform und mit ihr die Veränderungen im ambulanten Bereich im Fokus. Der Gesundheitsökonom Herr Prof. Dr. Jonas Schreyögg und die Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz, Claudia Bernhard, hielten die Impulsreferate und nahmen jeweils an der anschließenden Talkrunde mit Bremer Fachleuten teil.

Nachdem der Leiter der Landesvertretung Bremen des vdek, Herr Barenborg, die Gäste begrüßt und auf das Thema eingestimmt hat, übernahm Frau Senatorin Bernhard das Wort. Sie verwies in ihrer Keynote darauf, dass exorbitante Veränderungen in der stationären Versorgung bevorstehen und dass die Probleme nicht gelöst werden, "…wenn wir uns nicht auf unsere Hintern setzen und sehen, was wir gemeinsam hinkriegen." Dabei betonte sie, dass sie in diesem Prozess für alle Krankenhäuser stehe und nicht GeNo-Senatorin sei.

Derzeit werde in der senatorischen Behörde ein Zielplanungs-Papier erarbeitet mit der klaren Fragestellung "Was braucht Bremen?". Denn kein Krankenhaus sei ein Selbstzweck. "Wir müssen die Versorgung der Patienten im Blick haben", so die Senatorin.

Mehr Kompetenz in die Pflege

Zur Frage der Fachkräftemangels sagte die Senatorin im anschließenden Talk, dass dies nicht nur eine Frage der Anzahl des Personals sei, sondern auch der Kompetenz. Die Pflege werde unterschätzt und man habe erst gerade angefangen, sie zu akademisieren. Sie habe selten ein System erlebt, dass so hierarchisch sei, wie es in Krankenhäusern der Fall ist. Hier sei viel versäumt worden. "Die Ärzte müssen 'runterkommen und die Pflege muss mehr Selbstbewusstsein erlangen", fasste die Senatorin die Situation zusammen.

Die aktuelle Herausforderung im Kliniksektor beschrieb Herr Dr. Klingelhöfer, Direktor des Rotes Kreuz Krankenhaus Bremen, mit den Worten: "Wir kommen von einem freien Markt zu einer Situation, die wir nur kooperativ lösen können und nicht im Wettbewerb."

Als Vorsitzender des Landesausschusses der Ersatzkassen wies Herr Dr. Erbe im Sinne der Versicherten darauf hin, dass das Thema Qualität in der weiteren Planung hochwichtig ist. Zudem mache "...eine hohe Transparenz über die Leistungen von Kliniken Patienten souveräner und mündiger in ihrer Entscheidung", so Erbe.

Strukturveränderungen sind unausweichlich

Herr Prof. Schreyögg machte in seiner Keynote deutlich, dass das Ziel der nächsten Jahre sein müsse, die Personalknappheit zu bewältigen. Was die Pflege betrifft, stellte er fest, dass sie in Deutschland noch immer nicht den Status habe, den sie in anderen Ländern hat.

Ärzte gäbe es grundsätzlich genug, die Zahl der Studienplätze sei angemessen ausgeweitet worden. "Aber weder das pflegerische noch das ärztliche Personal wird für die bestehenden Strukturen ausreichen", so der Gesundheitsökonom, der damit auf die unausweichlichen Strukturveränderungen hinwies.

Viele der jungen Ärztinnen und Ärzte gingen in den stationären Bereich, da sie lieber angestellt arbeiten und nicht die volle Arbeitslast als einzelne niedergelassene Ärzte tragen wollen, führte er aus. Daher müsse auch der ambulante Sektor sich anpassen und in größeren Einheiten, wie medizinischen Versorgungszentren (nicht bettenführend), intersektoralen Zentren (bettenführend) und ähnlichen Strukturen, arbeiten.

Primärärztliche Versorgung stärken

Aus Sicht des Sachverständigenrats Gesundheit und Pflege, dessen stellvertretender Vorsitzender Schreyögg ist, sei ebenfalls die Stärkung der Primärärztlichen Versorgung von Bedeutung, um Krankenhausaufenthalte zu reduzieren und damit den stationären Sektor zu entlasten.

Im anschließenden Talk führte Herr Fischer, Referatsleiter Versorgungsplanung der Senatorischen Behörde, aus, dass Bremen bereits wohnortnahe Zentren im Bereich der ambulanten Versorgung unterstützt.

Herr Prof. Schreyögg brachte ergänzend die anstehende Reform der Notfallversorgung ins Spiel und verwies auf den "gewaltigen Impact" die diese auch in Bremen haben werde. Allein der gemeinsame Tresen von ambulanter und stationärer Notfallversorgung, der bereits in einigen Notaufnahmen bestehe, zeige, wie viele Fälle dadurch reduziert würden.

Herr Fischer kommentierte den Talk abschließend: "Wir kommen ohne ganz grundlegende Änderungen nicht weiter, sonst drehen wir uns im Kreis."

Wunsch für die Zukunft: Niedrigere Sektorengrenzen

Herr Barenborg brachte in seiner Schlussrede zum Ausdruck, was er sich für Bremen in zehn Jahren wünscht: „Dass wir auf eine besser strukturierte Gesundheitslandschaft mit niedrigeren Sektorengrenzen blicken werden, dass wir medizinische Fachberufe mit angemessener Kompetenz zur Entlastung von Ärztinnen und Ärzten haben werden und dass die Patienten besser unterstützt werden bei ihrer Orientierung im Gesundheitswesen, damit sie die Versorgung erhalten, die sie benötigen.“

Hinsichtlich der Versorgungsstrukturen im Bundesland war der Leiter der Bremer Landesvertretung des vdek zuversichtlich. „Frau Senatorin Bernhard hat bereits bewiesen, dass sie den politischen Willen hat und die notwendige Durchsetzungskraft besitzt, um die Strukturreform in Bremen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger bzw. unserer Versicherten zu verwirklichen.“

Er versicherte, dass die Ersatzkassen und sicherlich auch die anderen Kassenarten gerne bereit seien, daran mitzuwirken.