Interview mit Prof. Karina Schleimer

Physician Assistents (PA) als Unterstützung für die ambulante und stationäre Versorgung

Prof. Karina Schleimer
Prof. Karina Schleimer

Prof. Karina Schleimer

Über die Ausbildung zum Physician Assistant (PA) führte der vdek ein Gespräch mit Karina Schleimer, Professorin des Studiengangs Physician Assistants der Hochschule Bremerhaven und Sina Evers, PA-Studentin in Bremerhaven.

Frau Prof. Schleimer, seit wann gibt es die Ausbildung zum PA in Deutschland bzw. in Bremerhaven? Und gibt es sie in anderen Ländern schon länger?

Prof. Karina Schleimer: Die Idee des PA-Ausbildungsprogramms startete im Jahr 1967 in den USA und ist inzwischen in 18 Ländern etabliert. In Deutschland gibt es die Ausbildung seit 2005 in Berlin, aber auch in Bayern und NRW ist die Ausbildung schon länger möglich. Insgesamt gibt es in Deutschland 24 staatliche und private Hochschulen, an denen man PA studieren kann. Die Hochschule in Bremerhaven ist staatlich und bietet den Studiengang seit zwei Jahren an.

Wie lässt sich das Aufgabenfeld der PA beschreiben?

Prof. Schleimer: Die PAs führen delegierbare ärztliche Tätigkeiten durch. Sie arbeiten zurzeit hauptsächlich in Kliniken auf Station, im OP und in der Notaufnahme. Die Aufgaben reichen von der Anamneseerhebung, Sichtung von Befunden, vorbereitender Diagnostik und vorbereitender Aufstellung eines Behandlungsplans über Blutabnahme, Anlage venöser Zugänge, Wundversorgung, Erläuterung von Befunden, Diagnosen und Therapien, bis zur Organisation von Entlassungen, Kodierung im DRG-System und Qualitätsmanagement.

Im Operationssaal sind ihre Aufgaben: OP-Vorbereitungen, Hygienemaßnahmen und Assistenz bei den Operationen. Sie führen auch einfache Wundverschlüsse durch und bereiten den OP-Bericht vor. In der Notaufnahme wirken sie bei der Ersteinschätzung und notfallmäßigen Patientenversorgung mit und können Sonographie-Voruntersuchungen durchführen.

Sie unterstützen auch bei den Visiten und können dort zeitgleich, während der Arzt oder die Ärztin die Visite macht, die Behandlungsverläufe und die Anordnungen dokumentieren. Das spart mindestens eine Stunde Aufwand für die Ärzte.

Sina Evers: Ein Vorteil ist dabei, dass die PA im Tagdienst anwesend sind. Während Ärzte und Pflegepersonal im Schichtdienst arbeiten, sind die PA tagsüber konstante Ansprechpartner für die Patienten. Wenn zum Beispiel ein Assistenzarzt nach drei Wochen aus dem Urlaub kommt, die Visite machen muss und keinen der Patienten kennt, sind die PA die Personen, die die Patienten jeden Tag gesehen haben und nahe an ihnen dran sind.

Junge Frau in roter Jacke

Frau Evers, wie sehen Sie als Studentin die Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal? Wird die Ergänzung durch PA positiv aufgenommen?

Sina Evers: Es ist immer wichtig, wie man selbst auftritt. Man muss sich am Anfang jedem vorstellen und kurz sagen, was man macht. Wenn man offen sagt: „Das kann ich, kommt gerne auf mich zu, wenn ihr eine Blutabnahme braucht. Oder wenn der Arzt gerade nicht verfügbar ist, könnt ihr mir die Informationen geben und ich leite sie weiter.“, dann ist das Pflegepersonal sehr offen und froh darüber, dass noch jemand hilft.

Wer lässt sich zum PA ausbilden? Sind dies vor allem Pflegefachkräfte, die sich weiterentwickeln wollen, oder kommen die Student:innen direkt von der Schule?

Prof. Schleimer: 30-40 Prozent unserer Studierenden haben bereits Krankenpflege, Physiotherapie, Notfallsanitäter, oder Medizinische Fachangestellte erlernt. Ein Großteil der Studierenden kommt aber direkt von der Schule.

Evers: Das Besondere an unserer Hochschule ist die Ausbildungsdauer von vier Jahren. Andere Hochschulen für PA bilden drei Jahre aus, da ist die Zugangsvoraussetzung aber auch eine abgeschlossene Ausbildung in einem medizinischen Fachberuf. Dafür haben wir zwei Semester komplett in der praktischen Ausbildung.

Wo absolvieren PA den praktischen Teil ihrer Ausbildung?

Prof. Schleimer: Die Studierenden absolvieren den praktischen Teil ihrer Ausbildung zunächst in unserem SkillsLab, in dem sie praktische Fertigkeiten an Modellen erlernen und üben. Diese Fähigkeiten können sie dann in den kooperierenden Kliniken und Praxen anwenden. Wir haben mittlerweile 15 Kooperationspartner. So kommen unsere Studierenden früh, schon ab dem ersten Semester, mit den Patienten in Kontakt. Das vierte und siebte Semester sind Praxissemester. Dabei absolvieren die Studierenden fünf achtwöchige Praktikumsblöcke in Kliniken und Praxen.

Evers: Oft ist es so, dass man in der einen Woche etwas im SkillsLab lernt und es schon in der nächsten Woche praktisch anwenden kann.

Welche Einsatzmöglichkeiten bestehen für die PA im ambulanten Bereich?

Prof. Schleimer: In der ärztlichen Praxis können sie zum Beispiel Hausbesuche durchführen und dort Verlaufskontrollen mit Wundversorgung, und Blutdruckkontrollen machen und gerade bei chronischen Erkrankungen die Behandlung begleiten. PA können die Patientenberatung und -schulung durchführen und damit bei der Prävention eine wichtige Rolle spielen. In der Praxis können sie, neben der direkten Begleitung der Behandlung, im Casemanagement tätig sein, die elektronische Patientenakte führen, Anträge bearbeiten und die Umsetzung von Arztbriefen nach einem stationären Aufenthalt begleiten, Laborbefunde sichten und auch im Impfmanagement tätig sein.

Was sind die Voraussetzungen, um in den Studiengang Physician Assistent aufgenommen zu werden?

Prof. Schleimer: Die Voraussetzung für ein Studium PA an unserer Hochschule sind eine Hochschulreife, also Abitur, Fachhochschulreife oder fachgebundene Hochschulreife. Da wir maximal 52 Studierende bei rund 300 Bewerbungen aufnehmen können, besteht de facto ein Numerus clausus von 1,7. Dabei wird eine Berufsausbildung angerechnet.

Wann werden die ersten PA in Bremerhaven fertig ausgebildet sein?

Prof. Schleimer: Unsere erste Kohorte wird in 2026 fertig ausgebildet sein.

Gibt es aus der bisherigen Praxis Erfahrungen mit dem Einsatz von PA?

Prof. Schleimer: Eine Querschnittsstudie des Deutschen Hochschulverbands Physician Assistant e.V. von 2022 zeigt, dass 94 Prozent der Befragten zum Zeitpunkt der Befragung erwerbstätig waren. Bei 88 Prozent war die Stellensuche innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Studiums erfolgreich, 89 Prozent arbeitet in Krankenhäusern, davon 61 Prozent in operativen Abteilungen. Im Ausland, vor allem in den USA, ist das Berufsbild schon länger und mehr etabliert. Dort dürfen die PAs ohne Aufsicht eines Arztes Patienten diagnostizieren und therapieren, dürfen diagnostische Maßnahmen anordnen und Medikamente verschreiben. Sie arbeiten dort sowohl in Kliniken als auch im ambulanten, hausärztlichen Bereich. Heute gibt es über 130.000 PAs in den USA. Sie sind dort ein wichtiger Bestandteil der stationären und ambulanten Versorgung. Auch in Kanada, im Vereinigten Königreich und in den Niederlanden ist der Beruf weit verbreitet.

An der Wurster Küste/Cuxhaven ist das erste Regionale Gesundheitszentrum (RGZ) gestartet. Der vdek unterstützt die Modellprojekte zu den RGZ derzeit besonders, um die Versorgung in der Fläche zu sichern. Wie sehen Sie das Arbeitsfeld der PA dort? Ist dies ein Modell für die zukünftige Versorgung bundesweit?

Prof. Schleimer: Die PAs lernen im Studium neben klassischen medizinischen Fächern in Theorie und Praxis auch Schlüsselkompetenzen wie Gesprächsführung und Kommunikation. Sie können optimal in ein RGZ integriert werden: Sie können im Zentrum selbst alle Aufgaben übernehmen, die ich bereits für die Arztpraxen beschrieben habe. Sie können aber auch über Land und in die Seniorenhäuser fahren und dort Hausbesuche durchführen. Sie haben gelernt, eine Anamnese und körperliche Untersuchung vorzunehmen, die Diagnostik durchzuführen oder in die Wege zu leiten, und einen Behandlungsplan zu erstellen. Die Daten, die mit einem mobilen EKG, einem Pulsoximeter und Blutdruckmessgerät erhoben werden, können in das RGZ transferiert werden. Mittels Telemedizin können die PAs bei Bedarf auch Rücksprache mit den Ärzten des RGZs nehmen. Darüber hinaus lernen PAs auch Casemanagement, Qualitätsmanagement, Gesundheitsökonomie, Medizinrecht und Dokumentation. Somit können sie auch bei der Organisation in einem RGZ wichtige Funktionen übernehmen. Ja, dies ist ein gutes Modell für eine zukünftige bundesweite Versorgung.

Frau Evers, Sie gehören zur ersten Kohorte der Studenten, sind von Anfang an dabei. Wie kamen Sie zu diesem Studium und wie ist Ihr Gefühl nach den ersten zwei Jahren der Ausbildung?

Evers: Ich habe ein freiwilliges soziales Jahr auf einer chirurgischen Station gemacht und in diesem Jahr wurden dort die ersten PAs eingeführt. So habe ich das Berufsbild für mich entdeckt. Es hat dann sehr gut gepasst, dass der Studiengang jetzt in Bremerhaven möglich wurde. Mir gefällt an dem Berufsbild, dass man nicht die volle Verantwortung für den gesamten Behandlungsprozess hat, aber ein Teil davon ist, den Menschen zu helfen. Ich bin froh, dass ich mich dafür entschieden habe.

Info: Zugangsvoraussetzungen für den Studiengang Bachelor of Science Physician Assistant

  • Die Voraussetzung für ein Studium PA an der Hochschule Bremerhaven sind eine Hochschulreife (Abitur, Fachhochschulreife oder fachgebundene Hochschulreife). Es besteht ein Numerus clausus von 1,7.
  • Bei Bewerbern, die direkt von der Schule kommen, ist die Note der Hochschulreife oder Fachhochschulreife auschlaggebend.
  • Bei Bewerbern, die zusätzlich zur Hochschulreife/Fachhochschulreife eine Berufsausbildung absolviert haben, fällt die Note der Hochschulzugangs-berechtigung mit 55 Prozent, die Note der Berufsausbildung mit 45 Prozent ins Gewicht.
  • Es ist auch möglich, ohne Hochschulreife das Studium zu beginnen, wenn man eine Ausbildung in einem anerkannten Gesundheitsfachberuf abgeschlossen hat. Damit erhält man eine fachgebundene Hochschulreife. Die abgeschlossene Berufsausbildung wird mit der Note 2,0, bewertet, eine abgeschlossene Berufsausbildung mit anschließender berufspraktischer Tätigkeit von mindestens 2 Jahren wird mit der Note 1,3 bewertet. Diese Note wird mit der Note im Ausbildungszeugnis gemittelt.

Info: SkillsLab der Hochschule Bremerhaven

  • Der praktische Part der Ausbildung findet zum Teil im SkillsLab der Hochschule statt. Dort erlernen die Studierenden praktische Fertigkeiten an Modellen – z.B. Blutabnahme, Wundversorgung, Untersuchungen, Desinfektion, Lagerung, Verabreichung von Injektionen, Legen einer Magensonde, Reanimation, Intubation, Knoten und Nähen.
  • Angewendet werden können die Fähigkeiten zeitnah in den kooperierenden Kliniken und Praxen. Das vierte und siebte Semester sind Praxissemester: Die Studierenden absolvieren fünf achtwöchige Praktikumsblöcke in Kliniken und Praxen. Die Praxiseinsätze sind: Pflegepraktikum, Praktikum konservative Medizin im Krankenhaus, Praktikum operative Medizin im Krankenhaus, Praktikum ambulante hausärztliche Medizin und Praktikum in einem Wahlfach.