Gerade in Ballungsgebieten wie Hamburg ist Leistungskonzentration ein wesentlicher Beitrag zu einer hochwertigen Qualität der Krankenhausversorgung und mehr Patientensicherheit. Behandlungen sind nach Studien dort qualitativ besser, wo sie öfter durchgeführt werden. Deshalb müssen Mindestmengenregelungen stärker in der Landes-Krankenhausplanung berücksichtigt werden. Die geplante Ausweitung der Regelungen ist richtig. Wichtig ist aber auch, dass sie tatsächlich umgesetzt werden. Das ist in vielen Kliniken bislang nicht der Fall. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Hamburger Kandidatinnen und Kandidaten zur Gesundheitspolitik
Nachgefragt: Was halten die Politikerinnen und Politiker von den gesundheitspolitischen Positionen der Ersatzkassen? Wir haben die Hamburger Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der Parteien mit unseren Standpunkten konfrontiert. Bis zur Wahl am 26. September veröffentlichen wir im zweiwöchigen Rhythmus die Antworten zu unseren Positionierungen.
» Frage 1: Zur Qualität der Krankenhausversorgung
» Frage 2: Zur Finanzierung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes
» Frage 3: Zum Wettbewerb zwischen den Krankenkassen
Der Bundestagswahlkampf läuft bereits auf Hochtouren. Für die Gesundheitspolitik der Zukunft ist es aus Sicht der Ersatzkassen entscheidend, dass aus den Erfahrungen der Pandemie gelernt wird. Es gilt, Antworten zu finden auf die zentralen Herausforderungen, die sich auch in einem Stadtstaat wie Hamburg stellen.
Dazu zählt zum einen etwa der große Reformbedarf im Krankenhaussektor mit dem Schwerpunkt auf der Steigerung der Qualität (Stichwort Mindestmengenregelung). Zum anderen hat nicht zuletzt Corona gezeigt, dass die Unterfinanzierung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes durch die öffentliche Hand gestoppt werden muss. Mit Blick auf die Gesetzliche Krankenversicherung muss die nächste Bundesregierung nach Ansicht der Ersatzkassen für eine einheitliche Bundesaufsicht für alle Krankenkassen sorgen, damit regionale Initiativen zur Versorgungsverbesserung nicht ausgebremst werden.
Aydan Özoğuz, SPD
„Die Mindestmengenregelung ist ein wichtiges Instrument, um bei schwierigen und zugleich planbaren Eingriffen eine hohe Behandlungsqualität möglichst sicherzustellen. Für solche Eingriffe ist der Zusammenhang zwischen Fallzahl einer bestimmten Krankheit und der Qualität der Versorgung mehrfach nachgewiesen worden. Als Patientin würde ich selber die Wahl der Klinik wesentlich auch nach der Erfahrung des OP-Teams treffen. An der Umsetzung der Regelung sollte daher weiter gearbeitet werden. Gleichwohl muss bei der Umsetzung, die oftmals mit der Verlagerung von Angeboten und Zentralisierung und damit ggf. auch mit dem Abbau von wohnortnaher Versorgung einhergeht, auf die Akzeptanz seitens der Betroffenen hingewirkt werden.“
Katharina Beck, Die Grünen
„Die Einhaltung der Mindestmengenregelungen ist notwendig und sinnvoll. Damit geht eine stärkere Spezialisierung im Krankenhaussektor einher, die für die Behandlungsqualität und Patient*innensicherheit förderlich ist. Mindestmengen sollen so ausgestaltet sein, dass sie die Qualität der Behandlung sicherstellen, nicht aber selbst ein Anreiz zur Mengenausweitung im Sinne einer Maximierung der Fallzahlen sind. In diesem Spannungsfeld müssen sinnvolle Mindestmengen definiert werden.“
Christoph Ploß, CDU
„Die Ausweitung der Mindestmengenregelungen ist richtig und muss vor Ort auch umgesetzt werden. In Hamburg sind über die Hälfte (53,8 Prozent) aller unterschrittenen Mindestmengen durch Ausnahmetatbestände legitimiert, wie aus einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung und des Kölner Science Media Centers auf Grundlage der Qualitätsberichte 2017 hervorgeht. Da wir die wissenschaftliche Einschätzung teilen, dass in Kliniken, in denen die Mindestmengen nicht eingehalten werden, das Risiko von Komplikationen und Todesfällen größer ist, werden wir uns für eine Einhaltung der Mindestmengenregelungen sowie eine Einschränkung der Ausnahmetatbestände einsetzen.“
Żaklin Nastić, Die Linke
„Die Analyse ist richtig, dass es im Durchschnitt so ist, dass die Qualität der Leistungen nachlässt, wenn die Leistung zu selten erbracht wird. Richtig ist auch, dass die Landeskrankenhausplanung der beste Ort ist, an dem das Berücksichtigung finden sollte und nicht ein bundesweites Vergütungssystem. Wir wollen die Krankenhausplanung der Länder stärken, indem wir für einen Zeitraum von 10 Jahren jährlich 2,5 Mrd. Euro an Bundesmitteln bereitstellen wollen um auf jeden Euro, den die Länder zusätzlich in die Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser stecken, einen Euro aus Bundesmitteln drauflegen. Damit könnten jährlich insgesamt 5 Mrd. Euro gehebelt werden und die Landeskrankenhausplanung würde wieder gestalten können, statt Mängel zu verwalten.“
Michael Kruse, FDP
„Die Mindestmengenregelungen können die Qualität der Behandlungen steigern, dürfen aber nicht der einzige Indikator für eine hochwertige und qualitative Versorgung darstellen. Aus Sicht der FDP kommt es auch auf die Spezialisierung der Krankenhäuser an und nicht auf die Menge der durchgeführten Behandlungen allein. Die Regelung bringt die Gefahr einer Fehl- oder Überversorgung mit sich insofern, als Leistungen erfolgen könnten, um die geforderten Mindestmengen zu erreichen. Spezialisierungen könnten ein Weg sein, eine hochwertige Leistung aufgrund hoher Erfahrung zu erreichen ohne den Druck, einer Mindestmengenanforderung genügen zu müssen.“
Eine vdek-Auswertung von Daten der Gesundheitsberichterstattung der Länder hat ergeben, dass in Hamburg die Gesundheitsausgaben im Vergleich zum Bundesdurchschnitt in vielen Bereichen wachsend sind. Im aktuellsten überblickbaren Zehnjahres-Zeitraum, von 2008 bis 2018, nahmen sie in der Gesetzlichen Krankenversicherung im Vergleich zum Schnitt deutlich um 21 Prozent zu, in der Sozialen Pflegeversicherung um 20 Prozent und bei den Arbeitgebern um 16 Prozent. Nur beim Öffentlichen Haushalt sind die Wachstumsraten leicht rückläufig. Dies zeigt, dass auch in Hamburg der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) von der öffentlichen Hand unterfinanziert ist. Das muss ein Ende haben, nicht zuletzt im Hinblick auf Pandemie-Zeiten. Was sollte Ihrer Meinung nach unternommen werden?
Aydan Özoğuz, SPD
„Die Leistungen der Daseinsvorsorge wie der Gesundheitsversorgung sind von zentraler Bedeutung für unser Rechts- und Gesellschaftssystem. Die Erfahrungen während der COVID-19-Pandemie haben gezeigt, dass einige Sparmaßnahmen, einschließlich des Privatisierungsdrucks, der letzten Jahrzehnte kurzsichtig waren. Seit Anfang der 2000er ist allein das ärztliche Personal im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) um 30% zurückgegangen. Im Rahmen des am 3. Juni 2020 vorgestellten Konjunkturpaketes zur Bekämpfung der Folgen der Pandemie wurde der „Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst“ mit einem Gesamtvolumen von 4 Mrd. EUR vorgestellt. Er definiert zum Beispiel eine Personalmindestausstattung für ein Mustergesundheitsamt und sieht die Anpassung ärztlicher Gehälter durch Tarifverträge im ÖGD vor (siehe BMG, 17.06.2021). An diesem Kurs sollten wir festhalten, den ÖGD weiter stärken und die Bundeskompetenz ausweiten."
Katharina Beck, Die Grünen
„Bund und Länder haben den vier Milliarden Euro schweren „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ ins Leben gerufen. Auch in Hamburg wird damit ermöglicht, diese wichtige Säule des Gesundheitssystems entscheidend auszubauen: Insgesamt sollen über 100 Millionen Euro in den kommenden Jahren fließen und bis zu 220 neue Stellen in den Hamburger Gesundheitsämtern entstehen. Der Stellenaufbau ist dringend notwendig, denn Gesundheitsförderung braucht mehr Personal. Die Angebote müssen dort vorzufinden sein, wo Menschen ihren Alltag leben: In Kitas, Schulen, Betrieben, Bürgerhäusern und anderen Treffpunkten im Stadtteil. Neben seinen Aufgaben im Infektionsschutz muss der ÖGD zukünftig aber auch für andere Aufgaben besser ausgestattet sein. Egal ob bei Schuleingangsuntersuchungen, der Zahngesundheit oder bei der Hilfe für psychisch kranke Menschen. Die Gesundheitschancen der Bevölkerung sind dann hoch, wenn Menschen befähigt werden, durch gute Beratung für ihre eigene Gesundheit aktiv zu sorgen."
Christoph Ploß, CDU
„Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass der rot-grüne Senat den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) wiederentdeckt hat. In der Vergangenheit haben SPD und GRÜNE keinen Willen gezeigt, die Probleme der Unterfinanzierung und der zu geringen Ausstattung mit Personal zu lösen. Daher hat die CDU-Fraktion ihren Antrag „Öffentlichen Gesundheitsdienst nachhaltig ausbauen und Prävention breiter aufstellen“ (Drs. 22/2099) in die Bürgerschaft eingebracht. Der Antrag wurde mehrheitlich mit den Stimmen von SPD und GRÜNEN abgelehnt. Zwar hat Rot-Grün in der Bürgerschaft auch gegenüber dem eigenen Senat eine „Nachhaltige Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes“ gefordert. Die Informationen zu den Personal- und Sachkosten der Gesundheitsämter für die Jahre 2021 und 2022 erwecken aber nicht den Eindruck, dass eine Stärkung im Kernhaushalt eingeplant ist. Aus diesem Grund haben wir kürzlich eine Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 22/5203 zu der Thematik gestellt."
Żaklin Nastić, Die Linke
„Ein Teil der Steigerung wird auf das in Hamburg im Vergleich zum Bundesdurchschnitt stärkere Bevölkerungswachstum zurückzuführen sein, ein weiterer Teil durch verstärkte Zentrenbildung und der im zeitlichen Verlauf stärkeren Sogwirkung Hamburgs auch auf das Umland sowie die oft nicht ganz billigen Innovationen, die dort zum Einsatz kommen. Wir geben Ihnen Recht, dass spätestens durch die Erfahrung der Pandemie eine Umkehr bei der ÖGD-Finanzierung notwendig ist. DIE LINKE will eine finanzielle Stärkung des ÖGD und eine bessere Koordinierung. Im Mittelpunkt der Arbeit des ÖGD muss die soziale Komponente von Gesundheit stehen und er muss eine tragende Rolle bei Fragen der Prävention erhalten. Pandemie- und Katastrophenschutzpläne müssen fortgeschrieben und regelmäßig auf ihre Funktionalität überprüft werden. Der Bund muss die Mittel für die Schaffung von Landesgesundheitsämtern in den Bundesländern bereitstellen und dafür sorgen, dass Vorhaltekosten für Material und Behandlungskapazitäten komplett gedeckt werden."
Michael Kruse, FDP
„Die Freien Demokraten setzen sich für einen leistungsfähigen und effizienten ÖGD ein. Der ÖGD benötigt neben einer soliden finanziellen Ausstattung einen Digitalisierungsschub. Die vakanten Stellen müssen besetzt werden – und dies schafft man nur mit der Steigerung der Attraktivität des ÖGD als Arbeitgeber. Speziell der ÖGD in Hamburg soll auch die Gesundheitswirtschaft stärken, damit Hamburg als Innovationsstandort gewinnt. Hier können ergänzende Angebote und Beteiligungen an Startups sinnvoll sein. Zudem unterstützen wir die Forderungen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, die im Gutachten 2018 „Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung“ formuliert werden. Kerngedanke ist demnach ein bedarfsorientierter und effizienter Ressourceneinsatz im Gesundheitswesen, der Über-, Unter- und Fehlversorgung vermeidet. Dahingehend sind auch für den ÖGD die Problemfelder in der bisherigen Arbeit zu identifizieren sowie die Rahmenbedingungen und seine Aufgaben zu hinterfragen. Ziel muss es sein, den ÖGD in seiner Hauptaufgabe der öffentlichen Gesundheitsversorgung und Public Health zu stärken, dafür arbeitsfähige und unbürokratische Strukturen zu schaffen und die Kommunikation der Gesundheitsämter untereinander zu verbessern."
Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) hat ihre Stabilität und Leistungsfähigkeit, auch in der Pandemie, unter Beweis gestellt. Es stellt sich die grundlegende Frage, wie der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen noch fairer gestaltet werden kann. Aus Sicht der Ersatzkassen braucht es eine einheitliche Bundesaufsicht für alle Krankenkassen. Die Zersplitterung der Aufsichtsverantwortung mit der Folge unterschiedlicher Aufsichtspraxen zwischen Bund und Ländern bremst allzu oft regionale Initiativen zur Versorgungsverbesserung. Stimmen Sie dieser Position zu?
Aydan Özoğuz, SPD
„Grundsätzlich stimme ich dieser Position zu. Ein gesetzlicher Flickenteppich hilft nicht weiter, wenn die Qualität der Leistungen im Vordergrund stehen soll. Dies umfasst strukturelle, organisatorische und inhaltliche Unterschiede zwischen den Ländern. Konkrete Maßnahmen sollten in der kommenden Legislaturperiode intensiv beraten und ausgestaltet werden."
Katharina Beck, Die Grünen
„Eine einheitliche Bundesaufsicht für alle Krankenkassen könnte die Bedingungen, unter denen die Kassen arbeiten, vereinheitlichen. Sie sollte allerdings keine Hürden für lokale Initiativen hochschrauben, sondern Entscheidungen vor Ort ermöglichen und stärken."
Christoph Ploß, CDU
„Eine vollständige Vereinheitlichung der Bundesaufsicht für alle Krankenkassen lehnen wir ab. Hier gibt es verfassungsrechtliche Bedenken. Der Angleichung von Mechanismen der Aufsichtsbehörden stehen wir positiv gegenüber, um für alle Beteiligten für Rechtsklarheit zu sorgen."
Żaklin Nastić, Die Linke
„Ja, aus unserer Sicht spricht viel für eine bundeseinheitliche Aufsicht über die Krankenkassen. Dies ist allerdings ohne eine Zustimmung mit Zweidrittelmehrheit auch im Bundesrat aufgrund der erforderlichen Grundgesetzänderung unmöglich."
Michael Kruse, FDP
„Die FDP unterstützt eine bundeseinheitliche Aufsicht. Der faire Wettbewerb zwischen den Kassen kann nicht mit unterschiedlichen Aufsichten und Auslegungen von Verordnungen und Rechtlagen gelingen. Zudem müssen die gesetzlichen Krankenversicherungen mehr Möglichkeiten für einen Qualitätswettbewerb erhalten. Zum Beispiel in dem die Möglichkeit für mehr Satzungsleistungen, regionale Versorgungsverträge und bessere Investitionsmöglichkeiten in Innovationen geschaffen werden. Eine bundeseinheitliche Aufsicht muss die Rahmen setzen, darf die Kassen dabei aber nicht drangsalieren. Eine Bevormundung oder gar Verbotspolitik darf nicht tägliches Stilmittel der Aufsicht sein. Die Selbstverwaltung muss gestärkt werden und der Handlungsspielraum für die Kassen muss ausgeweitet werden. Wir setzen uns für mehr unternehmerisches Handeln in der Kassenlandschaft ein, die der langfristigen Finanzierung, der Versorgung und somit den Versicherten dient!"