Resilienz für pflegende Angehörige – Erfahrungen aus einem Präventionsprojekt

Freiräume schaffen, Selbstfürsorge zulassen

Frau mit großer Brille vor grünem Garten
Ann-Kathrin Godt

Manchmal kommt es anders als gedacht – und kann trotzdem gut sein. Diese Erfahrung haben Ann-Katrin Godt und Jürgen Wehmeyer bei der vacances Tagespflege Lesum gemacht. Seit mehr als zwei Jahren führen sie dort ein angepasstes Resilienz-Training für Besucher der Tagespflege durch. Aus diesem Projekt heraus, das bereits vom Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek) im Auftrag der Ersatzkassen gefördert wird (hier geht es zum Bericht), entstand die Idee, auch mit den pflegenden Angehörigen der Tagespflegegäste Resilienz einzuüben. Auch dieses Teilprojekt wird vom vdek finanziell unterstützt.

Grundidee war, möglichst viele Elemente des Resilienz-Trainings nach Loovanz und dem Bambus-Prinzip für die jungen Senioren zu übernehmen. Doch dieser Plan konnte zunächst nicht umgesetzt werden, erinnert sich Ann-Katrin Godt. „Die Angehörigen waren nach Jahren des einsamen Pflegens an der Grenze ihrer Belastbarkeit, fühlten sich in ihrem Umfeld nicht verstanden und hatten ein großes Mitteilungsbedürfnis.“ So stand zu Beginn jedes Kurses erst einmal der Austausch im Vordergrund. Auf diesem Wege sollten langsam Ressourcen aufgebaut werden für die eigentlichen Kursinhalte.

Schlechtes Gewissen überwinden

Bis dahin war es allerdings noch ein weiter Weg. Durch Entspannungsübungen und den Austausch stellten die sieben Teilnehmerinnen und ein Teilnehmer fest, dass sie sich mit der Rolle als pflegende Angehörige überidentifizierten.  „Das schlechte Gewissen, wenn sie sich auch einmal Zeit für sich zu nahmen oder das Gefühl hatten, nicht freundlich genug mit dem Partner umzugehen, stand im Mittelpunkt“, weiß Godt.  Um die emotionalen Verstrickungen aufzulösen, diskutierte die Gruppe pflegeethische Prinzipien. „Dabei wurde deutlich, dass es den Gepflegten mehr schadet als nutzt, wenn die Partnerin keine Selbstfürsorge übt und dann krank wird.“

Vier Frauen um einen Tisch sitzend, mit Sanduhren in der Hand

Anhand von Sanduhren lernen die Kursteilnehmerinnen, sich im Alltag Zeit für die eigene Gesundheit zu nehmen.

Durch kleine Veränderungen begannen die Kursteilnehmerinnen nun, in ihrem Alltag Freiräume zu schaffen. „Dabei hat sich die Tiny Habit Methode bewährt, mit der niedrigschwellig neue Gewohnheiten etabliert werden.“ So empfahl sie, nach jedem Mittagessen eine Sanduhr umzudrehen, auf die Atmung zu achten und der Sanduhr beim Ablaufen zuzuschauen. Andere berichteten, dass sie, immer wenn sie wütend auf ihren Partner waren, den Raum verlassen und sich im Garten sammeln.

Die nächste Stufe des Raumschaffens war für die meisten, den Partner zeitweise in einer Tagesstätte unterzubringen und so die Situation zu ändern, oder wenn dies nicht möglich schien, ihre Bewertung der Situation zu verändern. Mittlerweile war die Gruppe soweit zusammengewachsen, so Godt, dass sie sich schrittweise in Richtung einer Selbsthilfegruppe entwickeln konnte. Das nächste Ziel: Die Teilnehmerinnen unterstützen sich weiterhin langfristig, tauschen sich aus und motivieren sich, die gelernten Resilienz-Methoden in den Alltag zu integrieren. Und um die Erfahrungen aus diesem ersten Projekt umzusetzen, wird bereits eine zweite Gruppe für pflegende Angehörige angeboten.

Prävention muss früher beginnen

Gruppenleiterin Ann-Katrin Godt resümiert rückblickend: „Die meisten Teilnehmerinnen waren zu Beginn körperlich, emotional und geistig erschöpft, so dass es nicht möglich war, einen klassischen Resilienzkurs anzubieten. Der Kurs musste kontinuierlich an die Entwicklung der Teilnehmerinnen und an ihre Tagesform angepasst werden.“

Als Konsequenz würde sie sich wünschen, dass pflegende Angehörige viel eher erreicht und unterstützt werden und nicht erst an ihre physischen und psychischen Grenzen stoßen. Idealerweise könne bereits der Arzt, der z.B. die Diagnose Demenz stellt, auf Hilfsangebote hinweisen. „Wenn die Angehörigen erst später an einem Resilienzkurs teilnehmen, bedeutet dies einen langen begleiteten Prozess, der über einen konventionellen Kurs weit hinausgeht.“