„Wir müssen eine Brücke schlagen zum Alltag älterer Menschen“
Im Gespräch
Die Wissenschaftlerin Dr. Claudia Lampert beschäftigt sich schon seit längerem mit der Frage, wie die Kommunikation von Gesundheitsthemen verbessert werden kann. Sie ist Senior Researcher im Bereich Gesundheitskommunikation am Hamburger Leibniz-Institut für Medienforschung|Hans-Bredow-Institut. Ihre Expertise fließt in das vom Verband der Ersatzkassen initiierte Projekt „Gesund digital – Fit für Apps und Internet“ ein. Mit dem Programm, das im Sommer 2022 als befristetes Projekt gestartet ist und seit Anfang 2024 dauerhaft angeboten wird, bieten die Ersatzkassen Patientinnen und Patienten Aufklärung rund um die Digitalisierung im Gesundheitswesen an. Das Projekt richtet sich gezielt an Versicherte mit besonderem Unterstützungsbedarf im Umgang mit digitalen Lösungen, etwa chronisch Kranke oder Ältere.
vdek: Wie sieht gute Gesundheitskommunikation aus?
Dr. Claudia Lampert: Gesundheitskommunikation ist in meinen Augen immer dann gelungen, wenn alle Menschen die Möglichkeit haben, bestimmte Informationen und Zusammenhänge zu verstehen. Und zu begreifen, was beispielsweise das Thema Digitalisierung mit ihrer eigenen Gesundheit zu tun hat. Dazu gehört auch das Verständnis dafür, wie man Gesundheitsinformationen und digitale Gesundheitsangebote in den eigenen Alltag integriert. Wir sehen allerdings insgesamt, dass die sogenannte digitale Gesundheitskompetenz in vielen Bevölkerungsgruppen unzureichend ist. Zum einen fällt es manchen Gruppen schwer, die Zuverlässigkeit der Quelle zu beurteilen, aus der eine Information stammt. Zum anderen bereitet das inhaltliche Verständnis und die Bewertung von Gesundheitsinformationen Probleme.
vdek: Sie haben eine Studie mit Interviews dazu durchgeführt, wie ältere Menschen digitale Gesundheitsangebote nutzen. Was waren die Ergebnisse?
Dr. Claudia Lampert: Mit dem Älterwerden häufen sich oftmals Krankheiten, schon allein dadurch sind ältere Menschen deutlich mehr mit Gesundheitsthemen befasst als jüngere. In den Interviews haben wir gesehen, dass sich Ältere überfordert fühlen - von der Masse, aber auch der Widersprüchlichkeit der verfügbaren Informationen. Oftmals werden Begrifflichkeiten oder die verwendete Sprache als unverständlich empfunden. Zusätzlich fällt es schwer, die Informationen unter Einbezug der eigenen Gesundheitssituation zu beurteilen. Also zum Beispiel einzuordnen, ob eine Behandlungsform oder Therapie für den eigenen Fall überhaupt passend ist. Das überfordert aber natürlich nicht nur speziell ältere Menschen, sondern einen Großteil der Bevölkerung.
Wir konnten feststellen, dass ältere Menschen sich beispielsweise darüber informieren, welche Krankenhäuser eine bestimmte Leistung anbieten. Sie suchen also nach Orientierung im Gesundheitswesen. Für die Befragten schien es zudem wichtig, einen konkreten Mehrwert der Digitalisierung für sich erkennen zu können, im Sinne eines alltagspraktischen Nutzens.
vdek: Alltagspraktischer Nutzen – was verstehen Sie darunter?
Dr. Claudia Lampert: Ein solcher Nutzen lässt sich gut an folgendem Beispiel erklären: Wir haben unsere Teilnehmenden zu digitalen Anwendungen befragt, wie der ePA, der elektronische Patientenakte, oder dem E-Rezept. Dabei konnten wir feststellen, dass Menschen, die oft bei Ärzt:innen sind, weil sie beispielsweise chronische Krankheiten haben, die Idee der ePA und ihre Möglichkeiten zum Datenaustausch grundsätzlich als Bereicherung ansehen. Für fittere Befragte spielte die Akte jedoch keine oder nur eine sehr geringe Rolle. Beim E-Rezept hingegen waren sich die Befragten eher einig, dass dieses keinen besonderen Mehrwert für sie hat – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Einige Befragte schätzen das Gespräch mit den Apotheker:innen, andere bestellen sich ihre Medikamente längst im Internet und das funktioniert für sie auch ohne ein spezielles elektronisches Rezept.
vdek: Welche Bedeutung hat Digitalisierung damit für Menschen über 60 Jahren?
Dr. Claudia Lampert: Man denkt gerne, durch die Digitalisierung werden neue und viele Möglichkeiten geschaffen, die allen das Leben erleichtern. Aber aus Sicht der Nutzenden bedeutet die Digitalisierung auch, dass sie mehr Verantwortung für ihr gesundheitsbezogenes Handeln übernehmen müssen. Für die einen ist es eine Chance, weil sie informierter sind und entsprechend informiertere Entscheidungen treffen können. Für die anderen ist mitunter genau das eine Überforderung. Auf einmal sollen sie selbst ihre Gesundheitsdaten mit der ePA verwalten. Oder bei Abrechnungen alle Unterlagen einscannen, die sie zuvor einfach in einen Briefumschlag gesteckt und an eine zuständige Person geschickt haben. Insofern stellt sich vielen die Frage: Wie viel Verantwortung kann und will ich für mein Gesundheitshandeln übernehmen?
vdek: Wie können die Erkenntnisse genutzt werden, um sich guter Gesundheitskommunikation anzunähern?
Dr. Claudia Lampert: Es macht einen Unterschied, ob jemand ein Thema – wie etwa digitale Gesundheitsangebote und ihr praktischer Nutzen – versteht, und ob die Person dann auch dazu bereit und in der Lage ist, diese Angebote zu nutzen. Für die Ansprache der gewünschten Zielgruppe bedeutet das, dass man sich überlegen muss: Welche Medienkompetenzen besitzen die Menschen? Wie sehen ihre digitalen und gesundheitsbezogenen Nutzungspraktiken aus? Wo kann und muss ich ältere Menschen abholen?
vdek: Und wo muss man ältere Menschen abholen?
Dr. Claudia Lampert: Eine hübsche Plattform mit Gesundheitsinformationen und zu digitaler Gesundheitskompetenz allein nützt wenig. Wir können nicht davon ausgehen, dass die Zielgruppe von sich aus auf die Suche nach Informationen zu dem Thema macht. Die Menschen müssen erstmal für das Thema sensibilisiert werden. Insofern müssen wir eine Brücke schlagen zum Alltag der Zielgruppe: Wir brauchen unterschiedliche Zugänge, die auf ältere Menschen zugeschnitten sind. Jemand, der ein geringes Interesse an Gesundheitsthemen hat und vielleicht eine niedrigere Medienkompetenz, muss ganz anders angesprochen werden als jemand, der mit dem Thema bereits vertraut ist und auch schon einige Erfahrungen im Umgang mit digitalen Medien hat. Bei Menschen über 60 macht es Sinn, analoge und digitale Angebote zu kombinieren.
vdek: Es gibt also kein Format, das alle erreicht, kein „one size fits all“?
Dr. Claudia Lampert: Vor allem ist es wichtig, sich anzuschauen: Wie informieren sich ältere Menschen über Gesundheitsthemen, welches sind ihre bevorzugten Quellen und mit welchen Geräten haben sie Erfahrungen und sind sie online unterwegs? Die meisten sind gut ausgestattet, haben ein Smartphone. Viele besitzen auch ein Tablet oder einen PC. Sie nutzen diese Geräte allerdings für sehr unterschiedliche Dinge. Das Smartphone wird in erster Linie zum Telefonieren und Fotografieren verwendet. Wenn es um gezielte Informationssuche und -verarbeitung geht, dann machen sie das lieber am PC mit großem Bildschirm. Sie können schlicht mehr erkennen und die Informationen vielleicht ausdrucken, um sie danach nochmal zu lesen oder sich Notizen zu machen.
Die Navigation auf dem Smartphone ist für viele schwierig, der Bildschirm ist klein, die Hände wollen vielleicht nicht mehr so richtig – das birgt praktische Schwierigkeiten, die zu den inhaltlichen noch dazukommen. Das verdeutlicht, dass wir die digitalen Nutzungspraktiken, also was Menschen mit ihren Geräten machen, noch besser bei der Planung gesundheitskommunikativer Angebote berücksichtigen müssen.
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Interview: Isabella Tartamella und Stefanie Kreiss