Patient Notfallversorgung

Blutige Hand mit Kanuele_copyright gorodenkoff

Der junge Mann war im besten Alter, Mitte 30, doch eines Nachts schmerzte sein Rücken. Statt einen Termin mit seinem Hausarzt zu vereinbaren, rief er direkt unter der 112 den Notdienst. Als dann mitten in der Nacht die Rettungssanitäter in der Tür standen und den Mann fragten, warum er sich zuvor nicht vom Hausarzt habe behandeln lassen, sagte der er: „Ich habe es zeitlich einfach nicht geschafft."

Solche und ähnliche Situationen systemfremder Einsätze erleben viele Mitarbeitende im Rettungsdienst regelmäßig.

Der Rettungsdienst hat als primäre Aufgabe, Notfallpatientinnen und -patienten zu stabilisieren und in ein geeignetes Krankenhaus zu transportieren. Doch mit Blick auf aktuelle (und künftige) Problemlagen könnte die Notfallversorgung in Sachsen und deutschlandweit bald selbst zum „Patient“ werden: Die steigende Notrufzahl und die vermehrte Inanspruchnahme notfallmedizinischer Versorgungsstrukturen sowie die Zunahme systemfremder Einsätze belasten das System der Notfallversorgung zunehmend. Diese Rahmenbedingungen blockieren Kapazitäten in Notaufnahmen und steigern das Frustpotenzial bei den Rettungskräften. Denn wenn der Rettungswagen wegen eines Bagatelleinsatzes unterwegs ist, kann er einem Herzinfarkt- oder Schlaganfallpatienten nicht helfen. Der Rettungsdienst wird hierdurch gewissermaßen seiner eigentlichen Aufgabe – nämlich der Versorgung von lebensbedrohlichen Notfällen – entzogen.

Insgesamt hat das Einsatzaufkommen in den vergangenen zehn Jahren in Sachsen um rund 20 Prozent zugenommen. Entsprechend mehr Rettungsdienst-Fahrzeuge werden auch vorgehalten. Und was vielen Menschen wahrscheinlich so nicht bewusst ist: Für einen durchschnittlichen Notfalleinsatz belaufen sich die Kosten in Sachsen im Jahr 2023 auf 1.185,24 Euro.

Insbesondere durch die Leistungsausweitung entsteht insgesamt das Bild eines mindestens be-, wenn nicht sogar bereits überlasteten prästationären Notfallversorgungs-Systems. Hinzukommen z. T. ineffiziente und ineffektive Parallelstrukturen: Der Rettungsdienst hält ein flächendeckendes Netz an Rettungswachen mit einer engmaschigen Versorgungsstruktur vor. Dem gegenüber steht das System des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes (KBD). Ein Grund ist die in weiten Regionen bereits auftretende bzw. drohende Unterversorgung insbesondere im hausärztlichen Bereich – mit einer Ausdünnung der Arztdichte bzw. einer fehlenden Nachbesetzung von Arztsitzen. Hierdurch werden die jeweils durch einen Arzt abzudeckenden Versorgungsgebiete immer größer. Es entstehen längere Fahrtwege, damit auch längere Wartezeiten. Aufgrund von Ungeduld oder Angstempfinden der Patient:innen wird die lange Wartezeit dann mit der Wahl des Notrufes kompensiert. Außerdem bleibt oft für die Patient:innen bei selbsterklärter Unzuständigkeit des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes nur der Rettungsdienst als Versorgungsmöglichkeit übrig. Dieser muss dadurch bestehende Versorgungsmängel kompensieren.

Zur aktuellen Situation in der sächsischen Notfallversorgung: Beitrag von TAG24 vom 09.07.2023

Dringender Reformbedarf bei der Notfallversorgung

Bereits 2018 veröffentlichte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen ein Gutachten, mit dem ein politischer Prozess für eine Reform der Notfallversorgung eingeleitet wurde. Der 2020 angestoßene Reformprozess wurde jedoch – unter anderem aufgrund der Corona-Pandemie – nicht fortgeführt, obgleich die Problemfelder nach wie vor existieren.

Im Zuge der laufenden Krankenhausreform auf Bundesebene beschäftigt sich die "Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung" u.a. auch mit Themen der Notfall- und Akutversorgung und hat hierfür bislang zwei Stellungnahmen sowie Empfehlungen zur Weiterentwicklung abgegeben.

Vierte Stellungnahme und Empfehlung der Regierungskommission Reform der Notfall- und Akutversorgung: Integrierte Notfallzentren und Integrierte Leitstellen

13.02.2023

Neunte Stellungnahme und Empfehlung der Regierungskommission Reform der Notfall- und Akutversorgung: Rettungsdienst und Finanzierung

07.09.2023

Der Rettungsdienst soll nach Vorschlägen der Regierungskommission reformiert werden. Der GKV-Spitzenverband hat jetzt in einem Papier formuliert, welche Schritte aus seiner Sicht dafür nötig sind. Leitgedanken für einen leistungsstarken Rettungsdienst müssen demnach bundesweite Vorgaben und eine transparente Vernetzung der Akteurinnen und Akteure sein.

Doch wie kann der „Patient Notfallversorgung“ auch in postpandemischen Zeiten wieder kuriert werden? Was braucht es im Kontext von Maximen wie „ambulant vor stationär“ und in Zeiten chronischen Fachkräftemangels – sowohl im notärztlichen als auch niedergelassenen Kontext –, um das bestehende System der Notfallversorgung wieder auf sichere Füße zu stellen?

Wie kann in allen Sektoren die – konsequent aus Perspektive der Patient:innen gedachte – Versorgungsqualität wieder gesteigert werden? Ideen bestehen z. B. im Abbau von Doppelressourcen, der sektorenunabhängigen Beurteilung des Patientenbedarfs, der Priorisierung von Versorgungsaufträgen, flexiblen Einsätzen von Rettungsmitteln und bedarfsgerechten Transporten. Die sächsische Staatsregierung hat die Novellierung des Sächsischen Gesetzes über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz (SächsBRKG) mit dessen Inkrafttreten zum 08.01.2024 vollzogen.  

Entwicklung der Anzahl und Kosten von Rettungsdiensteinsätzen in Sachsen

Bei gleichbleibend hohen Einsatzzahlen des Rettungsdiensts in Sachsen steigen kontinuierlich die Gesamtkosten -in 2021 wurden fast 350 Mio. Euro für den Rettungsdienst ausgegeben. Dabei verursachen sogenannte Bagatelleinsätze erhebliche Mehrkosten.

Basisdaten Sachsen Rettungsdienst Einsätze Kosten Anzahl

Anzahl und Kosten der Einsätze des Rettungsdienstes in Sachsen

in absoluten Zahlen und in Mio. Euro

2011 - 2021

Titelblatt ersatzkasse magazin. (2. Ausgabe 2023)

Neue Ausgabe ersatzkassemagazin Ersatzkassen spielen tragende Rolle bei Sicherstellung notärztlicher Versorgung in Sachsen

Welche Rolle die Ersatzkassen in Sachsen bei der Sicherstellung notärztlicher Versorgung spielen, lesen Sie auf S. 30 in der Ausgabe 2/2023 des ersatzkassemagazin (Rubrik "#regionalstark").

Krankenwagen

112 vs. 116117: Für alle Fälle die richtige Nummer

Jeder Mensch ist in akuten Notsituationen schnell überfordert. Lesen Sie hier, welche Hilfen es für die Entscheidung gibt, ob der Rettungs- oder der (kassen-)ärztliche Bereitschaftsdienst konsultiert werden sollte. Und welche Auswirkungen die (Über-)Beanspruchung der Notfallversorgung auf das gesamte System hat. » Lesen

Notaufnahme: Arzt und Krankenpfleger mit Patienten im Flur

Gestuftes System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern

Bei der stationären Notfallversorgung geht es um die nicht geplante, medizinisch dringend angezeigte Krankenhausbehandlung einer Patientin oder eines Patienten. Der G-BA hat für die stationäre Notfallversorgung am 19.04.2018 die Erstfassung der Regelungen zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern (§ 136c Absatz 4 SGB V) beschlossen. Die Umsetzung der Vorgaben des G-BA erfolgt auch in Sachsen klinikindividuell im Zuge der Budgetverhandlungen.

Paragraphsymbol vor blauer Wand_Rocco-HermanniStockgetty

Notfallrettung – Bundes- und Landesrecht

Lesen Sie hier, wieso der Bereich der Notfallrettung in Deutschland in drei Bereiche aufgeteilt ist und wieso diese – auch aus historischen Gründen – ordnungsrechtlich und bezüglich ihrer Finanzierungssystematik weitgehend getrennt geregelt sind. » Lesen