Stellungnahme zum Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG)

Kabinettsentwurf eines Gesetzes zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege
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Am 5.4.2023 wurde vom Bundeskabinett ein Entwurf für ein Gesetz zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege (Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz – PUEG) beschlossen. Regelungsinhalt des Entwurfs sind einerseits eine Ausweitung der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung (SPV), die kurzfristige Sicherung der finanziellen Lage der SPV und auf der anderen Seite die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Berücksichtigung des Erziehungsaufwands von Eltern im Beitragsrecht. Dies soll durch eine Beitragssatzdifferenzierung nach der Anzahl der Kinder mit Altersbegrenzung umgesetzt werden. Zur Finanzierung dieser Maßnahmen wird im Wesentlichen eine Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes vorgesehen.

Zum 1.7.2023 soll der allgemeine Beitragssatz zur SPV um 0,35 Prozentpunkte auf dann 3,40 Prozent steigen. Dadurch sollen der SPV in 2023 Mehreinnahmen von 3,15 Milliarden Euro sowie ab 2024 pro Jahr 6,6 Milliarden Euro mehr zufließen. Parallel steigt der Kinderlosenzuschlag von 0,35 Prozent auf 0,60 Prozent. In Abhängigkeit von der Anzahl der Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, werden Abschläge auf den allgemeinen Beitragssatz gewährt. Mitglieder mit einem Kind unter 25 Jahren zahlen den allgemeinen Beitragssatz von 3,40 Prozent. Mitglieder mit zwei Kindern bis zum genannten Alter zahlen zukünftig einen Beitragssatz von 3,15 Prozent, was einem Abschlag in Höhe von 0,25 Prozentpunkten entspricht, für jedes weitere Kind unter 25 Jahren ergibt sich ein weiterer Abschlag in Höhe von jeweils 0,25 Beitragssatzpunkte. Somit beträgt der Beitragssatz bei Eltern mit drei Kindern 2,90 Prozent, bei Eltern mit vier Kindern 2,65 Prozent und für Mitglieder mit fünf oder mehr Kindern gilt ein Beitragssatz von 2,4 Prozent statt 3,4 Prozent. Die Abschlagsregelungen sollen dem Wortlaut des Entwurfs zufolge finanzneutral gestaltet werden. Jedoch steigen im Ergebnis die Beiträge für alle Mitglieder der SPV, die weniger als drei Kinder haben. Die Differenzierung des Beitragssatzes geht auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von April 2022 zurück, wonach im Beitragsrecht der SPV der Erziehungsaufwand von Eltern stärker berücksichtigt werden muss.

Als weitere Maßnahmen zur Schließung der Finanzlücke in der SPV ist vorgesehen, die jährliche Zuführung für das Jahr 2023 an den Pflegevorsorgefonds auf 2024 zu verschieben. Dadurch entstehen Mindereinnahmen von 1,7 Milliarden Euro in 2023 und Mehrausgaben in gleicher Höhe in 2024. Die Rückzahlung des in 2022 vom Bund gewährten Darlehens in Höhe von einer Milliarde Euro soll mit dem PUEG teilweise verschoben werden. Es ist vorgesehen, dass das Darlehen hälftig, in Höhe von 0,5 Milliarden Euro bis zum 31.12.2023 zurückgezahlt werden soll. Die zweite Hälfte soll bis Ende 2028 zurückgezahlt werden. Schließlich soll die Verwaltungskostenpauschale, die die SPV an die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) leistet, von 3,2 Prozent auf 3 Prozent gesenkt werden. Die Höhe ist abhängig vom Mittelwert der SPV-Aufwendungen und der SPV-Beitragseinnahmen. Diese Kostenverlagerung von der SPV in die GKV wird im Gesetzentwurf mit 100 Millionen Euro angesetzt.

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) wird bis zum 31.5.2024 Empfehlungen für eine stabile und dauerhafte Finanzierung der SPV vorlegen. Hierbei soll insbesondere auch die Ausgabenseite der sozialen Pflegeversicherung betrachtet werden. Bei der Erarbeitung der Empfehlungen werden das Bundesministerium der Finanzen (BMF), das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) sowie das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) beteiligt.

Falls weitere kurzfristige Liquiditätsbedarfe entstehen, soll die Bundesregierung ermächtigt werden, den allgemeinen Beitragssatz im Wege einer Rechtsverordnung anzuheben. Die Zustimmung des Bundesrates ist notwendig. Mehrere Anpassungen durch Rechtsverordnung dürfen insgesamt nicht höher als 0,5 Beitragssatzpunkte über dem jeweils zuletzt gesetzlich festgesetzten Beitragssatz liegen.

Der Entwurf sieht auch einige Leistungsverbesserungen vor. So soll das Pflegegeld und die ambulanten Pflegesachleistungsbeträge jeweils um fünf Prozent zum 1.1.2024 angehoben werden. Zu zwei Zeitpunkten, im Jahr 2025 und im Jahr 2028, erfolgen weitere Anpassungen. Zum 1.1.2025 steigen alle Leistungsbeträge um fünf Prozent und zum 1.1.2028 sollen diese an die allgemeine Preisentwicklung angenähert werden. Zudem sollen die seit dem 1.1.2022 ausgezahlten Leistungszuschläge zur Reduktion der Eigenanteile in der stationären Pflege zum 1.1.2024 um fünf bis zehn Prozentpunkte steigen. Diese wurden erst 2021 mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) eingeführt und sind individuell abhängig von der Zeit, in der sich die jeweiligen Pflegebedürftigen bereits im stationären Leistungsbezug befinden.

Leider wurde im Vergleich zum Referentenentwurf auf die Zusammenlegung der Kurzzeit- und der Verhinderungspflege zu einem gemeinsamen Jahresbetrag verzichtet. Die Neuregelung sollte eine Vereinfachung für die Pflegenden bringen und dazu führen, dass in bestimmten Fallkonstellationen mehr Verhinderungspflege in Anspruch genommen werden kann.

Die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen sollen verpflichtet werden, sich an die Telematikinfrastruktur anzuschließen.

Ebenfalls verzichtet wurde auf das eigentlich geplante Informationsportal über freie Kapazitäten sowie auf das gemeinsame Modellprogramm der SPV mit den Ländern und Kommunen. Die SPV hätte p.a. 50 Millionen Euro für ein Förderbudget der Länder und Kommunen bereitstellen sollen, um innovative Modellvorhaben für neue Pflegestrukturen vor Ort zu realisieren. Das Programm zur Förderung von guten Arbeitsbedingungen in der Pflege soll nun, entgegen der ursprünglichen Planung, doch nicht über 2024 hinaus verlängert werden.

Bewertung

Der Entwurf greift in vielen Bereichen aus Sicht des vdek viel zu kurz. Zwar werden einige wenige Leistungsverbesserungen vorgenommen. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Jedoch werden die Maßnahmen die Ausgabenentwicklung und finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen allenfalls kurzfristig auffangen können. Zur Finanzierung der bestehenden Defizite und der zusätzlichen Leistungen werden allein die Beitragszahlenden herangezogen.

Durch die Begrenzung der Beitragsentlastung auf Eltern mit Kindern, welche das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist davon auszugehen, dass im Ergebnis die Belastung der Beitragszahlenden insgesamt im Vergleich zum Referentenentwurf steigt, da sehr viel weniger Eltern unter diese Regelungen fallen.

Die vor Kabinettsbefassung vorgenommenen Streichungen von zusätzlichen Ausgaben können nur bedingt nachvollzogen werden. Dies gilt insbesondere für den Verzicht auf den gemeinsamen Jahresbetrag für Verhinderungs- und Kurzzeitpflege. Die mit der Zusammenlegung der beiden Leistungen verbundenen Leistungsverbesserung und die einfachere Leistungsinanspruchnahme für die Pflegebedürftigen sowie administrative verbesserte Umsetzung bei den Pflegekassen entfallen damit. Die Herausnahme der Regelung ist nicht nachvollziehbar. Das von der Bundesregierung genannte Ausgabenvolumen von 500 Millionen Euro für die Leistungsausweitung erscheint dem vdek ohnehin zu hoch angesetzt. Die Mehrausgaben werden vielmehr auf rund 290 Millionen Euro geschätzt. Da die weit überwiegende Mehrheit der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt wird, wäre der Nutzen der Mehrausgabe für diese Menschen und ihre Pflegepersonen hoch.

Die Bundesregierung räumt mit dem Arbeitsauftrag an mehrere Ministerien, eine zukunftsfähige Finanzierung der Pflegeversicherung bis 31.5.2024 vorzuschlagen, ein, dass der vorliegende Entwurf nicht nachhaltig ist. Warum dennoch eine nun im Umfang begrenzte Verordnungsermächtigung der Bundesregierung geschaffen wird, ist auch mit Bezug auf das Zustimmungserfordernis des Bundesrats nicht nachvollziehbar. Die Bundesregierung setzt mit dem vorliegenden Entwurf die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags nicht um und verzichtet auf eine Anhebung des Anteils von Steuermitteln. Es ist zu befürchten, dass die Verordnungsermächtigung letztlich dazu führt, dass demokratische Entscheidungsprozesse umgangen werden und der Bund sich seiner Finanzverantwortung weiterhin entziehen will.

Zentrale Punkte des Koalitionsvertrags wurden bisher nicht eingehalten. So werden die Rentenbeiträge pflegender Angehöriger nicht aus Steuermitteln finanziert. Das würde die Pflegeversicherung und die Beitragszahler um bis zu 3,7 Milliarden Euro jährlich entlasten. Zudem wird die Ausbildungskostenumlage nicht aus den einrichtungsbezogenen Eigenanteilen ausgegliedert und über Steuermittel finanziert. Dies würde die Pflegebedürftigen monatlich um 115 Euro entlasten und wäre sachgerecht, da Ausbildungskosten eine gesamtgesellschaftlich zu finanzierende Aufgabe ist. Das würde die Pflegebedürftigen in den stationären Pflegeeinrichtungen entlasten. Zudem ist es aus Sicht des vdek notwendig, pandemiebedingte Finanzlasten in Höhe von 5,5 Milliarden Euro vollständig durch Steuermittel auszugleichen. Mit Blick auf die laufend steigende finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen in der stationären Pflege sollten endlich auch die Bundesländer in die Verantwortung genommen werden und die Investitionskosten der stationären Altenpflege vollständig übernehmen. Dies würde die Pflegebedürftigen, die in einer stationären Pflegeeinrichtung leben, sofort monatlich um durchschnittlich 472 Euro entlasten.

Die Ampel-Koalition hält ihr Leistungsversprechen nur bedingt ein und sorgt nur punktuell für Leistungsverbesserungen erst ab 2024. Die Anhebung des Pflegegeldes und der Sachleistungen im ambulanten Bereich sind grundsätzlich unterstützenswert, gleiches gilt für die Erhöhung der Zuschüsse zu den Eigenanteilen in der stationären Pflege. Wegen der im Gegenzug zu erwartenden höheren Pflegesätze in der stationären Pflege bleibt aber fraglich, ob damit der Tendenz einer steigenden Zahl an Sozialhilfeempfängern im stationären Bereich begegnet werden kann.

Die Differenzierung der Beitragssätze nach der Zahl der Kinder ist mit Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7.4.2022 nachvollziehbar. Allerdings werden unter den Bedingungen der geplanten Beitragssatzerhöhung im Vergleich zum Status quo tatsächlich nur Familien mit drei oder mehr Kindern unter 25 Jahre entlastet. Es ist gut, dass der Entwurf nun eine Fristverlängerung bis Ende 2024 bei der nachträglichen Verrechnung von Beiträgen gewährt. Insgesamt ist jedoch anzumerken, dass das Verfahren für die beitragsabführenden Stellen mit einem erheblichen Aufwand bei der Erfassung der Kinderzahl verbunden ist. Gleichwohl wird dieser Verwaltungskostenaufwand nicht erstattet. Vielmehr sieht sich die GKV in ihrer Funktion als Durchführungsstelle einer Kürzung der Verwaltungskostenerstattung gegenüber. Grundsätzlich regt der vdek an, alle Gesetzentwürfe zukünftig einer standardmäßigen Überprüfung ihrer Vereinbarkeit mit digitalen Prozessen zu unterziehen.

Langfristig ist es geboten, einen stabilen und dynamisierten Steuerzuschuss in die SPV zu gewähren. Der Zuschuss könnte regelgebunden z. B. als Anteil der Leistungsausgaben ausgestaltet werden, der im Gleichtakt mit den SPV-Ausgaben steigt. Zudem sollte die Private Pflegeversicherung (PPV) am Solidarausgleich der SPV beteiligt werden. Der Finanzausgleich könnte die SPV um bis zu zwei Milliarden Euro jährlich entlasten.

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