Stellungnahme zum Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG)

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege
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Am 24.2.2023 wurde vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ein Referentenentwurf für ein Gesetz zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege (Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz - PUEG) vorgelegt und die Verbändeanhörung für den 9.3.2023 angesetzt. Regelungsinhalt des Referentenentwurfs sind einerseits eine Ausweitung der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung (SPV) und auf der anderen Seite die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Berücksichtigung des Erziehungsaufwands von Eltern im Beitragsrecht. Dies soll durch eine Beitragssatzdifferenzierung nach der Anzahl der Kinder umgesetzt werden. Zur Finanzierung dieser Maßnahmen wird im Wesentlichen eine Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes vorgesehen.

Zum 1.7.2023 soll der allgemeine Beitragssatz zur SPV um 0,35 Prozentpunkte auf dann 3,40 Prozent steigen. Dadurch sollen der SPV in 2023 Mehreinnahmen von 3,15 Milliarden Euro sowie ab 2024 pro Jahr 6,6 Milliarden Euro mehr zufließen. Parallel steigt der Kinderlosenzuschlag von 0,35 Prozent auf 0,60 Prozent. In Abhängigkeit von der Anzahl der Kinder werden Abschläge auf den allgemeinen Beitragssatz gewährt. Mitglieder mit einem Kind zahlen den allgemeinen Beitragssatz von 3,40 Prozent. Mitglieder mit zwei Kindern zahlen zukünftig einen Beitragssatz von 3,25 Prozent, was einem Abschlag in Höhe von 0,15 Prozentpunkten entspricht, für Mitglieder mit drei Kindern wird ein Abschlag in Höhe von 0,30 Prozentpunkten, mit vier Kindern von 0,45 Prozentpunkten und für Mitglieder mit fünf oder mehr Kindern ein Abschlag von 0,60 Prozentpunkten gewährt. Diese zahlen damit einen Betragssatz von 2,80 Prozent statt heute 3,05 Prozent. Die Abschlagsregelungen sollen dem Wortlaut des Entwurfs zufolge finanzneutral gestaltet werden. Jedoch steigen im Ergebnis die Beiträge für alle Mitglieder der SPV, die weniger als vier Kinder haben. Die Differenzierung des Beitragssatzes geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von April 2022 zurück, wonach im Beitragsrecht der SPV der Erziehungsaufwand von Eltern stärker berücksichtigt werden muss.  

Als weitere Maßnahmen zur Schließung der Finanzlücke in der SPV ist vorgesehen, die jährliche Zuführung an den Pflegevorsorgefonds auf 2024 zu verschieben. Dadurch entstehen Minderausgaben von 1,7 Milliarden Euro in 2023 und Mehrausgaben in gleicher Höhe in 2024. Die Rückzahlung des in 2022 vom Bund gewährten Darlehens in Höhe von einer Milliarde Euro soll mit dem PUEG von Ende 2023 auf 2028 verschoben werden. Schließlich soll die Verwaltungskostenpauschale, die die SPV an die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) leistet, von 3,2 auf 3 Prozent gesenkt werden. Die Höhe ist abhängig vom Mittelwert der SPV-Aufwendungen und der SPV-Beitragseinnahmen. Diese Kostenverlagerung von der SPV in die GKV wird im Gesetzentwurf mit 100 Millionen Euro angesetzt.

Falls weitere kurzfristige Liquiditätsbedarfe entstehen, soll die Bundesregierung ermächtigt werden, den allgemeinen Beitragssatz im Wege einer Rechtsverordnung anzuheben.

Der Entwurf sieht auch einige Leistungsverbesserungen vor. So soll das Pflegegeld und die ambulanten Pflegesachleistungsbeträge jeweils um fünf Prozent zum 1.1.2024 angehoben werden. Zu zwei Zeitpunkten, im Jahr 2025 und im Jahr 2028 erfolgen weitere Anpassungen. Zum 1.1.2024 steigen alle Leistungsbeträge um 5 Prozent und zum 1.1.2028 sollen diese an die allgemeine Preisentwicklung angelehnt und dynamisiert werden. Zudem sollen die seit dem 1.1.2022 ausgezahlten Leistungszuschläge zur Reduktion der Eigenanteile in der stationären Pflege zum 1.1.2024 um fünf bis zehn Prozent steigen. Diese wurden erst 2021mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) eingeführt und sind individuell abhängig vom jeweiligen Pflegegrad und der Zeit, die sich die jeweiligen Pflegebedürftigen bereits im stationären Leistungsbezug befinden. Daneben sollen die Kurzzeit- und die Verhinderungspflege zu einem gemeinsamen Budget zusammengeführt werden. Dabei soll das Gesamtbudget insgesamt zwar nicht erhöht werden. Die Neuregelung soll jedoch dazu führen, dass in bestimmten Fallkonstellationen mehr Verhinderungspflege in Anspruch genommen werden kann.

Die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen sollen verpflichtet werden, sich an die Telematikinfrastruktur anzuschließen. Zudem soll ein Onlineportal aufgesetzt werden, das tages- oder wochenaktuelle Informationen über freie Kapazitäten der ambulanten und stationären Pflege angezeigt.  

Die SPV soll p.a. 50 Millionen Euro für ein Förderbudget der Länder und Kommunen bereitstellen, um innovative Modellvorhaben für neue Pflegestrukturen vor Ort zu realisieren. Voraussetzung ist, dass die Länder bzw. Kommunen sich hälftig an den Kosten beteiligen. Zudem soll das Programm zur Förderung von guten Arbeitsbedingungen in der Pflege über 2024 hinaus bis 2030 verlängert werden. Für dieses Programm stellt die SPV pro Jahr 100 Millionen Euro zur Verfügung.  

Bewertung

Der Entwurf greift aus Sicht des vdek viel zu kurz. Zwar werden notwendige Leistungsverbesserungen vorgenommen. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Jedoch werden die Maßnahmen die Ausgabenentwicklung und finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen allenfalls kurzfristig auffangen können. Zur Finanzierung der bestehenden Defizite und der zusätzlichen Leistungen werden allein die Beitragszahlenden herangezogen. Der Eindruck eines wenig belastbaren Rechenwerks wird noch verstärkt durch Luftbuchungen in der Be- und Entlastungsrechnung. So wird die auf das Jahr 2025 verschobene Leistungsdynamisierung zur Minderausgabe in 2024 umetikettiert, obwohl für die Dynamisierung bisher überhaupt nichts ausgegeben wird.  

Zudem lassen die vorgesehene Verordnungsermächtigung für Beitragserhöhungen durch die Bundesregierung und die Nichteinhaltung von Vereinbarungen des Koalitionsvertrags zur Erhöhung des Einsatzes von Steuermitteln befürchten, dass demokratische Entscheidungsprozesse umgegangen werden und der Bund sich seiner Finanzverantwortung entziehen will.

Zentrale Punkte des Koalitionsvertrags werden nicht eingehalten. So werden die Rentenbeiträge pflegender Angehöriger nicht aus Steuermitteln finanziert. Das würde die Pflegeversicherung und die Beitragszahler um bis zu 3,7 Milliarden Euro jährlich entlasten. Zudem wird die Ausbildungskostenumlage nicht aus den einrichtungsbezogenen Eigenanteilen ausgegliedert und über Steuermittel finanziert. Dabei wäre dies sachgerecht, da Ausbildungskosten eine gesamtgesellschaftlich zu finanzierende Aufgabe sind und es würde die Pflegebedürftigen in den stationären Pflegeeinrichtungen entlasten. Zudem ist es aus Sicht des vdek notwendig, das pandemiebedingte Finanzdefizit in Höhe von 5,5 Milliarden Euro vollständig durch Steuermittel auszugleichen. Mit Blick auf die laufend steigende finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen in der stationären Pflege, sollen endlich auch die Bundesländer in die Verantwortung genommen werden und die Investitionskosten der stationären Altenpflege vollständig übernehmen. Dies würde die Pflegebedürftigen, die in einer stationären Pflegeeinrichtung leben, sofort monatlich um durchschnittlich 472 Euro entlasten.

Die Ampel-Koalition hält ihr Leistungsversprechen nur bedingt ein und sorgt nur punktuell für Leistungsverbesserungen erst ab 2024. Die Anhebung des Pflegegeldes und der Sachleistungen im ambulanten Bereich sind grundsätzlich unterstützenswert, gleiches gilt für die Erhöhung der Zuschüsse zu den Eigenanteilen in der stationären Pflege. Es bleibt aber fraglich, ob damit die Tendenz
einer steigenden Zahl an Sozialhilfeempfängern im stationären Bereich (bis 2026 36 Prozent), die kürzlich in einer DAK-Studie aufgezeigt wurde, wirksam begegnet werden kann. Die Zusammenlegung der Kurzzeit- und Verhinderungspflege zu einem gemeinsamen Budget ist richtig. Das fordert der vdek seit Langem.

Die Differenzierung der Beitragssätze nach der Zahl der Kinder ist sachgerecht. Allerdings werden unter den Bedingungen der geplanten Beitragssatzerhöhung im Vergleich zum Satus quo tatsächlich nur Familien mit vier und mehr Kindern entlastet. Die Umsetzung der Änderung wird jedoch eine deutlich längere Vorlaufzeit von mindestens 9 Monaten benötigen. Bei den beitragsabführenden
Stellen sind umfangreiche Systemumstellungen notwendig. Zudem muss zunächst die individuelle Kinderzahl ermittelt und die Nachweise geprüft werden. Die Berücksichtigung der genauen Kinderzahl kann deshalb realistischerweise erst ab 2024 erfolgen.

Langfristig ist es geboten, einen stabilen und dynamisierten Steuerzuschuss in die SPV zu gewähren. Der Zuschuss könnte regelgebunden z. B. als Anteil der Leistungsausgaben ausgestaltet werden, der im Gleichtakt mit den SPV-Ausgaben steigt. Zudem sollte die Private Pflegeversicherung (PPV) am Solidarausgleich der SPV beteiligt werden. Der Finanzausgleich könnte die SPV um bis zu zwei Milliarden Euro jährlich entlasten.

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    Pressemitteilung 

    Der vdek erklärt anlässlich der Fachanhörung im Bundesministerium für Gesundheit am 9.3.2023 in Berlin: Der vorliegende Entwurf für ein Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz (PUEG) greift zu kurz und erfüllt nicht die selbstgesteckten Ziele der Ampelkoalition für eine umfassende nachhaltige Finanzreform der Sozialen Pflegeversicherung (SPV). » Lesen