Interview mit Thomas Ballast

„Die sozialen Grundwerte leiten uns auch in Zukunft“

Thomas Ballast, damaliger Vorstandsvorsitzender des vdek, im Gespräch mit ersatzkasse magazin.
Thomas Ballast, damaliger Vorstandsvorsitzender des vdek, im Gespräch mit ersatzkasse magazin.

Der Verband hat sich in den vergangenen 100 Jahren vielen Herausforderungen gestellt und sie gemeinsam mit seinen Mitgliedskassen bewältigt. Daraus erwächst Selbstvertrauen und Zuversicht, aber auch die Verpflichtung, aus der Vergangenheit zu lernen und sich weiterhin für die Grundwerte einer sozialen Versicherung einzusetzen. Im Interview mit ersatzkasse magazin. spricht Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des vdek, über die Spuren der Jahrhunderte alten Verbandsgeschichte und die Rolle des vdek heute.

100 Jahre Verbandsgeschichte – eine Erfolgsgeschichte?

Thomas Ballast: Wenn eine Organisation 100 Jahre alt wird, viele Veränderungen durchlebt – seien es gesellschaftliche, politische oder strukturelle Veränderungen – und bewältigt, dann ist das ein großer Erfolg. Der Verband hat in all den Jahren bewiesen, dass er krisenfest, zukunftsfähig und an den sozial- und gesundheitspolitischen, systemischen und ökonomischen Herausforderungen des letzten Jahrhunderts gewachsen ist.

Welche Herausforderungen waren das zum Beispiel?

Die dramatischsten Herausforderungen lagen sicher in den Zeiten der frühen Verbandsgeschichte. Zwei Weltkriege und die schreckliche Zeit des Nationalsozialismus zu überstehen, grenzt schon an ein Wunder. Dann war natürlich die Wiedervereinigung eine gigantische Herausforderung für die Sozialversicherungen. Aber auch die jüngere Geschichte und die Gegenwart waren und sind geprägt von zum Teil massiven gesellschaftlichen Veränderungen. Nehmen wir beispielsweise das Gesundheitsstrukturgesetz 1993. Die Ersatzkassen und der Verband waren mit gravierenden Veränderungen konfrontiert, wie etwa mit der Einführung eines kassenartenübergreifenden Risikostrukturausgleichs oder der Regionalisierung des Vertragsgeschäftes. Der Wettbewerb hat innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung immens an Stärke und Bedeutung gewonnen. Und in der jüngsten Geschichte galt es, die Organisationsreform (Einführung des Gesundheitsfonds, Einführung des GKV-Spitzenverbandes) zu schultern. Heute sind es der demografische Wandel und natürlich immer auch der medizinische Fortschritt, die uns beschäftigen.

Welche Rolle spielt der Verband in politischer Hinsicht?

Er ist ein moderner, schlagkräftiger Verband, der gemeinsame Interessen der Ersatzkassen vorantreibt und somit im Namen seiner Mitgliedskassen einen politischen Mehrwert schafft. Er vertritt die gesundheits- und vertragspolitischen Interessen der Ersatzkassen auf Bundes- und Landesebene gegenüber der Politik, den Leistungserbringern und der Öffentlichkeit. Es muss darum gehen, gemeinsame Ziele zu entwickeln und sich über systemische Grundsatzfragen zu verständigen, und zwar auch mit anderen Akteuren im Gesundheitswesen. Insbesondere im Zuge des zunehmend härter werdenden Wettbewerbs innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung ist er ein unverzichtbarer Kämpfer und Partner.

Welche Rolle spielt er mit Blick auf seine Mitgliedskassen?

Der Verband trägt dazu bei, dass sich die Kassen im ständigen Austausch untereinander befördern und dass Gemeinsamkeiten wie auch Rücksichtnahmen geschaffen werden. Darüber hinaus hilft er, wettbewerbliche Fehlentwicklungen untereinander ein wenig erträglicher zu machen. Die Mitgliedskassen des Verbands bilden eine Haftungsgemeinschaft. Eine wichtige Aufgabe des Verbandes als gemeinsamer Beauftragter der Ersatzkassen ist auch das Führen von Vertragsverhandlungen beispielsweise mit den Kassenärztlichen Vereinigungen in den Ländern. Des Weiteren repräsentiert er die Ersatzkassengemeinschaft im GKV-Spitzenverband und in den Partnerorganisationen. Und der Verband vertritt natürlich die verbandspolitischen Interessen gegenüber der Politik und sorgt dafür, dass die Ersatzkassen im Gemeinsamen Bundesausschuss oder im GKV-Spitzenverband mit einer Stimme sprechen.

Inwieweit versteht sich der Verband als Dienstleister seiner Mitgliedskassen?

Der Aspekt von Dienstleistung und Service gewinnt zunehmend an Bedeutung. So nimmt der Verband eine Vielzahl operativer Dienstleistungen im Auftrag seiner Mitgliedskassen wahr. Dabei hat die Vergangenheit gezeigt, dass er diese Leistungen flexibler und günstiger erledigen kann als externe Anbieter, was sich letztendlich für die Kassen insbesondere finanziell rechnet. Daher ist es umso wichtiger, kontinuierlich moderne Instrumente wie Evaluierung und Qualitätskontrolle anzuwenden, um weiterhin die an den Verband gestellten Aufgaben im Sinne der Ersatzkassen zu erfüllen. Die Krankenkassen stehen in Konkurrenz zueinander, so auch die Ersatzkassen.

Wird es nicht schwieriger, die gemeinsamen Interessen zu vertreten?

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass ein Miteinander unbezahlbar ist. Spricht man mit einer gemeinsamen starken Stimme, insbesondere mit Blick auf die vielen unterschiedlichen Akteure innerhalb der Gesundheitspolitik, lassen sich die Interessen der Ersatzkassen effektiver und effizienter vertreten. Diese Verbundenheit ist eine Marktmacht. Natürlich ist es umso schwieriger, gemeinsame Lösungen zu entwickeln, je größer der ökonomische Druck und je härter der Wettbewerb ist. Aber wo möglich, steht die Suche nach einem tragfähigen Kompromiss für alle an erster Stelle. Es ist vor allem das Verdienst der Selbstverwaltung, die Gemeinsamkeiten herauszustellen und gemeinsame politische Positionen zu erarbeiten.

Welchen Stellenwert hat die Selbstverwaltung für den Verband und seine Mitgliedskassen insgesamt?

Die Selbstverwaltung sorgt im Verband dafür, dass die Interessen der Kassen und der Versicherten auch bei den Aufgaben, die der Verband zu erledigen hat, angemessen berücksichtigt werden. Die Arbeit der Selbstverwaltung ist auf Konsens angelegt, darauf, sich trotz unterschiedlicher Interessen zu verständigen. Das ist die Idee der gelebten Selbstverwaltung, die für Kontinuität, soziale Sicherung und bestmögliche medizinische Versorgung steht. Die Selbstverwaltung hat großen Anteil am Gestaltungsprozess innerhalb des Gesundheitssystems genauso wie am Zusammenhalt der Ersatzkassen innerhalb des Verbandes. Dass der Verband heute so gut da steht, verdanken wir auch der Selbstverwaltung.

Wo sehen Sie den Verband in naher Zukunft?

Der Verband ist sehr gut aufgestellt und für die Zukunft gerüstet. Wer Herausforderungen bewältigt hat, sieht gelassener in die Zukunft. Er weiß, dass er vor neuen Herausforderungen nicht ängstlich sein muss. Der vdek geht als Verband der deutlich größten Kassenart Deutschlands in die nächste Phase seines Wirkens. Die Ziele des Erhalts von Solidarität und einer sozialen Krankenversicherung, um die uns die meisten Länder der Welt beneiden, insbesondere aber der Stärkung der Ersatzkassengemeinschaft werden ihn auch in Zukunft leiten.

Für Sie geht im Sommer dieses Jahres ein Stück Verbandsgeschichte zu Ende. Sie wechseln zum 1. Juli 2012 in den Vorstand der Techniker Krankenkasse. Wie behalten Sie persönlich den Verband in Erinnerung?

Ich werde bei meinem Ausscheiden mehr als 16 Jahre für den Verband gearbeitet haben. In all diesen Jahren hat mich die Leistungsbereitschaft und Flexibilität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des vdek immer wieder beeindruckt. Der Verband hat es geschafft, mit sparsamer Aufstellung in personeller und sächlicher Hinsicht immer wieder sehr gut die Interessen seiner Mitglieder zu vertreten. Es war und ist aber auch immer schwer, diese gemeinsamen Interessen zu definieren. Da der vdek immer ein Wettbewerbsverband war, hat man sich daran und auch an periodisch wiederkehrende Auseinandersetzungen und Reibereien gewöhnt – am Ende ist es doch immer wieder gut gegangen. Mit Selbstvertrauen und ein bisschen Glück kann deshalb die Geschichte des Verbandes auch noch lange fortgesetzt werden.

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