Gesundheitspolitik

Bundestagswahl: Klare Positionen des vdek

Grafik: Mann steht hinter einem Rednerpult und streckt die eine Hand aus, Frau und Mann stehen jeweils an der Seite und halten Schilder hoch

Die Ersatzkassen sprechen sich für Beitragssatzautonomie und eine weitgehende paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus. Außerdem sollte die Bekämpfung von Ineffizienzen und Scheininnovationen ganz oben auf der politischen Agenda stehen. Nicht zuletzt erfordert die Bevölkerungsentwicklung längst überfällige Strukturreformen.

Die 17. Wahlperiode unter Führung einer schwarzgelben Koalition neigt sich ihrem Ende entgegen. Den Wahlausgang am 22. September können auch Demoskopen nur schätzen. Gewiss scheint: Keine Partei wird aus eigener Kraft regieren können. Der Kompromiss wird auch in der nächsten Wahlperiode das politische Handeln bestimmen. Umso wichtiger ist, dass sich die Institutionen und Organisationen, die das Gesundheitswesen tragen und gestalten, klar positionieren. Denn Grundsatzpositionen stellen ein Angebot an alle Interessierte, insbesondere aber an die Politik dar, um in die Diskussion um die Zukunft des Gesundheitswesens einzusteigen. Damit sichergestellt wird, dass die Menschen in Deutschland auch künftig gut versorgt sind. Denn Herausforderungen gibt es genug.

Die steigende Lebenserwartung, die Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung, die niedrige Geburtenrate schaffen Fakten, auf die sich das Gesundheitswesen einstellen muss. Mehr multimorbide und in ihren kognitiven Fähigkeiten eingeschränkte Patienten schaffen neue Bedarfslagen. Zudem wird sich die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland regional sehr unterschiedlich vollziehen. Die Disparitäten zwischen Ballungsgebieten und strukturschwachen Räumen werden sich tendenziell vergrößern. Darauf muss man reagieren. Insbesondere die ländlich geprägten Gebiete verlangen nach flexiblen Versorgungslösungen. Da wird auch mal ein Krankenhaus die ambulante Grundversorgung übernehmen müssen. Da wird die Delegation und Substitution ärztlicher Leistungen genauso selbstverständlich werden wie der Einsatz von Telemedizin und modernen Kommunikationsmedien. Im Gegenzug müssen die Überkapazitäten in den städtischen Verdichtungsräumen abgebaut werden. Dazu sind echte Strukturreformen notwendig. Das GKV-Versorgungsstrukturgesetz, das am 1. Januar des letzen Jahres in Kraft getreten ist, hat um dieses Problem leider einen Bogen gemacht.

Etwa ein Drittel der Kostenzuwächse im Gesundheitswesen sind der demografischen Entwicklung geschuldet. Ein weiteres Drittel dem medizinischen Fortschritt. Das solidarische selbstverwaltete Gesundheitswesen hat diese Belastungen schultern können. Das gilt nicht automatisch auch in Zukunft. Auch wenn die Konsequenzen für die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen häufig überzogen dargestellt werden – ein besonders effizienter Umgang mit den Ressourcen ist künftig Pflicht. Es ist notwendig, die Versorgungsangebote an die Bedarfe einer älter werdenden Gesellschaft mit einer zunehmenden Zahl multimorbider Patienten auszurichten. Daneben muss die Qualität der Versorgung in allen Bereichen in den Vordergrund gerückt werden. Denn für schlechte Qualität bezahlen, heißt Ressourcen verschwenden.

Nach wie vor wird im Gesundheitswesen viel Geld verschwendet. Von vielen Produkten und Behandlungsmethoden weiß man nicht, ob sie dem Patienten wirklich helfen. Deshalb sollten alle Behandlungsmethoden, Arzneimittel und Medizinprodukte einer Nutzenbewertung unterzogen werden. Innovationen dürfen nicht nur teurer, sondern sie müssen auch besser sein. Bei den Medizinprodukten wird dies besonders deutlich. Viele Produkte sind nur unzureichend getestet. Ein echtes Zulassungsverfahren fehlt. Das Ergebnis sind Metall-auf-Metall-Prothesen, mit Industriesilikon gefüllte Brustimplantate oder selbstexpandierende Stents, um nur einige traurige Beispiele zu nennen. Erschwerend wirkt sich auch der zunehmende Einfluss Europas aus. An der neuen Medizinprodukteverordnung, die sich zurzeit im Brüsseler Gesetzgebungsverfahren befindet, lässt sich unschwer ablesen, dass Europa vielfach von wirtschaftlichen Interessen geleitet wird. Die Sicherheit der Versicherten darf aber nicht auf der Strecke bleiben. Auch deshalb muss es weiterhin einen ausreichenden Spielraum für die nationale Gesundheitsgestaltung geben.

Hierzulande gibt es „dicke Bretter“ zu bohren. Im Krankenhausbereich zeigen sich gravierende strukturelle Probleme. Die Länder kommen vielfach ihrer Verpflichtung zur Finanzierung der notwendigen Investitionen nicht nach, planen aber die Kapazitäten. Und die Krankenhäuser kompensieren die ausbleibenden Ländermittel durch unnötige Operationen. Nirgends in Europa werden mehr Kniegelenke und Hüften operiert als in Deutschland. Arbeitsteilung und Spezialisierung findet viel zu wenig statt. Solche Fehlentwicklungen können nur durch tiefgreifendere Reformen gelöst werden. Der Wille dazu ist bislang nicht erkennbar. Im Gegenteil: Die Regierung entzieht dem Fallpauschalensystem die Kraft, indem sie zusätzliches Geld mit der Gießkanne über alle Krankenhäuser verteilt.

In puncto Wahlgeschenke kann die Regierung zurzeit auch aus dem Vollen schöpfen. Die sozialen Sicherungssysteme haben in den zurückliegenden wirtschaftlich starken Jahren hohe Überschüsse aufgebaut. Die staatlich festgelegten Beiträge – in der Krankenversicherung nach wie vor 15,5 Prozent – haben Versicherten und Arbeitgebern mehr Geld genommen, als für die Versorgung notwendig gewesen wäre. Teile der GKV-Mittel werden nun dafür genommen, den Bundeshaushalt zu sanieren. In diesem und dem nächsten Jahr insgesamt sechs Milliarden Euro. Durch Kürzung des Bundeszuschusses für versicherungsfremde Leistungen. Wo bleibt die Verlässlichkeit staatlicher Finanzierungszusagen? Wo bleibt die Nachhaltigkeit?

Hier steckt ein zentraler Webfehler der aktuellen Finanzierungsarithmetik. Könnten die Krankenkassen den Beitragssatz selbst festlegen, wäre es nicht zu einer Akkumulation von Rücklagen in einer Höhe gekommen, die Begehrlichkeiten weckt. Und am Ende dazu führt, dass das Geld der Beitragszahler – Arbeitgeber wie Versicherte – zweckentfremdet wird. Deshalb müssen die Krankenkassen wieder die volle Beitragssatzautonomie zurückerhalten. Zusatzbeiträge würden dann genauso hinfällig wie ein Sozialausgleich aus Steuermitteln. Von denen niemand weiß, ob sie tatsächlich auch fließen. Denn mit Blick auf die Schuldenbremse und das EU-Fiskalpaket, die ab 2016 zu einem ausgeglichenen Bundeshaushalt zwingen, werden die Spielräume für den Finanzminister eher kleiner.

Eine nachhaltige Finanzierung ist das Fundament eines guten und zukunftsfesten Gesundheitswesens. Diese sollte weitgehend paritätisch zwischen Arbeitgebern und Versicherten erfolgen. Denn Arbeitgeber müssen auch weiterhin in der Verantwortung für eine gute und wirtschaftliche gesundheitliche Versorgung stehen. Die Finanzautonomie der Kassen muss sich wieder auf den gesamten Beitrag beziehen und gehört in die Hände der Selbstverwaltung. Denn die Selbstverwaltung denkt nicht in Wahlzyklen. Das gilt für die soziale Selbstverwaltung genauso wie für die gemeinsame Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen. So ist es in der Vergangenheit immer gelungen, auf Basis tragfähiger Kompromisse das Gesundheitswesen so auszugestalten, dass es international hohes Ansehen genießt. Die Politik wäre gut beraten, der Selbstverwaltung klare Rahmenvorgaben sowie hinreichend Zeit und Raum zu geben. Damit sie ihre Aufgaben gut erfüllen kann. Es wäre auch ein Beitrag zur Verstetigung der Gesundheitspolitik. Und die täte allen Beteiligten gut.

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