Hintergrund

Krebserkrankungen in Deutschland: Wo stehen wir heute?

Die Zahl an Krebsneuerkrankungen nimmt seit Jahrzehnten kontinuierlich zu, vor allem bedingt durch die höhere Lebenserwartung. Die Forschung setzt im Kampf gegen Krebs auf neue, molekular gezielte Wirkstoffe. Aber auch Prävention und Früherkennung werden immer wichtiger.

In Deutschland wurde im Jahr 2010 bei etwa 477.300 Menschen erstmalig eine Krebserkrankung diagnostiziert. Betroffen davon waren rund 252.400 Männer und etwa 224.900 Frauen. Dies ergeben aktuelle Schätzungen des Zentrums für Krebsregisterdaten (ZfKD) im Robert Koch-Institut (RKI), in dem die Daten der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland jährlich zusammengeführt und ausgewertet werden. Am häufigsten traten bei Männern Tumoren in Prostata, Lunge und Darm auf. Frauen hingegen erkrankten mit Abstand am häufigsten an Brustkrebs, gefolgt von Darm- und Lungenkrebs. Im Laufe des Lebens erkranken etwa die Hälfte der Menschen in Deutschland an Krebs. Nicht in diese Statistiken einbezogen sind die jährlich etwa 190.000 Erkrankungsfälle durch den sogenannten „weißen Hautkrebs“, der selten tödlich verläuft (etwa 500 Sterbefälle jährlich), die Patienten jedoch stark belasten kann und in der Summe erhebliche Kosten verursacht.  

Da Krebserkrankungen zumeist im höheren Alter auftreten (das mittlere Erkrankungsalter liegt derzeit bei 69 Jahren), hat der zunehmende Anteil älterer Menschen in der Bevölkerung dazu geführt, dass die Neuerkrankungszahlen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen sind: in den letzten zehn Jahren um etwa 21 Prozent bei den Männern und 14 Prozent bei den Frauen. Für einige Krebserkrankungen, zum Beispiel beim Prostata- oder Schilddrüsenkrebs, spielen hierbei auch die heute verbesserten diagnostischen Möglichkeiten eine Rolle: Vermutlich werden, etwa durch PSA-Test und hochauflösende Ultraschalluntersuchungen, heute auch einige Tumoren entdeckt, die früher zeitlebens unerkannt geblieben wären. Etwa 221.600 Menschen sind laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2012 an einer Krebserkrankung verstorben.

Wichtigster beeinflussbarer Risikofaktor ist Tabakkonsum

Höheres Alter und genetische Faktoren sind wichtige, aber nicht veränderbare Risikofaktoren für das Entstehen einer Krebserkrankung. Der bei Weitem bedeutendste beeinflussbare Risikofaktor für die Entstehung verschiedener Krebserkrankungen ist der Tabakkonsum. Das Risiko für Lungenkrebs, aber auch für andere Krebserkrankungen, insbesondere der oberen Atem- und Verdauungsorgane, ist bei Rauchern deutlich erhöht. Kürzlich veröffentlichte Schätzungen des ZfKD ergaben, dass in Deutschland jährlich etwa 72.000 Krebsfälle auf Tabakkonsum zurückzuführen sind.

Alkoholkonsum ist ein weiterer wichtiger Risikofaktor, unter anderem da er die Wirkung des Tabaks auf die Tumorentstehung im oberen Verdauungstrakt verstärkt. Weitere lebensstilbezogene Risikofaktoren sind Übergewicht, Bewegungsmangel und eine obst- und gemüsearme Ernährung. Im Bereich der Umwelt ist eine hohe Belastung mit dem ultravioletten Anteil der Sonnenstrahlung wohl der größte Risikofaktor. Sonnenbrände, vor allem in der Kindheit, erhöhen das Risiko für Hautkrebs deutlich. Mehr als 1.500 Menschen erkranken in Deutschland jährlich am fast ausschließlich durch Asbestbelastung verursachten Pleuramesotheliom, einem Tumor mit sehr schlechter Prognose. Die lange Zeit zwischen Asbestbelastung und Krebsdiagnose führt dazu, dass auch knapp 20 Jahre nach dem Verbot der Asbestverarbeitung in Deutschland noch kein Rückgang der Erkrankungsraten zu verzeichnen ist.  

In den letzten Jahrzehnten ist die Rolle einiger chronischer Infektionen für die Entstehung bösartiger Tumoren in den Vordergrund gerückt. Am bekanntesten ist wohl der Zusammenhang zwischen der Infektion mit humanen Papillomviren (HPV) und Gebärmutterhalskrebs. Hier sind nahezu 100 Prozent aller Krebsfälle auf die Infektion mit HPV zurückzuführen, das Virus spielt allerdings auch bei der Entstehung anderer Tumoren eine Rolle. Auch Infektionen mit Hepatitis B- und C-Viren (Leberkrebs) oder dem Bakterium Helicobacter pylori (Magen- krebs) sind an der Entstehung von bösartigen Tumoren beteiligt.

Zahlreiche Ansätze zur Prävention und Früherkennung

Eine Reduzierung der beeinflussbaren Risikofaktoren muss sowohl auf individueller als auch auf Bevölkerungsebene ansetzen. Durch gesetzliche Regelungen wie das Nichtraucherschutzgesetz, Tabaksteuererhöhungen, Altersgrenzen für den Verkauf von Alkohol- und Tabakprodukten an Jugendliche oder das Solarienverbot für Jugendliche sind bereits Präventionsmaßnahmen auf Bevölkerungsebene angelegt. Ergänzt werden diese Maßnahmen durch Kampagnen zur gesundheitlichen Aufklärung, wie beispielsweise „5-am-Tag: Obst und Gemüse“ oder dem Schulprojekt „Klasse 2000“ zur Tabakprävention. Zudem empfiehlt die Ständige Impfkommission des RKI die HPV-Impfung für Mädchen von zwölf bis 17 Jahren vor dem ersten Sexualkontakt und die Hepatitis-B-Immunisation für alle Säuglinge und Kinder sowie für Erwachsene in bestimmten Risikogruppen.  

Neben der Reduktion von Risikofaktoren bietet die Krebsfrüherkennung die Chance, die Krankheitslast in der Bevölkerung zu verringern. Früherkennungsmaßnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Deutschland betreffen derzeit Tumoren der Haut und des Darms, der Brustdrüse und des Gebärmutterhalses bei Frauen sowie der Prostata bei Männern (Tastuntersuchung).  

In den letzten zehn Jahren ist die Krebsfrüherkennung mehr und mehr in den Fokus der politischen und öffentlichen Diskussion gerückt. Seitdem hat sich in Deutschland einiges getan: Zwischen 2005 und 2009 wurden das organisierte und qualitätsgesicherte Mammographie-Screening-Programm bundesweit etabliert und Früherkennungsangebote für Darm- und Hautkrebs ausgebaut. Das Anfang 2013 beschlossene Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz (KFRG) sieht vor, dass auch die Früherkennungsuntersuchungen für Gebärmutterhals- sowie Darmkrebs in organisierte Screening-Programme, orientiert an den EU-Leitlinien, überführt werden sollen. Derzeit prüft der Gemeinsame Bundesausschuss, wie dies ausgestaltet werden kann.

Fortschritte (nicht nur) durch neue Wirkstoffe

Gemessen an den Überlebensraten sind die deutlichsten Verbesserungen bei Krebserkrankungen im Kindesalter zu verzeichnen, vor allem bei den Lymphomen und Leukämieerkrankungen, die zusammen fast die Hälfte aller jährlich etwa 1.800 Krebserkrankungen bei Kindern bis 15 Jahren ausmachen. Auch für die Chronisch-Myeloische Leukämie (CML) im Erwachsenenalter wurden sehr deutliche Fortschritte erzielt, vor allem durch einen neuen Wirkstoff vor etwa zehn Jahren. Ähnlich wirksame Medikamente, die gezielt Stoffwechsel- bzw. Wachstumsprozesse des Tumors beeinflussen, stehen zurzeit im Mittelpunkt der pharmakologischen und klinischen Forschung. Meist sind sie auf die genetischen und molekularen Besonderheiten der einzelnen Tumorerkrankungen, die durch Biomarker bestimmt werden können, zugeschnitten. Auf Bevölkerungsebene messbare Durchbrüche wie bei der CML sind bisher allerdings eher die Ausnahme: Für die meisten Krebserkrankungen, etwa beim Darm- oder Brustkrebs, wurden die spürbaren Verbesserungen in den vergangenen Jahrzehnten eher in kleinen Schritten erzielt. Optimierungen in verschiedensten Bereichen der Therapie, von den chirurgischen Verfahren bis zur Strahlen- und Chemotherapie oder der Rezidivprophylaxe, dürften hierzu beigetragen haben.

Für einige Krebserkrankungen, etwa die bösartigen Tumoren der Leber und Bauchspeicheldrüse, haben sich die Überlebensraten in den letzten Jahrzehnten leider nur unwesentlich verbessert: Bei diesen Tumoren leben fünf Jahre nach Diagnosestellung nur noch etwa zehn Prozent der Betroffenen.

Strategische Ansätze in der Gesundheitspolitik

Im Bereich der Versorgung standen in den letzten Jahren die Zertifizierung onkologischer Zentren sowie die Erarbeitung therapeutischer Leitlinien im Vordergrund. Beide Entwicklungen werden durch die Deutsche Krebsgesellschaft und die Deutsche Krebshilfe initiiert und gefördert. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat zusammen mit den beiden letztgenannten Institutionen und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren im Jahr 2008 den Nationalen Krebsplan ins Leben gerufen mit dem Ziel, im komplexen deutschen Gesundheitssystem strategische Überlegungen bei der Krebsbekämpfung stärker wirksam werden zu lassen. Erste konkrete Ergebnisse dieses Prozesses finden sich im oben erwähnten KFRG wieder.

www.krebsdaten.de

www.bmg.bund.de unter Prävention/Nationaler Krebsplan

 

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