Pflegedokumentation

Weniger Bürokratie wagen

Zu viel, zu umständlich, praxisuntauglich – so lautet die Kritik an der Pflegedokumentation. Die Ombudsfrau für Entbürokratisierung der Pflege, Elisabeth Beikirch, hat nun ein schlankeres Dokumentationskonzept entwickelt, das in ausgewählten Einrichtungen in der Praxis erfolgreich getestet wurde.

Es herrschte eine seltene Übereinstimmung bei der Abschlussveranstaltung des von Elisabeth Beikirch, Ombudsfrau für Entbürokratisierung der Pflege, durchgeführten Projektes zur Effizienzsteigerung der Pflegedokumentation. In der Pflegebranche besteht ein breiter Konsens, dass der Aufwand für die Dokumentation reduziert werden muss, um mehr Zeit für die Pflege und Betreuung der Bedürftigen zu gewinnen. Das Interesse an den Ergebnissen des Projekts war dementsprechend groß.

Initiiert wurde das Projekt infolge eines Berichtes zum Erfüllungsaufwand in der Pflege vom Statistischen Bundesamt. Dieses hat einen finanziellen Aufwand für die Pflegedokumentation von jährlich 2,7 Milliarden Euro ermittelt und für den zeitlichen Aufwand einen Anteil von 13 Prozent an der Gesamtarbeitszeit einer Pflegekraft festgestellt. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) erweiterte im Anschluss an die Veröffentlichung dieser Zahlen den Auftrag von Beikirch, um Maßnahmen zum Abbau des hohen Aufwands für Pflegedokumentation zu erarbeiten und zu testen. Auf Grundlage wissenschaftlicher und juristischer Wissensbestände entwickelte die Ombudsfrau Empfehlungen für eine Grundstruktur der Pflegedokumentation, die in einem Praxistest erprobt wurde. Ein Lenkungsgremium begleitete das Projekt, in dem neben dem Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) unter anderem das BMG, der GKV-Spitzenverband, der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V., Trägerverbände, Verbraucherorganisationen sowie Vertreter der Länder saßen.

Angstbestimmte Dokumentationspraxis

Dem Pflegepersonal fehlt es häufig an Sicherheit im Umgang mit der Dokumentation des Pflegeprozesses. Angesichts der vermuteten Anforderungen externer Qualitätssicherung und einer damit verbundenen Furcht vor haftungsrechtlichen Konsequenzen setzt sich eine angstbestimmte Dokumentationspraxis durch, gemäß dem Grundsatz: „Was nicht dokumentiert ist, ist nicht gemacht!“ Die Dokumentation dient häufig eher zur Absicherung vor möglichen Rechtsstreitigkeiten und nicht als eine Grundlage zur Steuerung des Pflegeprozesses und zur einrichtungsinternen Kommunikation. Dies führt zu ausufernden Dokumentationen, die kaum einen schnellen Überblick der Situation und des Bedarfs des Pflegebedürftigen ermöglichen. Darüber hinaus besteht in der Praxis aufgrund der fehlenden Standardisierung eine große Vielfalt unterschiedlicher Dokumentationssysteme. In der Regel orientieren sich die Systeme an der sogenannten AEDL-Struktur. Diese besteht aus 13 verschiedenen pflegerelevanten Elementen, die bei der Anamnese im Ankreuzverfahren erfasst werden.

Durchführung des Praxistests

Für den Praxistest wurde bewusst auf die Vorgabe einer Musterdokumentation verzichtet. Stattdessen wurde mit dem Strukturmodell ein Leitfaden für den Pflegeprozess erarbeitet, der aus vier aufeinander aufbauenden Elementen besteht: der neu entwickelten Strukturierten Informationssammlung (SIS), der individuellen Pflege- und Maßnahmenplanung auf Basis der SIS, der Abkehr von Dokumentationen wiederkehrender Routinemaßnahmen hin zu einer Dokumentation der Abweichungen von der Pflegeplanung und schließlich dem Festlegen von Evaluationsdaten zur Überprüfung der Maßnahmenplanung.

Bei der SIS erfasst die Pflegekraft anhand von fünf (stationär) bzw. sechs (ambulant) Themenfeldern im Rahmen des Erstgespräches den individuellen Bedarf des Klienten, verknüpft mit einer Matrix zur Risikoeinschätzung. Hierauf aufbauend wird in der Maßnahmenplanung der Handlungsbedarf für den Pflegeprozess geplant. Im Gegensatz zum Abhaken der AEDL-Kategorien in den üblichen Dokumentationsmodellen stärkt die Verknüpfung der Risikoeinschätzung mit pflegefachlichen Themen und die Erarbeitung eines Maßnahmenplans von Beginn an die Fachlichkeit der Pflegekräfte und die Sichtweise des Pflegebedürftigen.

Das Strukturmodell wurde in 31 ambulanten und 26 stationären Pflegeeinrichtungen von Mitte Oktober 2013 bis Januar 2014 erprobt. Pro Einrichtung sollte bei jeweils zehn Neuaufnahmen ausschließlich die neue Form der Pflegedokumentation zur Anwendung kommen. Die Projektteilnehmer wurden in einer Einführungsveranstaltung geschult und während des Projekts durch mehrere Reflexionstreffen begleitet.

Des Weiteren prüfte eine juristische Expertengruppe, ob das Strukturmodell den haftungsrechtlichen Anforderungen standhält. Die Gutachter kamen zu dem Schluss, dass im Bereich der Grundpflege auf die Dokumentation von Routinemaßnahmen verzichtet werden kann, wenn eine ausreichende Maßnahmenplanung vorliegt. Nur für die Behandlungspflege und – aus Abrechnungsgründen – in der ambulanten Pflege sind weiterhin Einzelleistungsnachweise notwendig.

Das BMG veröffentlichte Mitte April 2014 den Abschlussbericht des Projektes. Der Praxistest hat gezeigt, dass sich durch Anwendung des erprobten Strukturmodells der schriftliche und zeitliche Aufwand für die Pflegedokumentation reduzieren lässt, ohne fachliche oder juristische Anforderungen zu vernachlässigen oder die Qualität der Pflege zu beeinträchtigen. Vielmehr tragen schlankere Berichte zu einer einfacheren und besseren Steuerung des Pflegeprozesses bei. Die breite Zustimmung unter den Projektbeteiligten, vor allem auch der Prüfinstitutionen, sowie die begleitende juristische Expertise schaffen Rechts- und Verfahrenssicherheit für das Pflegepersonal. Das Strukturmodell bietet eine solide Basis für eine Standardisierung der Dokumentation, die aufgrund der offen gestalteten Konzeption einrichtungsbezogene Varianten zulässt.

Umsetzung in die Praxis

Zur Umsetzung der Projektergebnisse in die Praxis bereitet der Patientenbeauftragte und Pflege-Bevollmächtigte Karl-Josef Laumann derzeit eine umfassende Implementierungsstrategie auf Bundes- und Landesebene vor. Inzwischen wurde mit den Vertragspartnern nach § 113 SGB XI ein schriftliches Beschlussverfahren eingeleitet, um die Kompatibilität der Projektergebnisse mit den Maßstäben und Grundsätzen zur Sicherung und Weiterentwicklung der Pflegequalität und den daraus resultierenden Anforderungen der Qualitätsprüfungsrichtlinien nach § 114 SGB XI zu vereinbaren. Auf dieser Grundlage soll eine flächendeckende Umsetzung der Projektergebnisse und die Einführung des getesteten Strukturmodells beginnen.

Der Schwung aus dem Projekt und die auf der Abschlussveranstaltung vorherrschende Aufbruchstimmung sollten nun genutzt werden, um das vorgestellte Strukturmodell zügig und flächendeckend umzusetzen und in der Praxis zu verankern.

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