Bundestagswahl

Zukunft gestalten

Die Bundestagswahl 2017 ist eine Zäsur, ein Einschnitt in die Parteienlandschaft. Die großen Parteien haben deutlich verloren, die kleinen zum Teil deutlich gewonnen. Eine rechtskonservative in großen Teilen rechtsradikale Partei zieht in den Bundestag ein. Fest steht: Die Regierungsbildung wird langwierig und schwierig. Die Ersatzkassen gehen mit klaren Forderungen in die neue Legislaturperiode. Im Zentrum steht die Reform des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) und damit verbunden die Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen.

Für die Regierungsbildung stehen zwei Optionen zur Verfügung: Fortführung der großen Koalition oder das sogenannte Jamaika-Bündnis aus CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Die SPD kündigte bereits in der Wahlnacht an, als stärkste Oppositionspartei "ein Bollwerk der Demokratie" bilden zu wollen. Die Jamaika-Parteien sind in einzelnen Positionen allerdings weit auseinander, zum Beispiel bei folgenden Themen: Europa (keine Schulden-Vergemeinschaftung vs. Abkehr einseitige Sparpolitik), Einwanderung (Obergrenzen vs. klares Bekenntnis zur Asylpolitik) und in der Gesundheitspolitik (Bürgerversicherung vs. Unterstützung der privaten Krankenversicherung (PKV)). Sollte es zur Jamaika-Koalition kommen, würde sie von Anfang an ein unsicheres Gebilde sein.

Die Ersatzkassen verabschiedeten ihre Vorstellungen für die Gesundheitspolitik für diese Legislaturperiode bereits im Sommer. Eine zentrale Forderung der Ersatzkassen an
die neue Bundesregierung ist eine Reform des Morbi-RSA und damit verbunden die Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen.

Faire Wettbewerbsbedingungen im Interesse der Versicherten

Der Morbi-RSA erfüllt seine Funktion nicht mehr, faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen. Faire Wettbewerbsbedingungen aber sind die zentrale Basis für ein modernes Versorgungsangebot der Krankenkassen für ihre Versicherten. Daher muss der Morbi-RSA dringend weiterentwickelt werden. Die heutigen Über- und Unterdeckungen im Morbi-RSA sind für die Krankenkassen wettbewerbspolitisch fatal und destabilisieren die gesetzliche Krankenversicherung (GKV).

Deutlich wird dies bei einer Betrachtung des Deckungsbeitrags auf Versicherte bezogen. Bei dieser Betrachtung zeigt sich, dass die AOK im Jahr 2015 pro Versicherten 44 Euro mehr bekommen hat, als sie für die Versorgung dieses Versicherten benötigt hätte. Die Ersatzkassen erhielten dagegen 27 Euro zu wenig. Insgesamt standen den Ersatzkassen 2015 also 71 Euro weniger als der AOK pro Versicherten für die Versorgung zur Verfügung. Im Klartext: Die AOK erhält mehr Geld aus dem Morbi-RSA, als sie für die Versorgung ihrer Versicherten benötigt. Den Ersatzkassen fehlen für die Versorgung ihrer Versicherten entscheidende finanzielle Mittel.

Das Reformpaket der Ersatzkassen zur Weiterentwicklung des Morbi-RSA umfasst sechs verschiedene Vorschläge, die geeignet sind, diese Schieflage im Wettbewerb deutlich abzuschwächen und den Morbi-RSA weniger manipulationsanfällig zu gestalten:

  • Einführung einer Versorgungsstrukturkomponente. Die Versorgungsstrukturen und Preise in den Regionen sind durch die Krankenkassen so gut wie nicht beeinflussbar. Über eine Versorgungsstrukturkomponente, die insbesondere auf regionale Differenzen Rücksicht nimmt, sollten deshalb die strukturbedingten Ausgabenunterschiede ausgeglichen werden.
  • Änderung der Berechnungsmethode bei der Krankheitsauswahl. In einem von Solidarität getragenen System sind es die besonders teuren und in ihrem Verlauf schweren Fälle, die eine besondere Bedeutung für das Versorgungsgeschehen haben, weil sie in sehr großem Ausmaß auf die Solidaritätsgemeinschaft angewiesen sind. Eine Umstellung der Prävalenzgewichtung zugunsten seltener Krankheiten mit individuell sehr hohen Kosten würde diesem Aspekt Rechnung tragen.
  • Einführung eines Hochrisikopools. Jede Krankenkasse hat Versicherte, bei denen für bestimmte Krankheiten extrem hohe Kosten entstehen. Mit einem Hochrisikopool könnten daraus entstehende wettbewerbliche Nachteile abgefedert werden.
  • Streichung der Zuschläge für Erwerbsminderungsrentner. Zuschläge für Erwerbsminderungsrentner sind mit Einführung der Morbiditätsorientierung des RSA grundsätzlich hinfällig und systemfremd. Die krankheitsbedingte Ausgabenbelastung wird heute über die Morbidität erfasst. Die Erwerbsminderungsrentner sind somit im Morbi-RSA über die Morbidität auch ohne diese Zuschläge gut abgebildet.
  • Streichung der DMP-Programmkostenpauschale. Durch die DMP-Zuschläge werden Krankenkassen für bestimmte Krankheiten de facto zweimal vergütet. Grundsätzlich erhalten sie durch die sogenannte Krankheitsauswahl gesonderte Zuweisungen. Darüber hinaus bekommen sie durch die DMP eine weitere Vergütung in Form der oben genannten Pauschale.
  • Neuregelung der Zuweisungen für im Ausland lebende Versicherte. Zukünftig sollten die Zuweisungen im Morbi-RSA auf der Grundlage der jährlichen landesspezifischen Rechnungssummen vorgenommen werden.

Faire Wettbewerbsbedingungen brauchen eine einheitliche Aufsicht. Innerhalb der GKV gilt eine unterschiedliche Aufsichtspraxis auf Bundes- und Landesebene. So sind die Länder für landesunmittelbare Krankenkassen zuständig, das Bundesversicherungsamt (BVA) ist für bundesunmittelbare Krankenkassen zuständig, zu denen die Ersatzkassen zählen. Die wettbewerblichen Verzerrungen aufgrund der geteilten Aufsicht sind vor allem für bundesunmittelbare Krankenkassen von Nachteil. Aus Sicht der Ersatzkassen ist eine Zentralisierung der Aufsichtszuständigkeit beim BVA hinsichtlich der Wettbewerbsneutralität und Verwaltungseffizienz optimal. Mindestens aber muss bei einer Neuordnung die Aufsichtszuständigkeit für die einnahmenseitigen Belange der Krankenversicherung beim BVA liegen, damit wenigstens sichergestellt werden kann, dass die Generierung von Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht durch unterschiedliches Aufsichtshandeln verzerrt wird.

Versorgung zukunftssicher gestalten

Im Krankenhausbereich müssen die grundlegenden Probleme bei der Finanzierung gelöst werden. Die Bundesländer müssen ihre Pauschalförderung auf leistungsbezogene Investitionsbewertungsrelationen umstellen. Hiermit sollen Transparenz und Verteilungsgerechtigkeit erwirkt werden. Zusätzlich ist eine Investitionsquote gesetzlich als Untergrenze zu verankern. Auch sollte sich der Bund an der Investitionsfinanzierung beteiligen (zum Beispiel mit einem „Sonderfinanzierungsprogramm leistungsfähiger Krankenhäuser“, das aus Mitteln des Bundeshaushalts finanziert wird).

Generell auf der politischen Agenda verbleiben zwei weitere große Handlungsfelder:

  1. Eine bessere Verzahnung der ambulanten und stationären Versorgung ist überfällig.
  2. Die ambulante Notfallversorgung muss neu ausgerichtet werden. Grundsätzlich sollen alle Kassenärztlichen Vereinigungen in definierten Krankenhäusern Portalpraxen einrichten. Die Ersatzkassen haben dazu ein Konzept vorgelegt.

Digitalisierung vorantreiben

Das Gesundheitswesen muss schneller als bisher den Übergang in das digitale Zeitalter meistern. Dazu gehört der Abbau von bürokratischen Hemmnissen im Verhältnis der Krankenkasse zu den Beitragszahlern (zum Beispiel Abschaffung des Schriftformerfordernisses). Des Weiteren müssen wir die Möglichkeit der Telemedizin mehr nutzen. Vorhandene Daten müssen stärker für die Versorgungsgestaltung verwendet werden. Dabei gilt aber immer: Eigentümer der personenbezogenen Daten müssen die Versicherten bleiben, Versicherte entscheiden eigenverantwortlich über den Gebrauch ihrer Daten.

Das Gesetz zur Stärkung der Prävention hat die Budgets für Prävention und Gesundheitsförderung bei den Krankenkassen deutlich erhöht. Die Ersatzkassen haben zahlreiche Projekte initiiert. Prävention ist aber eine gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe und muss von allen Sozialversicherungsträgern, der privaten Krankenversicherung (PKV), Bund, Ländern und Kommunen mitgetragen und finanziert werden.

In der Pflegeversicherung müssen die private Pflegeversicherung am Finanzausgleich beteiligt und konzertierte Aktionen ergriffen werden, die Wege aufzeigen, dass mehr Menschen sich zu Pflegekräften ausbilden lassen. Hinsichtlich der Leistungen fehlt nach wie vor ein regelhafter Dynamisierungsfaktor (zum Beispiel Koppelung an die Preisentwicklung).

Die Ersatzkassen werden die neue Bundesregierung daran messen, dass sie das
Prinzip der Selbstverwaltung wahrt und stärkt, dass sie faire Wettbewerbsbedingungen für alle Krankenkassen schafft, dass sie die Finanzarchitektur gerecht nachbessert und dass sie die Umsetzung der zahlreichen Gesetze in den Versorgungsbereichen zielgerichtet und versichertenorientiert begleitet und gegebenenfalls nachjustiert.

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