Teilhabe

Wohlbefinden als Ausdruck von Gesundheit

Prävention und Gesundheitsförderung für alle – das ist ein besonderes Anliegen dieser Bundesregierung. Entsprechend müssen gesundheitsfördernde Maßnahmen passgenau und gezielt in den Alltag aller Menschen integriert werden. Das Präventionsgesetz hat hier wichtige Rahmenbedingungen auf den Weg gebracht, um auch das gesundheitsförderliche Verhalten bei Menschen mit Behinderungen zu stärken.

Wenn wir über Gesundheitsförderung sprechen – erst recht mit Blick auf Menschen mit Behinderungen –, dann hilft es uns, zunächst eine möglichst treffende Definition für Gesundheit, die zu fördern ist, zu finden. Nach dem Verständnis von Hurrelmann und Richter aus dem Jahr 2013 wird Gesundheit als ein Stadium des Gleichgewichts von Risiko- und Schutzfaktoren angesehen, das eintritt, wenn einem Menschen die Bewältigung der inneren (körperlichen und psychischen) sowie äußeren (sozialen und materiellen) Anforderungen gelingt. Gesundheit ist nach Auffassung der Autoren ein Stadium, das einem Menschen Wohlbefinden und Lebensfreude vermittelt.

Wohlbefinden ist hier für mich das Schlüsselwort. Auch Menschen mit einer Behinderung, wenn sie darüber hinaus vielleicht sogar mit einer chronischen Erkrankung leben, können und sollen Wohlbefinden als Ausdruck von Gesundheit erreichen. Sie sollen mit ihren besonderen Bedürfnissen eine gute Balance für sich finden. Jeder und jede von uns braucht Entfaltungsmöglichkeiten, die umso mehr wachsen, je mehr wir uns gesund fühlen – und es sind.

Gezielte Maßnahmen zum Erhalt und zur Förderung der Gesundheit sind in jedem Lebensalter und in jeder Lebenslage von entscheidender Bedeutung. Ein körperlich aktiver Lebensstil, eine abwechslungsreiche Ernährung, die Vermeidung von Tabakkonsum, maßvoller Umgang mit Alkohol und eine gute Stressregulation sind für unser aller Gesundheit und unsere Lebensfreude entscheidende Faktoren.

Menschen mit Behinderungen gehören dazu, wenn es um gesellschaftliche Teilhabe für alle geht. Deshalb müssen gesundheitsfördernde Maßnahmen passgenau sein und gut mit den anderen Angeboten zur Begleitung und Förderung im Alltag verknüpft sein. Wenn das gut gelingt, können wir bei Menschen mit Behinderungen Selbstbewusstsein, eine möglichst weitgehende Selbstständigkeit und die Selbstbestimmung fördern. Damit unterstützen wir sie bei dem Erleben von Selbstwirksamkeit und erweitern ihre Handlungsoptionen – das bedeutet auch, dass wir sie in ihrem gesundheitsförderlichen Verhalten stärken.

Von Gesundheitsförderung und Prävention profitieren Menschen mit und ohne Behinderungen, egal wie alt sie sind. Der Gesetzgeber hat mit dem Präventionsgesetz deshalb auch einen entsprechenden gesetzlichen Rahmen geschaffen. In Bezug auf die eben erwähnte Stärkung des gesundheitsförderlichen Verhaltens bei Menschen mit Behinderungen möchte ich einen Aspekt des Gesetzes besonders herausgreifen: den Aspekt der Verhältnisse, in der Prävention und Gesundheitsförderung auch als Lebenswelten bezeichnet. Das Gesetz sieht vor, dass gerade die Angebote in den Lebenswelten ausgebaut und gestärkt werden sollen, weil sich hier die Menschen täglich aufhalten und viel Zeit verbringen. Beispiele für Lebenswelten sind Kitas, Schulen, Kommunen, Pflegeeinrichtungen, aber auch Betriebe. Zu den Betrieben zählen natürlich auch die Werkstätten für behinderte Menschen. Gut gemachte, wirksame Präventionsangebote können in diesen Werkstätten die Teilhabe am Arbeitsleben unterstützen und verbessern.

Solche Angebote der betrieblichen Gesundheitsförderung müssen selbstverständlich sehr gut auf die Bedürfnisse und die Bedarfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugeschnitten sein. Ich denke dabei z. B. an die Verwendung von leichter Sprache. Aber auch eine konsequente Barrierefreiheit, die weit über bauliche Barrieren hinweggeht, ist unerlässlich. Und nicht zuletzt müssen wir die „Präventionsbarrieren“ in den Köpfen der Kolleginnen und Kollegen, die mit den behinderten Beschäftigen zusammenarbeiten, im Blick haben. Denn auch sie sollten eine positive Haltung und Einstellung zu Gesundheit und zu gesundheitsförderlichem Verhalten haben und in die Arbeit einbringen können. Wo immer es geht, werden mit dem Präventionsgesetz die besonderen Belange von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt. Dazu ist es notwendig, den Sachverstand dieser Menschen bei der Erarbeitung und Umsetzung von Präventionsangeboten einzubinden, denn sie sind die Expertinnen und Experten in eigener Sache. Bei der Entwicklung der nationalen Präventionsstrategie und der Erarbeitung von Kriterien für die Leistungen der Krankenkassen wurde das durchgängig praktiziert. Das ist aus meiner Sicht sehr erfreulich und zeigt, dass die Beteiligten den Geist der UN-Behindertenrechtskonvention unterstützen und umsetzen.

Auch im Bundesministerium für Gesundheit fördern wir verschiedene Projekte zur Gesundheitsförderung von Menschen mit Behinderungen. Ein wichtiges Projekt, das wir gerade entwickeln, möchte ich nennen: Es zielt auf die Verbesserung der gynäkologischen Versorgung von Frauen mit Behinderungen. Leider verzichten Frauen mit Behinderungen teilweise gänzlich auf gynäkologische Vorsorge und Versorgung, weil die Praxen nicht auf sie und ihre besonderen Bedürfnisse eingerichtet sind. Im Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist der Ausbau des Angebots an ausreichend spezialisierten gynäkologischen Praxen und Ambulanzen daher als ein Handlungsschwerpunkt definiert. Wir fördern ein Forschungsvorhaben, mit dem die bereits bestehenden Angebote zur gynäkologischen Versorgung von Frauen mit  Behinderungen überprüft werden. Darauf aufbauend wollen wir erreichen, dass Handlungsempfehlungen erarbeitet werden. Mit den Handlungsempfehlungen könnte in Zukunft in Deutschland ein deutlich dichteres Netz von Praxen entstehen, damit auch Frauen mit Behinderungen eine vergleichsweise gut erreichbare gynäkologische Versorgung zur Verfügung steht.

Um an den Ausgangspunkt zurückzukommen: Gesundheit bedeutet auch Wohlbefinden und Lebensfreude, was wiederum Leistungsfähigkeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Dies auch Menschen mit Handicaps und Einschränkungen zu ermöglichen, am besten mit ihnen gemeinsam, das ist politischer Auftrag und wesentliches Ziel der Gesundheitsförderung und Prävention. Wir sind alle also gefragt, gute Ansätze weiter in die Fläche zu tragen und dafür zu sorgen, dass sich Angebote verknüpfen.

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  1. Gabriele Lösekrug-Möller, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales
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