Arzneimittel

Handlungsbedarf auch für die nächste Regierung

Die große Koalition war auch bei den Arzneimitteln aktiv. Neben routinemäßigen Anpassungen der Arznei- und Betäubungsmittelgesetzgebung hat es einen hochrangigen Pharma-Dialog gegeben. Seine Ergebnisse sind in ein Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz – AMVSG – eingeflossen. Der Europäische Gerichtshof hat zudem mit seinem Urteil zur Preisbindung einen Gesetzentwurf zum Verbot des Versandhandels mit Fertigarzneimitteln provoziert. Doch das Verbot kommt nicht.

Der Pharma-Dialog begann im Herbst 2014. Die Regierung hatte zum Ziel, in einem ressortübergreifenden Dialog unter Beteiligung von Wissenschaft und Arzneimittelherstellern Ideen für die Stärkung von Produktion und Forschung am Standort Deutschland zu entwickeln. Die Erwartungshaltung der Pharmaindustrie war hoch. Im Ergebnis ist es zum AMVSG gekommen. Die Pharmaindustrie kann zufrieden sein, auch wenn sie sich mehr erhofft hatte. Auch für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) hätte es schlimmer kommen können. Mit der im Pharmadialog geäußerten Absicht, die Erstattungsbeträge für neue Arzneimittel vertraulich zu halten, drohten wichtigen Regulierungsmechanismen der GKV wie den Wirtschaftlichkeitsprüfungen das Aus. Das AMVSG wird aber die Arzneimittelausgaben deutlich erhöhen; nach vorsichtigen Schätzungen etwa 800 Millionen Euro pro Jahr. Das wird auch durch die Verlängerung des Preismoratoriums bis Ende des Jahres 2022 nicht kompensiert. Das seit dem August 2010 geltende Regulierungsinstrument verhindert preisbedingte Mehrkosten; allerdings nur in dem Segment der patentgeschützten Arzneimittel. Und für die gibt es bei den seit 2011 zugelassenen Arzneimitteln Erstattungspreise durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz- (AMNOG)-Verfahren. Zudem wird die Inflationsrate ausgeglichen. Die durch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) geschätzten Einsparungen von jährlich 1,5 Milliarden Euro dürften damit deutlich zu hoch angesetzt sein.

Deutliche Ausgabensteigerungen werden dadurch entstehen, dass die Krankenkassen künftig die Versorgung mit Zytostatika-Lösungen nicht mehr ausschreiben dürfen. Hier gehen Einsparungen von rund 600 Millionen Euro verloren. An die Stelle der Ausschreibungen treten die Hilfstaxe und kassenübergreifende Rabattverträge. Selbst nach Angaben des BMG lassen sich auf diesen Wegen nur maximal 200 Millionen Euro einsparen. Schwerer wiegt, dass mit dem Wegfall klarer vertraglicher Qualitätsvorgaben die Versorgung der Versicherten wieder schlechter wird. Diese politische Entscheidung ist schwer nachzuvollziehen, das Ergebnis bedauerlich. Das gilt auch für die Streichung der Ausschreibung von Impfstoffen.   

Eine Vision, wie die Arzneimittelversorgung in den kommenden Jahren wirtschaftlich und hochwertig erhalten werden kann, lässt das Gesetz vermissen. Dies gilt insbesondere für die „Hochpreispolitik“ bei neu in den Markt kommenden Arzneimitteln. War zunächst noch vorgesehen, eine Umsatzschwelle einzuziehen, bei deren Erreichen die Erstattungsbeträge rückwirkend gelten, fehlt ein solcher Ansatz nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens vollends. Mit den „Mondpreisen“ der Pharmaindustrie wird sich die nächste Bundesregierung zwangsläufig beschäftigen müssen. Zufrieden dürften auch die Apotheker sein, die unter anderem eine Anhebung der Vergütung bei Standard-Rezepturarzneimitteln und Betäubungsmitteln in Höhe von 100 Millionen Euro erreichen konnten. Doch auch sie hatten sich mehr erhofft und dabei auf das beabsichtigte Verbot des Versandhandels mit Fertigarzneimitteln gesetzt. Ein entsprechender Gesetzentwurf war in Reaktion auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH-Urteil vom 19. Oktober 2016) durch das BMG verfasst worden. Das Urteil besagt, dass die gesetzliche Festschreibung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises für verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist. Somit können Versandapotheken im Ausland ihren Kunden großzügige Boni gewähren. Das ist den hiesigen Apotheken nicht erlaubt. Doch die Ressortabstimmung ließ erkennen; hier knirscht es zwischen den Regierungspartnern.   

Im Koalitionsausschuss vom 29. März 2017 hat die SPD dem Versandhandelsverbot ein Ende gesetzt und sich damit freiwillig den Zorn der Apotheker zugezogen. Das verwundert ein wenig, denn das Gesetzesvorhaben hatte ohnehin wenige Chancen. Die Bundesregierung hätte ihrer Anzeigeverpflichtung nachkommen und den Gesetzentwurf bei der Europäischen Kommission notifizieren lassen müssen. Ein Verfahren, das sich in die Länge zieht, wenn andere Mitgliedsstaaten Diskussionsbedarf anmelden. Damit drohte das Versandhandelsverbot dem Diskontinuitätsprinzip zum Opfer zu fallen. Mit dem Nein der SPD zum Versandhandelsverbot müssen nun andere Wege gesucht werden, die wettbewerbliche Benachteiligung inländischer Apotheken zu beseitigen. Bedauerlich ist das nicht: Auch wenn der Anteil der über den Versandhandel bezogenen Medikamente noch gering ist; die Online-Beschaffung entspricht einem allgemeinen Trend. Und die Bewohner ländlicher Gebiete oder immobile Menschen dürften froh sein, dass auch in Zukunft ihre Medikamente per Post kommen können.

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