Seit 2015 ist Rita Pawelski, ehemaliges Mitglied des Bundestages für die CDU, Bundeswahlbeauftragte für die Sozialversicherungswahlen. Ihre Aufgabe liegt darin, den Wahlvorgang zu überwachen und für dessen korrekte Durchführung zu sorgen. Sie steht dafür im Kontakt mit den Sozialversicherungsträgern und ihren Wahlbüros, vermittelt zwischen der Selbstverwaltung und dem Staat und ist für beide Seiten die zentrale Kontaktperson. Zudem tritt sie öffentlich für die Teilnahme an der Sozialwahl ein.
Was bedeuten die Wahlen für Versicherte und wo sehen Sie hier Ihre Verantwortung?
Die Sozialwahlen geben den Versicherten eine Stimme! Durch nichts anderes wird deutlicher, dass die einzelnen Versicherten über das Mittel der Wahlen mit zu den Gestaltern der jeweiligen Versicherung gehören. Das stärkt das Gewicht jedes einzelnen Versicherten gegenüber der Verwaltung. Denn jeder weiß, im Falle des Falles können sich die Versicherten an ihre Vertreterin, an ihren Vertreter im Verwaltungsrat oder gar in einem der Widerspruchsausschüsse wenden. Zugleich bedeutet die Teilnahme an der Sozialwahl eine Stärkung der Selbstverwalter, die diese Aufgabe – im Sinne der Versicherten – in ihrer Freizeit erledigen. Und davon profitiert die gesamte Versichertengemeinschaft. Als Bundeswahlbeauftragte werbe ich für die Teilnahme an der Sozialwahl und damit für die Stärkung der Selbstverwaltungen.
Die gewählten Selbstverwalter sind ehrenamtlich tätig. Was ist das Besondere daran?
Das Ehrenamt ist gerade in der Selbstverwaltung sehr wichtig, denn es kümmern sich Menschen, die selbst zu den Versicherten oder zu den Arbeitgebern der Versicherten gehören, um die Steuerung, um den Weg ihrer Krankenkasse. Sie tun dies neben ihren Berufen und sonstigen Tätigkeiten, die sie unternehmen, und behalten so die Sicht- und Denkweise des „Normalbürgers“. Ihre Ehrenamtlichkeit hält die Selbstverwalter am Puls des Lebens. Davon profitieren letztlich alle Versicherten!
In Ihrer Funktion vermitteln Sie auch zwischen Selbstverwaltung und Staat. Wie sieht diese Mittlerfunktion konkret aus?
Ich sehe mich als Fürsprecherin für die Selbstverwaltung, für die ich gegenüber der Politik und gegenüber den Medien streite. In diesem Jahr wurde versucht, durch das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz die Möglichkeiten der Selbstverwaltung einzuschränken. Es konnten viele „Giftzähne“ gezogen werden, vielleicht auch, weil ich mich eingesetzt habe.
Die Kosten für die Sozialwahl liegen umgerechnet bei etwas weniger als einem Euro je Versicherten. Ein gerechtfertigter Betrag?
Ja natürlich! Und die sind nicht zu hoch. 15 bis 17 Cent pro Wahlberechtigten und Jahr. Da kann niemand davon sprechen, das sei zu teuer. Demokratie kostet neben allem Engagement auch Geld.
Die Wahlbeteiligung lag vor sechs Jahren bei 30 Prozent. Was kann getan werden, um den Versicherten ihre Mitbestimmungsmöglichkeit bei der Sozialversicherung noch transparenter zu kommunizieren und sie für die Wahl zu mobilisieren?
Die Ersatzkassen und die beiden wählenden Rentenversicherungsträger haben eine Arbeitsgemeinschaft gebildet, um die Öffentlichkeitsarbeit für die Sozialwahlen 2017 zu koordinieren. Diese Arbeitsgemeinschaft leistet eine hervorragende Arbeit! Davon konnte ich mich persönlich überzeugen. Die Hauptlast der Werbung für die Sozialwahlen müssen die Ersatzkassen und die beiden wählenden Rentenversicherungen leisten. Die Rentenversicherungen haben Anfang März ihre Wahlvorankündigungsschreiben verschickt und damit schon einmal viel auch medialen Staub aufgewirbelt. Mein Stellvertreter Klaus Wiesehügel und ich versuchen, die Kampagne der Träger im Rahmen unserer Möglichkeiten tatkräftig zu unterstützen. Dazu gehört unsere Wahlauftaktveranstaltung am 25. April 2017 ebenso wie die Wahrnehmung vieler Presse- und Veranstaltungstermine im ganzen Land. Ich habe ein – zugegeben – ehrgeiziges Ziel ausgegeben. Ich möchte, dass wir 35 Prozent erreichen. Wer sich keine Ziele setzt, der kann es gleich sein lassen.
Die große Koalition hat sich eine Reform der Sozialwahl auf die Fahnen geschrieben, etwa durch die Stärkung der Urwahl und die Einführung der Onlinewahl. Doch bisher ist nichts passiert. Wurden hier Chancen vertan?
Ja! Eindeutig! Es wurde eine große Chance vertan! Wenn nicht eine große Koalition, wer dann sollte eine solche Reform auf den Weg bringen können? Und dabei standen so kluge Sachen im Koalitionsvertrag. Zum Beispiel über die Einführung von Onlinewahlen: Online gehört nun einmal zur Lebenswelt eines immer größer werdenden Teils unserer Bevölkerung. Zu Hause am Laptop oder am PC, unterwegs mit dem Smartphone. Ganz viele, für die Menschen wichtige Dinge, finden heutzutage online statt. Wer früher eine Arbeitsstelle erhalten wollte, musste eine ordentliche Bewerbungsmappe vorlegen. Viele Chefs wollen die Bewerbungsunterlagen heute nur noch elektronisch haben. Das Onlinebanking gehört für viele Menschen zum Alltag, Verträge werden online abgeschlossen. Auch teure Produkte werden online geordert und die Nutzung der Gesundheitskarte gewährt den Zugang zu sensibelsten persönlichen Daten. Ich glaube nicht, dass die Menschen davor Angst haben, dass jemand ausspähen könnte, welche Vorschlagsliste sie bei den Sozialwahlen gewählt haben, zumal die politische Spannweite der Vorschlagslisten deutlich geringer ist als bei politischen Wahlen. Sieht man sich die Wahlbeteiligungen bei so manchen Kommunalwahlen oder bei Bürgermeisterwahlen an, dann wird die Politik sehr schnell darüber nachdenken, diese Wahlen attraktiver zu machen, zum Beispiel mit Onlinewahlen. Bei den Sozialwahlen hätte man dies ausprobieren können. Gerade Ersatzkassen waren für einen solchen Probelauf bereit. Als die Politik endlich so weit war, das Experiment zu wagen, war es zu spät. Denn Gesetze und Wahlordnung hätten noch angepasst werden müssen, völlig abgesehen von den erheblichen Vorbereitungen bei den für das Experiment offenen Ersatzkassen. Eine Chance wurde verpasst! Das ist wirklich schade. Aber unmittelbar nach den Bundestagswahlen werde ich – das ist schon vereinbart – bei den Vorsitzenden der großen Bundestagsfraktionen anklopfen und fordern, dass Probeläufe von Onlinewahlen bei den Krankenkassen ermöglicht werden, die das möchten. Daneben – das haben diese Wahlen wieder gezeigt – brauchen wir eine Menge kleiner Wahlrechtsreformen, um das Sozialwahlrecht an die heutige Zeit anzupassen. Wir brauchen Weichenstellungen für mehr Wahlen und trotz des Anwachsens des Frauenanteils in der Selbstverwaltung bei den Sozialwahlen 2017 verbindliche Mindestanteile für Frauen auf den Vorschlagslisten.