Dr. Rainer Hess: "Der Schlüssel ist das Transplantationsregister"

Dr. Rainer Hess, Interimsvorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation, im Büro in einer Gesprächssituation

Dr. Rainer Hess überraschte Ende 2012 die Öffentlichkeit, als er zum Interimsvorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) berufen wurde.

Im Interview mit ersatzkasse magazin. spricht er über seine Rolle bei der DSO, notwendige Strukturveränderungen und seine persönlichen Motive, in Sachen Organspende etwas zu bewegen. Organtransplantation sei ein Bereich, in dem sich viele Probleme unseres Gesundheitswesens fokussierten.

Herr Dr. Hess, seit Beginn des Jahres sind Sie In­terimsvorstand der DSO. Wie kam es dazu?

Ich wurde kurz vor Weihnachten 2012 gebeten, als Interimsvorstand die Strukturen bei der DSO zu verändern. Ich fühle mich – obwohl ich Pensionär bin – noch nicht pensionsreif. Meine Aufgabe ist es vor allem, eine neue Satzung zu erarbeiten mit dem Ziel, diese private Stiftung stärker öffentlich-rechtlich zu besetzen und auszurichten. Das heißt, Bund und Länder sollen stärker mit ins Boot. Im Stiftungsrat sind jetzt sechs Organisationen mit Stimmrecht vertreten: GKV-Spitzenverband, Bundesärztekammer (BÄK), Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), Deutsche Gesellschaft für Transplantationschirurgie, Bund und Länder sowie zwei Patientenvertreter mit beratender Stimme.

Hat der Organspendeskandal dazu beigetragen, dass es zu organisatorischen Änderungen bei der DSO kam und dass die Politik jetzt stärker mitbestimmt?

Die Überlegungen zur internen Umstrukturierung bei der DSO gab es schon vor Bekanntwerden der Unregelmäßigkeiten bei der Organvergabe. Das hat sich nur zeitlich überlagert. Die internen Probleme der DSO hatten aber nichts mit den Wartelistenmanipulationen zu tun. Geändert hat sich bei der DSO allerdings: Der Stiftungsrat ist jetzt mehr ein politisches Gremium und natürlich redet die Politik jetzt mehr mit. Aber ich habe immer mit politischen Einflussnahmen gelebt. Damit habe ich keine Probleme.

Der Strafprozess gegen den ehemaligen Leiter der Göttinger Transplantationschirurgie hat kürzlich begonnen. Was erwarten Sie von dem Prozess?

Dieser Prozess ist wichtig, weil er juristisches Neuland betritt und seine Entscheidung daher grundsätzliche Bedeutung für die rechtliche Bewertung der Richtlinien der BÄK zur Organtransplantation hat. Eine harte Bestrafung in diesem Verfahren könnte dazu beitragen, das Vertrauen der Bevölkerung in die Transplantationsmedizin wiederherzustellen. Das gilt aber genauso für die Vielzahl von Ärzten, die sorgfältig und ethisch korrekt arbeiten und sich durch dieses Fehlverhalten einiger weniger Mediziner ebenfalls stark betroffen, ja sogar beschädigt fühlen.

Als Laie hat man den Eindruck, dass in Deutsch­ land die Strukturen bei der Organspende höchst kompliziert und intransparent sind. Hat das auch zum Skandal beigetragen?

In der Tat ist das Verfahren in Deutschland hochkomplex. Aber warum ist das so? Was die Hauptplayer betrifft, so gibt es eine klare und sinnvolle Rollenaufteilung. Wir haben die Entnahmekrankenhäuser und die Transplantationszentren. Die DSO arbeitet als Koordinierungsstelle eng mit den Entnahmekrankenhäusern zusammen und unterstützt diese im gesamten Organspendeprozess von den Angehörigengesprächen über die medizinischen Maßnahmen zur Erhaltung der Organe und dem Schutz des Spenders bis zur Organisation des Entnahmeteams und zum Transport der Organe in das jeweilige Transplantationszentrum. Außerdem vermitteln die DSO-Koordinatoren alle Spenderdaten an Eurotransplant, eine Stiftung in den Niederlanden, die für die Verteilung der vermittlungspflichtigen Organe in allen angeschlossenen Mitgliedsländern zuständig ist. Über allem steht die BÄK, die die Verteilungskriterien und Richtlinien – zum Beispiel über die Hirntodfeststellung – erlässt und bei der die Ständige Kommission Organtransplantation angesiedelt ist, die die Transplantationszentren prüft.

Warum so viele Player?

Zunächst ist es eine politische Entscheidung, dass Organspende und Transplantation streng voneinander getrennt sind und beispielsweise die Zuteilung von Organen nicht über das Transplantationszentrum entschieden werden darf. Es muss demnach eine dritte, unabhängige Instanz entscheiden, wer ein Organ bekommt. Das darf nicht innerhalb der Zentren geschehen, sonst würden diese sich die Organe so zuteilen, wie es ihrem individuellen Versorgungsbedarf entspricht. Das ist in Deutschland verboten, und das ist auch gut so.

Wie kann man sich die Arbeit der DSO dabei konkret vorstellen?

Die DSO begleitet den gesamten Organspendeprozess und kümmert sich darum, dass der Wille des Organspenders und seiner Familie entsprechend umgesetzt wird. Unsere Koordinatoren führen – sofern gewünscht – die Gespräche mit den Angehörigen, unterstützen und organisieren die Hirntoddiagnostik, veranlassen die Untersuchungen des Spenders zum Empfängerschutz, unterstützen die Entnahmeteams und sorgen dafür, dass die Organe rechtzeitig zum Empfänger gelangen. Das alles macht der Koordinator heute genauso wie vor zehn Jahren, und das funktioniert auch gut. Über diese Tätigkeit unserer Koordinatoren haben wir genaue Kenntnis, welcher Spender mit welchen Risiken welches Organ spendet, warum möglicherweise das Organ verloren gegangen ist, ob es Fehler gegeben hat. Alles wird objektiv festgehalten vom Koordinator – eine direkte Erhebung der Ist-Daten zum Zeitpunkt der Durchführung. Eine bessere Kontrolle gibt es da nicht.

Hintergrund: Die DSO

Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) mit Hauptsitz in Frankfurt am Main ist eine gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts. Sie ist die nach dem Transplantationsgesetz beauftragte Koordinierungsstelle für die Organspende in Deutschland. Zu ihren wesentlichen Aufgaben zählen unter anderem die Beratung und Unterstützung der Krankenhäuser mit Intensivstation in allen Fragen der Organspende sowie die Begleitung der Angehörigen von Organspendern. Die DSO setzt sich für die gesellschaftliche Anerkennung der Organspende ein und damit für mehr Infor­mation und Trans­parenz sowie für die Förderung des Wissenstransfers und der Weiterentwicklung der Transplantationsmedizin.

Aber was ist dann schiefgegangen, wie kam es zu den Manipulationen an der Warteliste?

Wenn klar ist, dass Organe gespendet werden können, informiert der Koordinator Eurotransplant. Die Warteliste aller Patienten, die ein Organ benötigen, wird von Eurotransplant geführt. Aber die Transplantationszentren sind es, die die Patienten auf die Warteliste setzen. Die Stiftung Eurotransplant selbst sammelt nur Daten, macht keine eigene Erhebung. Sie ist ein reiner Dienstleister. Das Problem ist, dass Eurotransplant diesen Angaben überwiegend vertraut hat. In den Kliniken ist am Datenbestand manipuliert worden, vor allem im Zusammenhang mit den Dialysedaten bei Leberpatienten. Eurotransplant konnte dies auch gar nicht kontrollieren, weil sie keine eigenen Erhebungen machen. Die Klinikwartelisten werden von Eurotransplant zu einer bundeseinheitlichen Warteliste zusammengeführt, die für die Organzuteilung maßgebend wird. Wer oben auf der Liste steht, hat eine größere Chance, eine Spende zu erhalten.

 Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) mit Hauptsitz in Frankfurt am Main ist eine gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts. Sie ist die nach dem Transplantationsgesetz beauftragte Koordinierungsstelle für die Organspende in Deutschland. Zu ihren wesentlichen Aufgaben zählen unter anderem die Beratung und Unterstützung der Krankenhäuser mit Intensivstation in allen Fragen der Organspende sowie die Begleitung der Angehörigen von Organspendern. Die DSO setzt sich für die gesellschaftliche Anerkennung der Organspende ein und damit für mehr Information und Trans­parenz sowie für die Förderung des Wissenstransfers und der Weiterentwicklung der Transplantationsmedizin.

Also muss stärker bei den Organentnahmen und der Erstellung der Wartelisten vor Ort kontrolliert werden?

Das ist nach Bekanntwerden der Manipulationen geschehen, dazu gibt es jetzt das Sechs-Augen-Prinzip, das durch Änderungen der Richtlinien der BÄK eingeführt wurde. Es gibt demnach ein Transplantationsteam, in dem auch eine neutrale Person vertreten sein muss, die nicht Teil des Transplantationsgeschehens ist, wie etwa der Ärztliche Direktor. Das läuft allerdings alles innerhalb des Klinikums, anders würde es auch nicht funktionieren.

Wie bekommt man mehr Transparenz in das Verfahren?

Dazu brauchen wir dringend ein Transplantationsregister. Derzeit haben wir zwei Datenblöcke, die Empfängerdaten liegen bei Eurotransplant, die Spenderdaten bei der DSO. Beide Daten dürfen aus Datenschutzgründen nicht zusammengeführt werden. Wir wissen damit auch nicht, welches Spenderorgan welcher Empfänger bekommt. Damit haben wir auch keine Kenntnisse über die Prozess- und Ergebnisqualität der Transplantation beim Empfänger. Wird das Organ vom Körper angenommen? Überlebt der Patient, stirbt er? Wie lange überlebt er? Was für Folgeschäden treten auf?

Ist das nicht die Rolle des Gemeinsamen Bundesausschusses (G­BA)?

Ja, der G-BA hat den Auftrag, die Qualität der Krankenhausbehandlung zu sichern. Das Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (AQUA-Institut) wurde deshalb damit beauftragt – völlig losgelöst vom Transplantationsgesetz –, entsprechende Daten von den Kliniken zu sammeln. Diese drei Datenquellen müsste man zu einem Register zusammenführen. So ein Register würde die Prüfungs- und Überwachungskommission in die Lage versetzen, ganz gezielt zu überprüfen, wo es Auffälligkeiten und Qualitätsunterschiede in den Kliniken gibt. Jetzt kann die Prüfungskommission nur flächendeckend vorgehen, zum Beispiel wie gerade geschehen alle Lebertransplantationen überprüfen, ohne jedoch dafür konkrete Anhaltspunkte zu haben.

Diskutiert werden auch die Verteilungskrite­rien. Die Wartelisten werden erstellt nach dem Prinzip Dringlichkeit, die Erfolgsaussichten spielen keine Rolle. Muss sich da auch etwas ändern?

Bei Lebertransplantationen ist das ganz offensichtlich. Hier bekommen nach dem Kriterium der Dringlichkeit meist die schwerstkranken Menschen die Organe. Folglich konnte über eine Manipulation der Dialysewerte getrickst werden und damit Patienten in der Dringlichkeit höher eingestuft werden. Wie aber sollen wir die Erfolgsaussicht messen, da gibt es derzeit keine Daten. Auch das wäre die Aufgabe eines solchen Registers, nämlich Daten zu liefern, wie die Erfolge optimiert würden, wenn andere Kriterien zugrunde lägen. Beispielsweise könnte man risikobesetzte Organe, etwa HIV-infiziert, einem HIV-Infizierten geben, der damit unter Umständen viele Jahre überlebt. Deshalb muss man diese Daten zusammenführen, um dann auch valide zu erkennen, was man an den Kriterien ändern muss, um in Deutschland bessere Ergebnisse zu erzielen. Wir sind zurzeit bei Lebertransplantationen in der Überlebensrate rund 20 Prozent schlechter als der internationale Durchschnitt.

Andere Länder haben so ein Register schon. Wie sehen Sie da die Chancen auf Umsetzung in Deutschland?

Wir hinken in Deutschland hinterher. Aber es gibt jetzt einen Bundestagsbeschluss, in dem die Forderung fest verankert ist. Daneben gibt es einen Auftrag an das Institut für Qualität und Patientensicherheit GmbH hat eine größere Chance, eine Spende zu erhalten.

Also muss stärker bei den Organentnahmen und der Erstellung der Wartelisten vor Ort kontrolliert werden?

Das ist nach Bekanntwerden der Manipulationen geschehen, dazu gibt es jetzt das Sechs-Augen-Prinzip, das durch Änderungen der Richtlinien der BÄK eingeführt wurde. Es gibt demnach ein Transplantationsteam, in dem auch eine neutrale Person vertreten sein muss, die nicht Teil des Transplantationsgeschehens ist, wie etwa der Ärztliche Direktor. Das läuft allerdings alles innerhalb des Klinikums, anders würde es auch nicht funktionieren.

Wie bekommt man mehr Transparenz in das Verfahren?

Dazu brauchen wir dringend ein Transplantationsregister. Derzeit haben wir zwei Datenblöcke, die Empfängerdaten liegen bei Eurotransplant, die Spenderdaten bei der DSO. Beide Daten dürfen aus Datenschutzgründen nicht zusammengeführt werden. Wir wissen damit auch nicht, welches Spenderorgan welcher Empfänger bekommt. Damit haben wir auch keine Kenntnisse über die Prozess- und Ergebnisqualität der Transplantation beim Empfänger. Wird das Organ vom Körper angenommen? Überlebt der Patient, stirbt er? Wie lange überlebt er? Was für Folgeschäden treten auf?

Ist das nicht die Rolle des Gemeinsamen Bundesausschusses (G­BA)?

Ja, der G-BA hat den Auftrag, die Qualität der Krankenhausbehandlung zu sichern. Das Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (AQUA-Institut) wurde deshalb damit beauftragt – völlig losgelöst vom Transplantationsgesetz –, entsprechende Daten von den Kliniken zu sammeln. Diese drei Datenquellen müsste man zu einem Register zusammenführen. So ein Register würde die Prüfungs- und Überwachungskommission in die Lage versetzen, ganz gezielt zu überprüfen, wo es Auffälligkeiten und Qualitätsunterschiede in den Kliniken gibt. Jetzt kann die Prüfungskommission nur flächendeckend vorgehen, zum Beispiel wie gerade geschehen alle Lebertransplantationen überprüfen, ohne jedoch dafür konkrete Anhaltspunkte zu haben.

Diskutiert werden auch die Verteilungskriterien. Die Wartelisten werden erstellt nach dem Prinzip Dringlichkeit, die Erfolgsaussichten spielen keine Rolle. Muss sich da auch etwas ändern?

Bei Lebertransplantationen ist das ganz offensichtlich. Hier bekommen nach dem Kriterium der Dringlichkeit meist die schwerstkranken Menschen die Organe. Folglich konnte über eine Manipulation der Dialysewerte getrickst werden und damit Patienten in der Dringlichkeit höher eingestuft werden. Wie aber sollen wir die Erfolgsaussicht messen, da gibt es derzeit keine Daten. Auch das wäre die Aufgabe eines solchen Registers, nämlich Daten zu liefern, wie die Erfolge optimiert würden, wenn andere Kriterien zugrunde lägen. Beispielsweise könnte man risikobesetzte Organe, etwa HIV-infiziert, einem HIV-Infizierten geben, der damit unter Umständen viele Jahre überlebt. Deshalb muss man diese Daten zusammenführen, um dann auch valide zu erkennen, was man an den Kriterien ändern muss, um in Deutschland bessere Ergebnisse zu erzielen. Wir sind zurzeit bei Lebertransplantationen in der Überlebensrate rund 20 Prozent schlechter als der internationale Durchschnitt.

Andere Länder haben so ein Register schon. Wie sehen Sie da die Chancen auf Umsetzung in Deutschland?

Dr. Rainer Hess wurde am 6. November 1940 in Frankfurt am Main geboren. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften und anschließender Referendarausbildung promovierte er 1972 im Steuerrecht. Nach seiner zweijährigen Tätigkeit als Justiziar des Verbandes der leitenden Krankenhausärzte war er von 1971 bis 1987 Justiziar der gemeinsamen Rechtsabteilung von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV). Im Anschluss agierte er fünf Jahre als Hauptgeschäftsführer der KBV. 2004 wurde Hess unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses. Seit 2013 ist er bis Ende dieses Jahres Hauptamtlicher Vorstand für Restrukturierung der Deutschen Stiftung Organtransplantation.

Wir hinken in Deutschland hinterher. Aber es gibt jetzt einen Bundestagsbeschluss, in dem die Forderung fest verankert ist. Daneben gibt es einen Auftrag an das Institut für Qualität und Patientensicherheit GmbH (BQS-Institut), ein Gutachten als Voraussetzung für ein Transplantationsregister bis Ende des Jahres zu erstellen.

Gibt es nicht auch zu viele Transplantations­zentren in Deutschland?

Sicher. Allerdings ist es derzeit schwer, eine saubere Entscheidung zu treffen, welche Klinik konkret geschlossen werden sollte. Auch deshalb brauchen wir das Register, um ein Benchmark-System zu etablieren, um zu wissen, wo Wartelisten unter Umständen manipuliert oder wo unnötige Fälle produziert wurden. Und damit kommen wir aus meiner Sicht an einen entscheidenden Punkt: Das DRG-Vergütungssystem hat in einigen Bereichen zu erheblichen Fehlentwicklungen geführt.

Wollen Sie die DRGs grundsätzlich zur Diskussion stellen?

Nein, aber es ist dringend an der Zeit, Fehlsteuerungen zu korrigieren. Am Beispiel der Organtransplantationen wird das sehr deutlich. Das Problem ist: Wenn Sie nur 1.000 Lebern haben und etwa 24 Leber-Transplantationszentren, können Sie ja nicht beliebig großzügige Indikationen stellen. Wenn Sie ein DRG-System haben, in dem Kliniken, die überleben wollen, Fälle brauchen, es aber nur eine begrenzte Anzahl an Organen gibt und die Zuteilung nach Warteliste erfolgt, dann ist die Warteliste der verlagerte Platz für den Wettbewerb.

Wie wollen Sie das ändern?

Entweder müssten wir das DRG-System bei Organtransplantation abschaffen oder mindestens eine patientenbezogene Vergütung einführen. Mit einem Register können wir das noch mit einem Qualitätskoeffizienten verbinden: Die Klinik bekommt mehr Geld, wenn sie entsprechend mehr Erfolge vorweisen kann. Das wäre durchaus eine Vergütungsstruktur, die sich auf den Patienten bezieht. Das heißt, wenn die Klinik entsprechend hohe Erfolgsquoten vorweisen kann, bekommt sie mehr Geld, die andere weniger. Das wäre möglich.

Da greift wieder das Register.

Das brauchen Sie, das ist der Schlüssel. Die ökonomische Denke überlagert das medizinische Gewissen, das war ja das Problem in dem Transplantationszentrum in Regensburg. Oft kommen dann noch die Prämien ins Spiel. Prämien stehen ja heute in fast jedem Chefarztvertrag. Auch das ist die Folge eines fehlgeleiteten Wettbewerbs, dass Chefärzte mehr Geld bekommen, wenn sie mehr Fälle produzieren. Das ist natürlich schädlich in der Organtransplantation, weshalb sie ja jetzt durch eine Vereinbarung zwischen DKG und gesetzlicher Krankenversicherung abgeschafft wurden. Bei der Organtransplantation bin ich der Meinung: raus aus dem Wettbewerb! Jetzt muss man, auch wenn die DRGs in anderen Bereichen sinnvoll sind, in diesem Bereich gegensteuern.

Wie wollen Sie das verloren gegangene Vertrauen in die Organspende bei den Bürgern zurückgewinnen?

Die Spendebereitschaft in Deutschland war ja schon vor dem Skandal deutlich niedriger als in anderen Ländern. Daran soll das Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung etwas ändern. Die Krankenkassen müssen jetzt ihre Versicherten regelmäßig zu Fragen der Organspende informieren und ihnen Organspendeausweise zur Verfügung stellen. Die Bürger sollten sich mit dem Thema Organspende aktiv auseinandersetzen und sich dann bewusst für oder gegen eine Organspende entscheiden. Alles ist freiwillig. Die Manipulationen an einigen Kliniken haben diese Bemühungen leider überlagert. Nur durch Aufklärungsarbeit und Transparenz ist das wieder gutzumachen.

Was geben Sie den Bürgern noch mit auf den Weg in Sachen Organspende?

Nach wie vor möchte ich den Wert der Organspende betonen. Dieser Wert an sich ist trotz der Missbräuche nicht verloren gegangen. Wir haben nach wie vor 11.000 Patienten, die auf der Warteliste stehen und dringend ein Organ benötigen, denen man mit einem Organ wieder eine sehr hohe Lebensqualität schenken kann. Das ist für viele fast so etwas wie eine zweite Geburt. Dann möchte ich zweitens betonen, dass der Hirntod ein absolut sicheres Todeskriterium bei der Organspende ist. Als deutscher Bürger kann man sicher sein, dass dies in Deutschland sehr streng geregelt ist. Das Dritte wäre die Transparenz. Damit die Menschen uns das auch alles glauben, schulden wir ihnen vollständige Transparenz bei allen Abläufen. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten.

Portrait Dr. Rainer Hess

Dr. Rainer Hess wurde am 6. November 1940 in Frankfurt am Main geboren. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften und anschließender Referendarausbildung promovierte er 1972 im Steuerrecht. Nach seiner zweijährigen Tätigkeit als Justiziar des Verbandes der leitenden Krankenhausärzte war er von 1971 bis 1987 Justiziar der gemeinsamen Rechtsabteilung von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV). Im Anschluss agierte er fünf Jahre als Hauptgeschäftsführer der KBV. 2004 wurde Hess unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses. Seit 2013 ist er bis Ende dieses Jahres Hauptamtlicher Vorstand für Restrukturierung der Deutschen Stiftung Organtransplantation.

Weitere Artikel aus ersatzkasse magazin. 9./10.2013