Flüchtlingsfamilie

Von Aleppo nach Neumünster

Für Dr. Munzer Sheko hat sich alles mit dem Tod seiner elfjährigen Nichte verändert. Sie starb im Jahr 2013 bei einer Bombenexplosion in dem Gebäude ihrer Familie, ganz in der Nähe seiner eigenen Wohnung. Der 45-jährige Internist lebte in der nordsyrischen Großstadt Aleppo und hatte eine eigene Praxis. Seine Familie entschied sich zur Flucht. Eine lange Reise führte sie nach Norddeutschland, wo Sheko heute in einem Krankenhaus arbeitet.

2011 brach der syrische Bürgerkrieg aus. Aleppo ist seither heftig umkämpft und mittlerweile zu einem Großteil zerstört. „Wir haben eineinhalb Jahre vergeblich gewartet und gehofft, dass der Krieg beendet wird“, sagt Sheko. „Dann wurde meine Nichte getötet, ich sah meine Frau und meine beiden kleinen Töchter in Gefahr und beschloss, Syrien zu verlassen.“ Die legale Ausreise wurde nicht bewilligt, Familie Sheko floh auf dem Landweg in die Türkei. Sheko erhielt dort aber keine Arbeitserlaubnis. Deshalb wandte er sich an Schleuser. Für 25.000 Euro erhielt seine Familie gefälschte Pässe und wurde in ein Flugzeug nach Düsseldorf gesetzt.

Im September 2013 kommen die Shekos in Deutschland an. Man bringt sie in das Erstaufnahmelager nach Neumünster, dort warten sie elf Monate auf ihren Aufenthaltstitel. Die kurdischsprachige Familie besucht von Ehrenamtlichen angebotene Deutschkurse, später dann den amtlichen Integrationskurs mit weiterem Sprachunterricht, den Sheko mit einer B 2-Sprachprüfung abschließt. Damit kann er die Approbation für die Arzttätigkeit in Deutschland beantragen. Das Genehmigungsverfahren dauert 18 Monate, doch für diese Zeit erhält Sheko eine vorübergehende Berufserlaubnis. Von einem Bekannten hört er, dass am Friedrich-Ebert-Krankenhaus (FEK) in Neumünster syrische Ärzte gesucht werden. Er stellt sich direkt persönlich vor und wird als Assistenzarzt angestellt. Nach der langen Flucht geht jetzt auf einmal alles sehr schnell.

Das Krankenhaus liegt wenige Hundert Meter von der zentralen Erstaufnahme entfernt, in der Familie Sheko untergebracht war. Die Einrichtung ist eigentlich auf 2.000 Menschen ausgelegt, mit der zunehmenden Zahl von Kriegsflüchtlingen wurden immer mehr Menschen dort untergebracht, bis Herbst 2015 stieg ihre Zahl auf fast 5.000. Zur medizinischen Versorgung kommen die Flüchtlinge in die Notaufnahme des FEK, doch die Kapazitäten reichten irgendwann nicht mehr aus für eine angemessene Versorgung. „Wir brauchten dringend eine Entlastungssituation“, sagt der ärztliche Direktor des FEK, PD Dr. Ivo Markus Heer. Das größte Problem bei der Versorgung von Flüchtlingen sei die Sprachbarriere, weil die Verständigung Zeit koste. Deswegen sollte ein multikulturelles Team eingesetzt werden. „In Krisensitzungen mit dem Innenministerium Schleswig-Holstein haben wir diese Lösung erarbeitet und entsprechende Mittel bewilligt bekommen. Damit konnten wir die Einheit integrierende Versorgung als Teil der zentralen Notaufnahme gründen.“ Zwei syrische Ärzte und drei Pflegekräfte wurden dafür eingestellt, das Team soll im kommenden Jahr erweitert werden.

Sheko hat die Hoffnung, dass er irgendwann nach Syrien zurückgehen kann. Aber er mag Deutschland, die Natur, die Menschen, auch wenn vieles anders sei als in seiner Heimat. „Wichtig für mich sind die Kinder. Sie sind zufrieden und haben in der Schule Spaß.“ Und in Neumünster sind sie in Sicherheit vor dem syrischen Bürgerkrieg.

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