Honorarverhandlungen Zahnärzte

Produktivität im Blick

Illustration: Zahnärzte stehen vor Ärztehäusern

Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) von 2011 haben sich die Rahmenbedingungen für die Vergütungsverhandlungen der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZV) mit den gesetzlichen Krankenkassen ab dem Jahr 2013 wesentlich verändert. Das bezieht sich vornehmlich auf die Parameter, die bei der jährlichen Festsetzung der Veränderungsrate der Gesamtvergütung zu berücksichtigen sind (§ 85 Abs. 3 SGB V), und gilt insbesondere für das Kriterium „Veränderung der Kosten- und Versorgungsstruktur“, das anstelle der Berücksichtigung von Veränderungen der Praxiskosten gilt.

In der Vergangenheit haben sich die Verhandlungen maßgeblich auf Ergebnisse einer jährlich durch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) durchgeführten Erhebung zu den Praxiskosten gestützt, die für die KZV-Bezirksebene aufbereitet wurden. Eine bezogen auf die erhobenen Merkmale vergleichbare Kostenstrukturerhebung wird im Vierjahresturnus vom Statistischen Bundesamt (Destatis) durchgeführt. Anders als für die Destatis-Erhebung liegen für die KZBV-Kostenstrukturerhebung allerdings so gut wie keine Informationen zur Erhebungsmethodik vor. Es fehlen auch weiterführende Informationen, die eine Einschätzung ermöglichen, ob insbesondere die aus der Erhebung gewonnenen regionalen Kennwerte für die Verhandlungen auf KZV-Bezirksebene hinreichend belastbar sind.

Das gilt vor allem mit Blick auf Veränderungen in den Versorgungsstrukturen, für die gezeigt werden kann, dass sie ihrerseits zu Veränderungen in den Praxiskosten und ihrer Zusammensetzung – den Kostenstrukturen – führen: So nahm seit dem Jahr 1995 die Zahl der Gemeinschaftspraxen mit zwei bzw. mit mehr als zwei Inhabern kontinuierlich zu (2012 gegenüber 1995: +34,6 Prozent bzw. +135,8 Prozent), die Zahl der Einzelpraxen dagegen ab (-5 Prozent). Auch bezogen auf Spezialisierungen haben sich die Angebotsstrukturen ausdifferenziert. Beispielsweise nahm die Zahl der nur an der kieferorthopädischen Versorgung teilnehmenden Vertragszahnärzte im Zeitraum zwischen 2005 und 2013 kontinuierlich zu (+5,5 Prozent), die der Vertragszahnärzte insgesamt dagegen ab (-3,6 Prozent). Einen weiteren, seit Jahren stabilen Trend bildet die Zunahme angestellter Zahnärzte, die in den Statistiken nicht zu den Vertragszahnärzten gezählt werden. Allein innerhalb der letzten sechs Jahre hat sich ihre Zahl – allerdings ausgehend von einem niedrigen Niveau – vervierfacht, sodass mit 61.348 Zahnärzten (Stand: zweites Quartal 2014) mehr Zahnärzte als jemals zuvor in der Versorgung tätig waren. Trotz rückläufiger Zahl der Vertragszahnärzte hat sich in der Folge auch die Zahnarztdichte (Zahnärzte pro 100.000 Einwohner) beständig erhöht.  

Dass sich die Praxiskosten und ihre Zusammensetzung in der gegenwärtig auch in den Verhandlungen oftmals praktizierten „blockweisen“ Betrachtung (Personalkosten, Aufwendungen für Material und fremde Laborarbeiten etc.) allein bedingt durch betriebsorganisatorische Anpassungen verändern, wird am Beispiel der angestellten Zahnärzte deutlich. Gehälter für angestellte Zahnärzte werden ohne gesonderten Ausweis den Personalkosten zugerechnet. Eine zunehmende Verlagerung zahnärztlicher Tätigkeit vom Praxisinhaber zum angestellten Zahnarzt führt somit bereits unter sonst gleichen Bedingungen zu einer Erhöhung der Personalkosten je Praxis. Neben dem Erfordernis, zur Kostenstrukturerhebung die eingangs angesprochene Transparenz über die Erhebungsmethodik her und Informationen zur Einschätzung der Belastbarkeit der Erhebungsergebnisse bereitzustellen, ist somit die systematische Weiterentwicklung der Informationsgrundlagen erforderlich. Nur dann kann der Anforderung des Gesetzgebers adäquat entsprochen werden, Veränderungen in der Kosten- und Versorgungsstruktur in den Verhandlungen zu berücksichtigen.  Eine differenziertere Aufschlüsselung sollte ferner für den auch als Reinertrag bezeichneten Einnahmen-Überschuss erfolgen. Auf ihn entfällt derzeit im Mittel über alle Praxen ca. ein Drittel des Gesamtumsatzes einer Zahnarztpraxis. So zeigt beispielsweise eine Destatis-Sonderauswertung aus der Kostenstrukturerhebung 2011, dass nicht nur die Betriebsausgaben und die darunter subsummierten Personalkosten, sondern auch der Reinertrag je Praxisinhaber bei Praxen mit einem oder mehr als einem angestellten Zahnarzt (inklusive Assistenzzahnarzt) deutlich höher ausfallen als bei Praxen ohne angestellte Zahnärzte: Bei Praxen mit einem angestellten Zahnarzt liegt der Reinertrag je Praxisinhaber um das 1,4-Fache höher, bei Praxen mit mehr als einem angestellten Zahnarzt um das 1,9-Fache. Soweit sich darin Produktivitätsfort- schritte – oder ausgedrückt in der Sprache des Sozialversicherungsrechts Fortschritte in der Wirtschaftlichkeit der Leistungserstellung – spiegeln, wären diese auch vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgebotes (§ 12 SGB V) für die Verhandlungen von unmittelbarer Bedeutung. Die Datengrundlagen und die vorliegenden Auswertungsergebnisse erlauben es derzeit allerdings nicht, die Entwicklung von Kosten (im Sinne der Betriebsausgaben) und Reinerträgen respektive die Produktivitätsentwicklung nach von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finanziertem und nicht GKV-finanziertem Bereich aufzuschlüsseln. Auch in dieser Hinsicht sollten die Datengrundlagen und Berechnungsverfahren verbessert werden. Einen konkreten Vorschlag, über den in dieser Position enthaltene Produktivitätsgewinne bestimmt werden können, enthält die von der AGENON Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Gesundheitswesen mbH im Auftrag des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) jüngst vorgelegte Expertise „Veränderung der Kosten und Versorgungsstruktur von Zahnarztpraxen (§ 85 Abs. 3 SGB V)“. Der von AGENON unterbreitete Vorschlag eröffnet auch die Option, sich anstelle der differenzierten Feststellung und Verhandlung zu den verschiedenartigen Veränderungen in der Kosten- und Versorgungsstruktur stärker auf den Aspekt der Berücksichtigung von Produktivitätsveränderungen zu konzentrieren. Hier finden letztlich alle Veränderungen in den Kosten- und Versorgungsstrukturen ihren Niederschlag.

Die Expertise steht inklusive der Quellenachweise für alle hier berichteten Werte auf der Internetseite des vdek zum Download bereit.

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