Psychiatrie-Entgeltsystem

PEPP-System: Weiterentwicklung erforderlich

Das Psych-Entgeltsystem (PEPP-System) soll 2017 als pauschalierendes, leistungsorientiertes Entgeltsystem in der stationären Psychiatrie und Psychosomatik kommen und befindet sich seit 2013 in der Optionsphase: Kliniken können nach PEPP abrechnen, müssen es aber nicht. Mitte Februar 2016 sind die Eckpunkte zur Weiterentwicklung des Psych-Entgeltsystems (PEPP) veröffentlicht worden. Allerdings ist die gesetzestechnische Ausgestaltung immer noch völlig offen, Überraschungen sind zu erwarten. Es kommt jetzt darauf an, dass die Weiterentwicklung zu einer stärkeren Leistungs- und Qualitätsorientierung, einer besseren Verzahnung des stationären und ambulanten Bereichs sowie insgesamt zu mehr Transparenz führt. All dies kann ein weiterentwickeltes PEPP-System unterstützen.

Mit dem Krankenhausfinanzierungsreformgesetz hat die Selbstverwaltung 2009 den Auftrag erhalten, ein neues leistungsorientiertes und pauschalierendes Entgeltsystem für den Bereich der stationären Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (PEPP-Entgeltsystem) zu entwickeln. Seit 2013 wird es erprobt und weiterentwickelt; Kliniken können seither auf freiwilliger Basis nach PEPP-System abrechnen. Voraussichtlich wird die Teilnahme nach den sogenannten Optionsjahren ab 2017 verpflichtend. Die Einführung des PEPP-Entgeltsystems geriet in letzter Zeit ins Stocken. Die Koalitionsparteien waren sich uneins, wie es mit PEPP weitergehen sollte. 2013 vereinbarten CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag, an den Zielen Leistungstransparenz und -orientierung sowie an einer verbesserten Verzahnung von stationärem und ambulantem Bereich festzuhalten. Darüber hinaus wurde festgehalten, dass das neue Entgeltsystem keine negativen Auswirkungen auf die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen haben soll: Drehtüreffekte sollen abgebaut, Personalanhaltszahlen etabliert werden. Seit Mai 2015 findet ein strukturierter Dialog zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und Vertretern aus Politik, Selbstverwaltung und Fachgesellschaften statt. Am 18. Februar 2016 wurden dann die Eckpunkte zur Weiterentwicklung von PEPP veröffentlicht.

Mit diesen Eckpunkten nimmt der Gesetzgeber Abstand von den geplanten Preisen auf Landesebene (Festpreissystem). Das neue Entgeltsystem wird als krankenhausindividuelles Budgetsystem ausgestaltet – allerdings bleiben die auf empirischen Daten kalkulierten bundeseinheitlichen Entgelte (PEPP-Entgelte) erhalten. Diese sollen zukünftig auf Basis der Häuser kalkuliert werden, die bestimmte Qualitätsanforderungen – insbesondere zur Personalausstattung – erfüllen. Darüber hinaus soll mit einem sogenannten Hometreatment die sektorenübergreifende Versorgung gestärkt werden.

Erst DRGs, dann PEPP

Als die Diagnosis Related Groups (DRG-Fallpauschalen) 2003 für die somatischen Fächer eingeführt wurden, waren sich alle Beteiligten einig, dass der Psych-Bereich ausgenommen werden sollte. Anders als in den somatischen Fächern gibt es bei den Behandlungen keinen asymptotischen Verweildauerverlauf. Durch eine starke Häufung an Kurz- und Langliegern ist die mittlere Verweildauer bei psychischen Erkrankungen eher der Ausnahmefall. Hohe Wiederaufnahmequoten und die Abhängigkeit vom Vorhandensein eines komplementären Umfelds sprachen ebenfalls gegen eine Übernahme der DRG-Logik.

Mit den PEPP-Entgelten sind tages- und keine fallbezogenen Vergütungen gekommen. Der Leistungsbezug ist hingegen wie beim DRG-System vom Diagnosen- und Prozedurenschlüssel bestimmt. Diagnosestellung und -kontinuität sind im Psych-Bereich ein seit Langem bekanntes Problem. Anders als bei der DRG-Einführung konnte man nicht auf einen internationalen Prozedurenschlüssel zurückgreifen. Dieser musste neu entwickelt werden. Das Ergebnis war eine kleinteilige, völlig überdifferenzierte Einzelleistungsbeschreibung, die etwas von „Rechtfertigung“ verspürt, aber nicht in der Lage war, Aufwandsunterschiede zwischen den Leistungsbereichen abzubilden bzw. Leistungsorientierung und Transparenz herzustellen. Der „sprechenden Medizin“ fällt es schwer aufzuzeigen, was sie tut bzw. leistet.

Die längst überfällige Anpassung des Prozedurenschlüssels für den Psych-Bereich wurde von den Fachgesellschaften bislang nicht unterstützt. Stattdessen kam es zu einer Fundamentalkritik. 2015 wurden auf Drängen der Fachgesellschaften die verweildauerabhängigen Relativgewichte im Katalog aufgenommen. Diese verteufeln nun den damit verbundenen Bürokratieaufwand und fordern die Rückkehr zu einem budgetbasierten Entgeltsystem. Die Politik sieht sich im Zugzwang: So vermeiden auch die vorliegenden Eckpunkte bewusst den Begriff „PEPP“, damit sich alle Beteiligten wiederfinden.

Erlös- oder Kostenbudget?

Ein Budget setzt sich, vereinfacht ausgedrückt, aus dem Produkt von Menge und Entgelten zusammen. Voraus geht die Festlegung einer Leistungsstruktur. Wie die Entgelte bewertet werden, ist dabei offen. Das der Entgeltfindung zugrunde liegende Verfahren kann sowohl aus der Selbstkostenerstattung als auch aus einem Preisverfahren resultieren. Politischer Wille ist es, vom landesweiten Festpreissystem abzukommen. Nach wie vor sollten die Aufwände für die Behandlung am Patienten vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) über das Kalkulationsverfahren ermittelt und in bundesweiten Relativgewichten über den Entgeltkatalog veröffentlicht werden. Diese Relativgewichte machen es möglich, für jedes Krankenhaus einen tagesbezogenen Entgeltwert zu ermitteln. Dieser drückt die Wirtschaftlichkeit eines Krankenhauses aus. Daneben wird ein tagesbezogener Relativgesichtsdurchschnitt (Day-Mix-Index) entwickelt, der die Leistungsfähigkeit eines Krankenhauses wiedergibt.

In allen Ländern, in denen leistungsorientierte Entgeltsysteme nicht als Festpreissystem, sondern als Instrument des Krankenhausvergleiches eingesetzt werden, kann man anhand dieser beiden Kerngrößen Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit von Krankenhäusern vergleichen. DRG- und PEPP-System sind ideale Instrumente für einen Krankenhausvergleich. Die Ergebnisse sind nicht angreifbar. Die ermittelten Vergleichswerte können die Voraussetzung schaffen, Marktpreise einzuführen. Auf der Grundlage von Marktpreisen kann selbstverständlich ein Erlösbudget gebildet werden.

Die Eckpunkte sehen vor, dass neben behandlungsbezogenen Aufwänden, die über das InEK-Verfahren abgebildet werden, auch leistungsbezogene strukturelle Besonderheiten, wie beispielsweise die Versorgungsverpflichtung, abgebildet werden sollen. Bislang war es im InEK-Verfahren nicht möglich, Aufwandsunterschiede zwischen Krankenhäusern ausfindig zu machen, die eine Versorgungsverpflichtung eingegangen sind oder nicht. Dies liegt daran, dass für psychosomatische Einrichtungen gesonderte PEPP-Entgelte im Katalog ausgewiesen werden und nahezu alle psychiatrischen Einrichtungen eine Versorgungsverpflichtung eingegangen sind. Erschwerend kam hinzu, dass bundeseinheitlich nicht definiert ist, was unter Versorgungsverpflichtung zu verstehen ist. In der Literatur wird Versorgungsverpflichtung so interpretiert, dass ein Krankenhaus verpflichtet ist, Patienten aus der Versorgungsregion aufzunehmen, wenn diese behandelt werden müssen oder wollen. Die Festlegung einer Versorgungsregion obliegt den für die Krankenhausplanung zuständigen Ländern.

Eine Versorgungsverpflichtung kann mit Belegungsschwankungen einhergehen. Diese hat Auswirkungen auf den Auslastungsgrad einer psychiatrischen Einrichtung. Das Kalkulationsverfahren des InEK geht nach einem sogenannten Einhausverfahren vor, das heißt alle Krankenhäuser, unabhängig vom jeweiligen Auslastungsgrad, werden zur Durchschnittsbildung herangezogen. Daher macht es Sinn, Unterschiede im Auslastungsgrad krankenhausindividuell zu berücksichtigen. Genauso sinnhaft ist aber auch, unterschiedliche Mengenentwicklungen zu berücksichtigen. Die Fixkostendegression ist bei Krankenhäusern, die ihr Belegungstageaufkommen jährlich erhöhen, erlösmindernd zu berücksichtigen.

Immer wieder wird angeführt, dass sozioregionale Besonderheiten, wie etwa Arbeitslosenquote, Einkommensniveau oder Altersdurchschnitt, in den jeweiligen Versorgungsregionen zu Aufwandsunterschieden führen. Dies soll nicht in Abrede gestellt werden. Den Vertragsparteien vor Ort wird es niemals möglich sein, diese Unterschiede zu bewerten. Je Versorgungsregion sind diese Kriterien zu erheben und bundesweit zusammenzuführen. Nur über das InEK-Verfahren wird es möglich sein, valide Aufwandsunterschiede sozio-regionaler Faktoren zu ermitteln.

Sektorenübergreifende Behandlung ja; sektorenübergreifendes Budget nein?

Die Regierungskoalition will die sektorenübergreifende Behandlung fördern. Den Psych-Einrichtungen soll es ermöglicht werden, Patienten auch im Lebensumfeld zu behandeln. Insbesondere wenn die Ursachen einer psychischen Erkrankung im häuslichen Umfeld oder der Arbeitsumgebung liegen, macht dies Sinn. Gerade im Psych-Bereich gilt der Grundsatz „ambulant vor stationär“.

Gleichermaßen gilt es, Behandlungs- und Therapeutenkontinuität zu garantieren. Eine gute psychiatrische Versorgung zeichnet sich nicht durch lange Krankenhausaufenthalte aus. Vollstationäre Behandlung soll vermieden werden und durch ambulante Therapie, zum Beispiel in den psychiatrischen Institutsambulanzen, durch Hometreatment, intermittierende tagesklinische Behandlung oder durch teilstationäre Behandlung ersetzt werden. Dies kann nur dann gelingen, wenn alle Behandlungsformen in einem Erlösbudget zusammengefasst werden, also einen Budgetrahmen für flexible Behandlungsformen bilden.

Daran haben die Leistungserbringer kein Interesse. Alle Behandlungsformen sind nach deren Vorstellungen in separaten Säulen zu vergüten. Leistungsausweitung statt Substitution in allen Behandlungsbereichen wäre die Folge; ein Ausgabenschub unvermeidlich. Das Ziel, vollstationäre Behandlung zu vermeiden, bleibt dann auf der Strecke. Versorgungsoptimierung sieht anders aus. Der Gesetzgeber sollte daher ein flexibles Erlösbudget nicht nur auf voll- und teilstationäre Leistungen begrenzen.

Therapeutisches Personal als Qualitätsmerkmal

Im Psych-Bereich ist die Bedeutung von therapeutischem Personal eine andere als in den somatischen, insbesondere operativen Disziplinen. Leider ist es derzeit so, dass die Psychiatrie- Personalverordnung (Psych-PV) nicht in allen Krankenhäusern angewendet wird. Dies obliegt der gemeinsamen Verantwortung der Krankenhaus- und Kostenträger als jeweilige Vertragsparteien. Der im DRG-Bereich eingetretene Abbau von Pflegestellen darf im Psych-Bereich nicht eintreten. Daher sind Personalmindestanforderungen, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festzulegen sind, zu begrüßen. Unklar ist, wie die Regelung zu verstehen ist, dass für Kalkulationshäuser eine 100-prozentige Umsetzung der Psych-PV vorgegeben werden soll. Ob hiermit ein normativer Eingriff in die Kalkulationsdaten verbunden ist oder nur Krankenhäuser in der InEK-Kalkulation berücksichtigt werden dürfen, die über die volle Personalausstattung verfügen, ist offen.

Sollte Letzteres vom Gesetzgeber gemeint sein, dürfte dies das Aus für das InEK-Verfahren im Psych-Bereich bedeuten. Die Rückkehr zum Selbstkostendeckungsprinzip und zu Abteilungspflegesätzen liegt dann nahe. Die gewünschte Leistungsorientierung und Transparenz ginge verloren. Der Aufbau und die Weiterentwicklung der Qualitätssicherungsverfahren sind unter diesen Voraussetzungen nicht möglich. Die Gefahr einer hochbezahlten „Verwahrpsychiatrie“ kehrt zurück. Leistungs- und Qualitätsorientierung sind im Psych-Bereich nicht in einem Black- Box-Kostenerstattungssystem möglich. Das PEPP-System muss daher erhalten bleiben und weiterentwickelt werden.

Weitere Artikel aus ersatzkasse magazin. 3./4.2016