Untergrenzen für Krankenhauspflegepersonal

Nur ein Teil der Lösung

Das Pflegepersonal ist im Krankenhausbereich die stärkste Berufsgruppe und insgesamt ein bedeutender Berufsstand. In der Öffentlichkeit werden Missstände in der Stellenbesetzung im Pflegebereich sensibel wahrgenommen. Im Wahljahr nimmt man sich dieser Probleme an. Mittlerweile liegt ein Änderungsantrag vor, der dem Selbstverwaltungspartner den Auftrag gibt, Personaluntergrenzen für pflegesensitive Bereiche festzulegen und die Finanzierung eventueller Mehrkosten zu regeln. Fraglich ist, ob Untergrenzen allein reichen.

Die Einführung einer fallbezogenen Krankenhausvergütung 2003 hat den Weg für ein Landesfestpreissystem frei gemacht. Da nicht mehr Tage, sondern Fälle vergütet wurden, stieg die Fallzahl auf jährlich über 20 Millionen an und die durchschnittliche Liegedauer sank von zwölf auf sieben Tage. Die Fallpauschalen vergüten Operationen explizit. Planbare Eingriffe eröffnen Wirtschaftlichkeitsreserven; insbesondere wenn sich deren Zahl erhöht. Operativ tätige Ärzte wurden daher vermehrt eingestellt. Die Leistungen von Pflegekräften werden grundsätzlich nicht direkt in der Vergütung berücksichtigt. Einzige Ausnahme bildet der Pflegekomplexmaßnahmenscore (PKMS), der aber zu dokumentationsaufwendig ist. Die Zahl der Pflegekräfte blieb seither konstant.

Gerade die Pflegepersonalbesetzung an Wochenenden und im Nachtdienst ist häufig problematisch und führt zu Diskussionen in der Öffentlichkeit. Die Attraktivität des Pflegeberufes hat hierunter gelitten. Der Gesetzgeber hat mit diversen Programmen versucht, den Problemen Einhalt zu gebieten. Die bereitgestellten Fördermittel kamen bei der Pflege nicht an; ein nachhaltiger Stellenaufbau blieb aus. Die Gewinnung von Auszubildenden in der Krankenpflege wurde dadurch erschwert. Bereits heute stehen benötigte Pflegekräfte nicht überall ausreichend zur Verfügung und vakante Stellen bleiben unbesetzt.

Handlungsbedarf

Der demografische Wandel macht sich jetzt schon auf dem Arbeits- und Gesundheitsmarkt bemerkbar. Es wird in allen Branchen schwieriger, Schul- und Studienabgänger sowie qualifiziertes Fachpersonal zu rekrutieren. Im Gesundheitsmarkt kommt hinzu, dass die Nachfrage an Gesundheitsleistungen durch die Überalterung der Gesellschaft steigt; er ist ein Wachstumsmarkt. Wenn die Generation der heutigen Babyboomer in zehn bis 15 Jahren in den Ruhestand geht, kommen auf zwei Babyboomer ein Schul- oder Studienabgänger, der auf den Arbeitsmarkt  nachrückt. Gleichzeitig wird ein Teil dieser  bevölkerungsstärksten Gruppe altersbedingt verstärkt Gesundheitsleistungen in Anspruch  nehmen. Es werden also perspektivisch noch mehr Pflegekräfte als heute schon benötigt. Diese stehen künftig nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt in der benötigten Anzahl zur Verfügung. Deshalb müssen bereits heute so viele Schulabgänger wie möglich in die Krankenpflegeausbildung geholt und Pflegekräfte in diesem Bereich gehalten oder auch zurückgeholt werden. Die ökonomischen Interessen der Krankenhausträger lassen für diese Weitsicht zu wenig Raum. Gewinnstreben und die Kompensation ausbleibender Länderinvestitionsfördermittel führen zu Betriebsmitteleinsparungen. Diese werden gerne in der ausgabenstärksten Berufsgruppe der Krankenpflege realisiert.

Lösungsansätze

Die Expertenkommission „Pflegepersonal im Krankenhaus“ der Bundesregierung hat die Einführung von Personaluntergrenzen für pflegesensitive Bereiche gefordert. Diese können die Arbeitszufriedenheit unter den Pflegekräften steigern und die Fluktuation von gut ausgebildeten Fachkräften verringern. Zudem wird das Image des Pflegeberufes besser. Dies erleichtert die Gewinnung von Nachwuchskräften. Gutes und ausreichend eingesetztes Personal spiegelt sich vermutlich in der Ergebnisqualität wieder. So könnte beispielsweise das Infektionsrisiko gesenkt werden, wenn Hygienemaßnahmen leitliniengerecht durchgeführt werden. Personaluntergrenzen führen dazu, dass Pflege bei den Patienten ankommt. Eine Zweckentfremdung von Beitragsgeldern wird vermieden.

Personalanhaltszahlen sind ein Relikt aus der Zeit der Selbstkostendeckung. Die Anwendung führte immer zu Vergütungsansprüchen. Ob die Bundesregierung deshalb von Personaluntergrenzen spricht, ist noch offen. Die Leistungserbringer lehnen die Untergrenzen ab. Einerseits schränken Untergrenzen die unternehmerische Flexibilität der Krankenhausträger ein. Andererseits werden sie allerspätestens mit deren Einführung eine gesonderte Finanzierung für die Umsetzung der Untergrenzen fordern. Mit den Änderungsanträgen ist der Gesetzgeber im vorauseilenden Gehorsam diesen Forderungen zuvorgekommen. Je größer der Anwendungsbereich der Untergrenzen ist, desto größer ist das Risiko zu berücksichtigender Finanzierungsforderungen der Leistungserbringer. Eine adäquate Personalbesetzung wird aber bereits heute über die Fallpauschalen finanziert. Ansonsten wäre den Krankenhäusern eine zweckfremde Investitionsfinanzierung aus Beitragsgeldern nicht möglich gewesen.

Die Bundesregierung sieht die Untergrenzen für pflegesensitive Bereiche vor. Die Offenlegung der tatsächlichen Personalbesetzung und die Sanktionierung der Unterschreitung der Personalvorgaben werden vorgesehen. Bei Untergrenzen für Teilbereiche besteht immer ein Abgrenzungsproblem zwischen dem geregelten und ungeregelten Bereich. Dies führt zur Gefahr von Verschiebebahnhöfen. Testate eines Wirtschaftsprüfers können dem nur bedingt entgegenwirken. Das Tabuthema für jeden Krankenhausträger, die unangemeldeten MDK-Prüfungen, könnten dem zur Freude des Pflegepersonals Abhilfe leisten. Bei der Entwicklung der Personaluntergrenzen stößt man wahrscheinlich auf die gleichen Probleme, wie bei den Personalanhaltszahlen Ende der achtziger Jahre. Eine analytische Entwicklung ist immer von Leistungserbringern bestimmt und das Ergebnis interessengeprägt.   

Die begrenzte Zahl von Pflegekräften am Arbeitsmarkt wird dazu führen, dass nicht alle Krankenhäuser die Personaluntergrenzen erfüllen können. Dies führte bisher stets zu politischen Festlegungen. Für eine empirische Ermittlung fehlt die verfügbare Datenbasis. Nach Einführung der Fallpauschalen kennen wir zwar die Höhe je Kostenart, nicht aber den Personaleinsatz je Kostenträger. Zudem weisen die amtlichen Statistiken den Pflegepersonalbestand nicht abgrenzungsfrei aus. Die empirische Ermittlung dürfte aber unter Zeit- und Kostengesichtspunkten die einzig realisierbare Variante sein. Die Schaffung einer Datengrundlage über den tatsächlichen Personaleinsatz müsste zuerst erfolgen.

Ausblick

Die begrenzte Zahl von Pflegekräften am Arbeitsmarkt wird dazu führen, dass nicht alle Krankenhäuser die Personaluntergrenzen erfüllen können. Eine Zentralisierung und damit Verringerung der Krankenhausstandorte wird erforderlich. Die benötigten Kapazitäten und Ressourcen müssen stärker konzentriert und anders regional verteilt werden. Angesicht der steigenden Nachfrage nach Behandlungsleistungen müsste das Problem der Fehlversorgung konsequenter angegangen werden. Der Gesetzgeber hat sich in jüngster Zeit vor dem Einsatz wirksamer Instrumente zur Vermeidung medizinischer nicht indizierter Mengenausweitungen gedrückt. Der demografische Wandel lässt es nicht zu, dass künftig noch die Gesunden operiert werden.

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