Vor gut einem Jahr trat das AMNOG in Kraft. Seither hat das IQWiG 14 Dossierbewertungen abgeschlossen. Für sechs Wirkstoffe hat der G-BA einen Beschluss über den Zusatznutzen gefasst. Die erste Zwischenbilanz des neuen Verfahrens: Es funktioniert und bringt wichtige, praktisch relevante Ergebnisse.
Erklärtes Ziel der Gesetzesreform war es, ein zusätzliches Instrument für die Steuerung der Arzneimittelkosten zu gewinnen. Die frühe Nutzenbewertung, das Herzstück des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG), bringt dabei auch einen erheblichen Zugewinn an belastbarem Wissen darüber, welche Vor- und Nachteile neue Medikamente für Patientinnen und Patienten haben. Denn seit Anfang 2011 muss der Hersteller in Form eines Dossiers eine ganze Reihe von Fragen beantworten, und zwar für jedes Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff oder nach der Zulassung eines Wirkstoffs für ein neues Anwendungsgebiet: Ist das Medikament tatsächlich besser als die Mittel, die bereits auf dem Markt sind? Welcher Zusatznutzen ist für welche Patientengruppe in welchem Ausmaß belegt? Welche Aussagekraft haben die vorgelegten Nachweise? Wie hoch sind die Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung?
Vergleichstherapie in einigen Fällen strittig
Die Dossierbewertung ist Teil des Gesamtverfahrens der frühen Nutzenbewertung, das der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) leitet. Nachdem das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sein Gutachten vorgelegt hat, führt der G-BA ein Stellungnahmeverfahren durch, das ergänzende Informationen liefern kann. Erst danach fasst der G-BA seinen Beschluss. Der G-BA ist es auch, der festlegt, mit welchem Arzneistoff – oder nichtmedikamentösen Verfahren – der neue Wirkstoff verglichen werden soll. Bei dieser „zweckmäßigen Vergleichstherapie“ handelt es sich um die jeweils anerkannte Standardtherapie.
Dennoch war die Wahl der zweckmäßigen Vergleichstherapie bei einigen Bewertungen heftig umstritten. Denn mit Blick auf die späteren Preisverhandlungen ist es im Interesse der Hersteller, eine Referenzgröße mit einem möglichst hohen Preis, also in der Regel ein anderes patentgeschütztes Medikament, auszusuchen – auch wenn dies nicht unbedingt die anerkannte Standardtherapie ist. Und es ist nachvollziehbar, dass pharmazeutische Unternehmer enttäuscht sind, wenn sie für ihre Zulassungsstudien andere Vergleichstherapien gewählt haben, als sie dann der G-BA bestimmt. Vermutlich handelt es sich bei diesem Streit über das AMNOG um ein für Übergangsphasen nach neuen Gesetzen typisches Problem.
Maximum an Transparenz
Das Dossier muss der Hersteller beim G-BA einreichen, der in der Regel das IQWiG mit der frühen Nutzenbewertung beauftragt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler prüfen Vollständigkeit, Verlässlichkeit und Aussagekraft der Herstellerangaben und folgen dabei methodisch den Standards der evidenzbasierten Medizin (EbM), das heißt sie fordern wissenschaftliche Belege.
Der Hersteller muss den Nachweis des Nutzens in dem Dossier erbringen. Dazu sind alle Ergebnisse, Studienberichte und Studienprotokolle von Studien zum Arzneimittel im Anwendungsgebiet vorzulegen, für die der Unternehmer Sponsor war. Dazu gehören auch alle verfügbaren Angaben über laufende und abgebrochene Studien, bei denen der Unternehmer Sponsor oder in anderer Weise finanziell beteiligt war. Mit Ausnahme eines Moduls, das Geschäftsgeheimnisse beinhalten könnte, wird das Dossier vollständig auf der Website des G-BA veröffentlicht.
Auch das IQWiG publiziert entsprechend seiner üblichen Praxis bei AMNOG-Gutachten alle Informationen, auf denen seine Bewertung beruht. So kann jeder nachvollziehen, wie das Ergebnis zustande gekommen ist. Dass nicht nur die bewertende Institution alle Daten offen legt, sondern auch der Hersteller dies tun muss, ist ein echter Meilenstein – und zwar weltweit.
Befürchtungen der Hersteller nicht begründet
Bei den insgesamt vierzehn bislang veröffentlichten Bewertungen hat das Institut zumindest für einige Patientengruppen drei Wirkstoffen einen „beträchtlichen“, zwei einen „geringen“ und zwei weiteren einen vorhandenen, aber „nicht quantifizierbaren“ Zusatznutzen bescheinigt. Bei den beiden Beschlüssen, die der G-BA auf Basis eines IQWiG-Gutachtens gefällt hat, wich er nur geringfügig vom IQWiG-Votum ab.
Das ist insgesamt ein deutlich positiveres Ergebnis als viele Fachleute erwarteten. Internationale Experten gingen davon aus, dass von 20 Wirkstoffen, die im Durchschnitt jährlich auf den Markt kommen, nur einer einen wirklichen Fortschritt für Patientinnen und Patienten bringt. Diese erste Bilanz zeigt, dass die von der Industrie immer wieder laut vorgetragenen Befürchtungen unbegründet sind: Dort, wo fundierte Belege vorliegen, wird ein Zusatznutzen auch anerkannt. Innovationen und der Wirtschaftsstandort Deutschland sind auch mit AMNOG nicht in Gefahr.
Keine Nachteile für Patientinnen und Patienten
Das AMNOG zeigte auch außerhalb des formellen Verfahrens und bereits vor der Publikation der ersten Dossierbewertung Wirkung: Ein Hersteller beantragte direkt selbst den Festbetrag für seinen neuen Wirkstoff. Zwei andere Hersteller brachten jeweils ein neues Produkt zunächst nicht auf den deutschen Markt oder setzten den Vertrieb aus.
Solche Reaktionen unterstützen das erklärte gesetzliche Ziel: Gleichwertige Wirkstoffe erreichen die Festbetragsliste direkt und nicht überzeugende Wirkstoffe drängen erst gar nicht auf den deutschen Markt – und das ist für Patientinnen und Patienten durchaus von Vorteil.
Neue Prozesse müssen sich erst einspielen
Die erste Zwischenbilanz der frühen Nutzenbewertung ist aus Sicht des IQWiG also positiv. Doch wie bei jedem neuen Gesetz müssen sich auch die AMNOG-Prozesse erst einspielen. Es besteht jedoch eine große Bereitschaft bei allen Beteiligten, noch bestehende Probleme zu beheben und so dem AMNOG zu dem Erfolg zu verhelfen, den es auch im internationalen Vergleich verdient.