Krankenhausabrechnung

Streitigkeiten – erst schlichten, dann klagen?

Personen sitzen an einem halbrunden Tisch mit der Aufschrift "Krankenhausabrechnung Schlichtungsverfahren Nr. 2784

19 Millionen Patienten werden jährlich hierzulande in den Krankenhäusern stationär behandelt, für jeden Behandlungsfall wird mindestens eine Rechnung gestellt. Dass die Kliniken ihre Erlöse optimieren und die Krankenkassen ihre Ausgaben minimieren wollen, liegt in der Natur der Sache. Abrechnungsstreitigkeiten gehören zum Tagesgeschäft. Viele können in bilateralen Gesprächen, wie Fallbesprechungen, andere hingegen müssen vor den Sozialgerichten geklärt werden.

Offensichtlich war dem Gesetzgeber die Anzahl der gerichtlichen Verfahren ein Dorn im Auge. Denn mit dem Beitragsschuldengesetz wurde 2013 kurzfristig eine Regelung geschaffen, wonach vor Klageerhebung ein obligatorisches Schlichtungsverfahren durchzuführen ist, wenn der Streitwert 2.000 Euro nicht übersteigt. Die Tatsache, dass eine sofortige Anrufung der Sozialgerichte nicht mehr möglich ist, hat alle Beteiligten sehr verwundert. Anfangs verdächtigte man sich gegenseitig, Initiator der Gesetzesänderung zu sein. Die Änderung geht jedoch auf eine Initiative der Sozialgerichtsbarkeit aus dem Jahr 2009 zurück. Sie sah die Etablierung eines vorgelagerten Schlichtungsverfahrens vor, um die Sozialgerichte zu entlasten. Diesen Vorschlag hat der Gesetzgeber beim Beitragsschuldengesetz aufgegriffen und folgende Änderungen vorgenommen:

  1. Bildung eines Schlichtungsausschusses auf Bundesebene zur Klärung von Kodier- und Abrechnungsfragen von grundsätzlicher Bedeutung.
  2. Eine Vereinbarung der Selbstverwaltungspartner auf Bundesebene zur näheren Ausgestaltung der Einzelfallprüfung (Prüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK)).
  3. Entwicklung von Modellvorhaben zur Durchführung von Auffälligkeitsprüfungen auf Bundesebene und Wegfall der derzeitigen Stichprobenprüfungen.
  4. Bildung von Schlichtungsausschüssen in den Ländern zur Überprüfung der Ergebnisse der Einzelfallprüfungen.

Steuerersparnis auf Kosten der Solidargemeinschaft

Die Landesschlichtungsausschüsse stellen das eigentliche Problem dar. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass in jedem Bundes land bereits ein Schlichtungsausschuss nach altem Recht existiert, der die „neuen“ Aufgaben ab dem 1. August 2013 wahrnehmen könnte. Dies ist ein Irrtum; in den meisten Bundesländern müssen entsprechende Schlichtungsausschüsse erst eingerichtet werden. In den anderen Bundesländern sind die alten Schlichtungsausschüsse nicht für die neuen Aufgaben ausgerichtet und zwangsläufig überfordert. Faktisch müssen in allen Bundesländern neue Ausschüsse etabliert werden. Dies hat zur Folge, dass Streitigkeiten, die ab August 2013 vor dem Schlichtungsausschuss verhandelt werden müssten, nicht geschlichtet werden können.

Ob sich die Zahl der Streitigkeiten erhöhen oder verringern wird, bleibt Spekulation. Es ist durchaus möglich, dass pro Jahr und Bundesland mehrere Tausend Fälle geschlichtet werden müssen. Ein Ressourcenproblem der Schlichtungsausschüsse in den Ländern ist vorprogrammiert, das schon bei der Errichtung beginnt. In größeren Bundesländern wird ein Ausschuss nicht ausreichen. Diesen Umständen muss beispielsweise bei der Anmietung und Ausstattung der Geschäftsstellen Rechnung getragen werden. Der laufende Betrieb wird zur eigentlichen Herausforderung. Folgendes Beispiel soll dies verdeutlichen, das den Personalbedarf bei Schlichtungsverfahren in einem Bundesland widerspiegelt:

 

Zahl der Verfahren 6.000

 Besetzung der Bänke zwei mal fünf Sitze

+ ein Vorsitzender

Dauer eines Verfahrens vier Stunden

Personalbedarf pro Jahr 165 Personen

 

Insgesamt ist ungewiss, ob die Schlichtungen die Zahl der Klageverfahren nennenswert reduzieren wird. Dies hängt davon ab, welche Maßstäbe die einzelnen Sozialgerichte an die Qualität der Schlichtungssprüche stellen werden. Ob ein Schlichtungsbeschluss ein Mediationsverfahren oder einen Verwaltungsakt darstellt, hat der Gesetzgeber offen gelassen. Auch von der Rechtsnatur der Entscheidung wird abhängen, wie viel Zeit ein Verfahren in Anspruch nehmen wird. Zahl und Dauer der Verfahren einerseits und die Kapazität der Schlichtungsausschüsse andererseits werden darüber entscheiden, ob ein Verfahrensstau entsteht. Die Liquidität von Leistungs- und Kostenträgern wird hiervon tangiert.

Keine Sanktion bei fehlerhaften Abrechnungen

Der Gesetzgeber hat es sich mit der Neuregelung sehr einfach gemacht. Er hat die Steuerlast, die eine personelle Aufstockung der Sozialgerichte mit sich bringen würde, gesenkt und die Sozialausgaben erhöht. Zudem hat er die Augen erneut vor der Ursache der Abrechnungsstreitigkeiten verschlossen und von einer Sanktionierung fehlerhafter Rechnungen abgesehen. Der Appell des Bundesrechnungshofes an die Politik aus dem Jahr 2011 blieb ungehört. Dieser hatte kritisiert, dass viele Krankenhausabrechungen fehlerhaft sind und zu überhöhten Forderungen an die Krankenkassen von schätzungsweise 875 Millionen Euro führen. Der Bundesrechnungshof führt zu Recht aus, dass es den Krankenhäusern vor allem an entsprechenden Anreizen fehlt, um korrekt abzurechnen. Denn bei einer fehlerhaften Rechnung hat das Krankenhaus nach wie vor keine Sanktion zu befürchten; es muss der Krankenkasse lediglich den Differenzbetrag erstatten. Möchte man die Anzahl der Abrechungsstreitigkeiten reduzieren, muss der Hebel zwingend bei der Rechnungsstellung ansetzen. Denn erst die zweifelhafte Rechnung führt im Rahmen der Abrechnungsprüfung durch die Krankenkassen zur MDK-Prüfung und ggf. zum Klageverfahren.

D er Gesetzgeber hat eine Regelung geschaffen, die nicht die wirklichen Ursachen bekämpft und unter Kapazitätsgesichtspunkten wahrscheinlich nicht erfolgreich umgesetzt werden kann. Ein Scheitern liegt nahe. Damit lauert die nächste Gefahr. Der Gesetzgeber könnte erneut falsche Konsequenzen ziehen und die Stichprobenprüfung reaktivieren und gegenüber der Einzelfallprüfung deutlich aufwerten. Das Modellvorhaben zur Auffälligkeitsprüfung lässt auf eine mögliche Absicht schließen. Schon in der Vergangenheit waren die Stichprobenprüfungen ein stumpfes Schwert der Krankenkassen. Darüber hinaus belohnt sie die Krankenkassen, die in der Einzelfallprüfung weniger Erfolg haben. Sie ist folglich wettbewerbshemmend.

Die Schlichtungsverfahren bedeuten einen enormen Bürokratieaufbau und eine erhebliche finanzielle Belastung für die Krankenkassen und Krankenhäuser. Sie stehen im Widerspruch zur Intention des Gesetzgebers im Hinblick auf einen Bürokratieabbau. Die Abrechnungsstreitigkeiten allein können kaum für eine Überlastung der Sozialgerichte verantwortlich sein. Hier dürfte vor allem die Klageflut gegen fehlerhafte Arbeitslosengeld II-Bescheide eine erhebliche Rolle gespielt haben. Eine einseitige „Entlastung“ der Sozialgerichte zum Nachteil der Sozialversicherung ist daher nicht sachgemäß. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Bundesregierung die Defizite dieser Regelung erkennt und entsprechend handelt.

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