Gesundheitspolitische Positionen der Ersatzkassen

Für Solidarität und Qualität

Die Ersatzkassen richten ihren gesundheitspolitischen Blick auf die nächste Legislaturperiode und sehen dringenden Handlungsbedarf mit Blick auf Finanzierung und Versorgung. Sie haben ihre gesundheitspolitischen Positionen in der Mitgliederversammlung des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) am 18. Juli 2017 einstimmig verabschiedet.

Als größte Kassenart mit 38,7 Prozent Marktanteil innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sehen wir uns in einer besonderen Verantwortung gegenüber ihren Versicherten. Erfreulich und ein Beweis für die Attraktivität der Ersatzkassen ist, dass sich die Zahl der Versicherten bei den Ersatzkassen von 2010 bis heute von 24,7 auf nahezu 28 Millionen erhöhte.

Durch die Sozialwahlen 2017 wurde das demokratische Prinzip bei den Ersatzkassen aktuell erneut gestärkt. Entsprechend fordern wir die Politik auf, das solidarische und selbstverwaltete Prinzip in der GKV weiter auszubauen. Die Selbstverwaltung hat ihre Stabilität in den letzten Jahren unter Beweis gestellt und entscheidend zu einer guten Versorgung der Ersatzkassenversicherten beigetragen. Entsprechend sollten sich auch die Kompetenzen und Leistungsfähigkeit der Selbstverwaltung in den künftigen politischen Entscheidungen widerspiegeln. Wir wünschen uns eine entsprechend ausgerichtete Reform der Selbstverwaltung sowie eine Modernisierung der Sozialwahlen, etwa durch eine verbesserte Freistellung, den Anspruch auf Weiterbildung und die Einführung von Online­-Wahlen.  

Die Ersatzkassen und ihr Verband werden sich in die gesundheitspolitische Debatte nach der Bundestagswahl und der kommenden Legislaturperiode weiterhin konstruktiv einbringen.

Für eine starke Selbstverwaltung  

Die gute Arbeit der Selbstverwaltung wurde in den letzten sechs Jahren positiv in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Dies belegen auch die Ergebnisse der Sozialwahlen 2017 (die Versicherten der BARMER wählen noch im Herbst 2017). Denn trotz schwieriger Rahmenbedingungen mit zwei zeitgleich stattfindenden Landtagswahlen kam es zu einer Trendwende bei der Wahlbeteiligung, die durchschnittliche Wahlbeteiligung in der Renten- und Krankenversicherung konnte gegenüber 2011 auf jetzt 30,45 Prozent (2011: 30,15 Prozent) gesteigert werden. Wenn so viele Millionen Menschen an den Sozialwahlen teilnehmen, ist dies ein wichtiges und klar vernehmbares Signal an Politik und Gesellschaft, und zwar für ein selbstverwaltetes System.

Die Ersatzkassen fordern die politisch Verantwortlichen auf,

  • sich klar und deutlich zur Selbstverwaltung und zum Ehrenamt zu bekennen.
  • in einen konstruktiven Dialog mit der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen zu treten, um die ihr zugrunde liegenden Prinzipien sinnvoll weiterzuentwickeln und diese zu stärken. Hier sind klare Rahmenbedingungen und nachvollziehbare Kompetenzverteilungen für die Organisationen der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen notwendig.
  • die staatliche Aufsicht auf das notwendige Maß zu begrenzen und auf Rechtsfragen zu beschränken. Eine Umgestaltung der Aufsicht von einer Rechts- hin zu einer Fachaufsicht ist entschieden abzulehnen.
  • die Finanzautonomie der Krankenkassen vollständig wiederherzustellen und die Satzungsautonomie nicht einzuschränken.
  • die Autonomie der Selbstverwaltung bei Personalentscheidungen zu wahren und neu zu begründen.
  • Auf die Vorarbeiten der Ersatzkassen bei der Reform der Sozialwahlen zurückzugreifen: zum Beispiel Einführung von Online-Wahlen, Stärkung der Transparenz, Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Ehrenamt und Beruf.

Faire Wettbewerbsbedingungen schaffen, RSA weiterentwickeln

Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) erfüllt seine Funktion nicht mehr, chancengleichen Wettbewerb sicherzustellen. Die heutigen Über- und Unterdeckungen im Morbi-RSA haben sich in den letzten Jahren rasant auseinanderentwickelt und sind für die Krankenkassen wettbewerbspolitisch fatal und destabilisieren die GKV. Die Zusatzbeiträge der Kassen sind schon lange nicht mehr Ausdruck wirtschaftlichen oder effizienten Handelns. Sie zeigen das Ausmaß der immensen Wettbewerbsverzerrungen. Die Ersatzkassen sehen beim Morbi-RSA erheblichen Handlungsbedarf. Sie haben gemeinsame Vorschläge zur Reform des Morbi-RSA entwickelt.

Das Reformpaket umfasst sechs verschiedene Vorschläge, die geeignet sind, die Schieflage im Wettbewerb deutlich abzuschwächen und den Morbi­-RSA weniger manipulationsanfällig zu gestalten. Der Gesetzgeber muss handeln.

Die Ersatzkassen fordern daher

  • eine Neuregelung der Zuweisungen für Auslandsversicherte. Für Versicherte mit Wohnsitz im Ausland gab es jahrelang zu viel Geld aus dem Fonds, weil die tatsächlichen Kosten der Versorgung im Ausland meist geringer ausfallen als die auf inländischen Maßstäben errechneten Zuweisungen. Die Ersatzkassen regen hier an, künftig – wie von Gutachtern aufgezeigt – die Zuweisungen im Morbi-RSA auf der Grundlage der jährlichen landesspezifischen Rechnungssummen vorzunehmen.
  • die Einführung eines Hochrisikopools.
  • die Einführung einer Versorgungsstrukturkomponente: In Deutschland differieren die Kosten für die gesundheitliche Versorgung stark. In den Ballungsgebieten herrscht eine größere Versorgungsdichte, es gibt ein ausdifferenziertes fachärztliches und heilberufliches Angebot, hochspezialisierte Kliniken und Krankenhäuser. In der Folge sind die Ausgaben je Versicherten für die Versorgung in städtischen Verdichtungsräumen deutlich höher als auf dem Land.
  • Davon profitieren insbesondere Krankenkassen mit begrenzter regionaler Ausstrahlung und einem Versichertenstamm in ländlichen Gebieten. Benachteiligt sind Krankenkassen mit vielen Versicherten in den Städten, die überdurchschnittlich hohe Ausgaben verursachen. Die Versorgungsstrukturen und Preise in den Regionen sind durch die Krankenkassen so gut wie nicht beeinflussbar. Während Krankenkassen mit Versorgungsschwerpunkt in den Städten Ausgabenunterdeckungen hinnehmen müssen, können Regionalkassen in ländlichen Räumen mit Überdeckungen aus dem RSA ihre Zusatzbeitragssätze subventionieren. Über eine Versorgungsstrukturkomponente, die insbesondere auf regionale Differenzen Rücksicht nimmt, sollten deshalb die strukturbedingten Ausgabenunterschiede ausgeglichen werden.
  • die Änderung der Berechnungsmethode bei der Krankheitsauswahl. Mit Einführung des Morbi-RSA war es erklärtes Ziel des Gesetzgebers, jene Krankheiten besonders zu berücksichtigen, die eine „besondere Bedeutung für das Versorgungsgeschehen“ bzw. „wesentlichen Einfluss auf das Kostengeschehen der Krankenkassen“ haben. Das trifft vor allem auf die Krankheiten zu, bei denen jeder einzelne Behandlungsfall besonders teuer ist. Oftmals ist der Verlauf bei diesen Krankheiten zudem sehr schwer. In einem von Solidarität getragenen System sind es diese Fälle, die eine besondere Bedeutung für das Versorgungsgeschehen haben, weil sie in sehr großem Ausmaß auf die Solidargemeinschaft angewiesen sind. Durch die Umstellung der Prävalenzgewichtung zugunsten seltenerer Krankheiten mit individuell sehr hohen Kosten würde diesem Aspekt Rechnung getragen.
  • die Streichung der Zuschläge für Erwerbsminderungsrentner (EMG).
  • Die Streichung der Programmkostenpauschale bei Disease-Management-Programmen (DMP).

Finanzierung der GKV sichern

Auch wenn die Einnahmen der GKV aufgrund der guten Beschäftigungslage noch stabil sind, wird perspektivisch die einseitige Belastung der Versicherten zunehmen. Die Gesamtausgaben der GKV werden die Gesamteinnahmen des Gesundheitsfonds in den nächsten Jahren übertreffen. Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben wird weiter auseinandergehen.

Die Krankenkassen müssen diese wachsenden Lücken durch Zusatzbeitragssätze schließen, die allein von den Mitgliedern zu tragen sind. Aus Sicht der Ersatzkassen muss die oben beschriebene, absehbare Zusatzbeitragsentwicklung durch  geeignete Maßnahmen gedämpft werden.

Die Ersatzkassen fordern daher, dass

  • durch die weitgehende Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung der GKV durch Versicherte und Arbeitgeber der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt wird.
  • die hohen Finanzreserven des Gesundheitsfonds Ende 2017 von immer noch über sieben Milliarden Euro bis auf die gesetzlich festgelegte Mindestreserve für die Zuweisungen an die Krankenkassen zu nutzen sind. Dieses Geld der Beitragszahler würde dann für die Versorgung der Versicherten zur Verfügung stehen.
  • der Beitrag für Hartz-IV-Bezieher anzupassen ist. Unbestritten ist, dass seit vielen Jahren die Krankenkassen für Hartz-IV-Bezieher einen Betrag zugewiesen bekommen, der deutlich unter den durchschnittlichen Leistungsausgaben liegt. Das jährliche Defizit von mehreren Milliarden Euro wird heute allein von den Beitragszahlern der GKV geschultert und bürdet ihnen weitere systemfremde Aufgaben auf, die mit dem heutigen Steuerzuschuss nicht abgegolten werden können.
  • die Beitragsbemessung von freiwillig GKV-Versicherten (insbesondere von Solo-Selbstständigen) angepasst wird. Deren Beitragsrückstände sind in den letzten Jahren kontinuierlich  gestiegen. Die heutigen Mindestbemessungsgrundlagen für Selbstständige überlasten viele. Da es sich bei der Thematik Beitragsschulden und Versicherung der Selbstständigen um eine gesamtgesellschaftlich relevante Aufgabe handelt, die nicht durch die Beitragszahler der GKV allein zu lösen ist, müssen die finanziellen Auswirkungen durch Steuerzuschüsse aufgefangen werden.

Prävention als gesamtgesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen

Mit dem Präventionsgesetz sollen Prävention und Gesundheitsförderung direkt vor Ort im Lebensumfeld der Menschen gestärkt werden. Die Ersatzkassen haben zahlreiche Projekte initiiert, es sind aber immer noch nicht alle beteiligten Akteure im Boot.

Die Ersatzkassen fordern daher:

  • Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe, die von allen Sozialversicherungsträgern, der privaten Krankenversicherung (PKV), Bund, Ländern und Kommunen getragen und finanziert werden muss.

Soziale Pflegeversicherung gerät langfristig unter Druck

Mit den drei Gesetzen zur Stärkung der pflegerischen Versorgung hat der Gesetzgeber konsequent wichtige Neuregelungen umgesetzt. Die Nachhaltigkeit der Leistungen und der Finanzierung ist aber nicht gesichert.

Die Ersatzkassen fordern daher:

  • Die Entwicklung mittel- und langfristiger Finanzierungsstrategien ist dringend geboten. Diese Finanzierung muss innerhalb des umlagefinanzierten Systems angelegt sein.
  • Die Dynamisierung der Leistungsbeträge muss an eine verbindliche volkswirtschaftliche Kenngröße gekoppelt werden, zum Beispiel an die Preisentwicklung.
  • Die Pflegeberatung ist für die Versicherten ein wichtiger Schlüssel zu den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. Sie sollte in einer Hand bleiben. In den zahlreichen – von den Ersatzkassen finanzierten – Pflegestützpunkten finden umfassende und trägerübergreifende Beratungen statt.

Versorgung zukunftssicher gestalten

Um gleiche Wettbewerbschancen für alle Krankenkassen sicherzustellen, ist eine maßvolle und einheitliche Aufsichtspraxis unverzichtbar. Die verschiedenen Aufsichtsbehörden müssen zwingend geltende Prüfkriterien einheitlich anwenden. Nur dann sind die Voraussetzungen gegeben, dass die vielen Prüfinstanzen Bundesversicherungsamt, Landesaufsichten und Bundesrechnungshof maßvoll Aufsicht ausüben können. In einem föderalistischen und wettbewerblichen System ist wichtig, dass sich Aufsichtshandeln nicht von Land zu Land oder zwischen Bundes- und Landesebene unterscheidet. Aufsichtshandeln muss sich durch die einheitliche Anwendung geltender Prüfkriterien auszeichnen.  

Das Krankenhausstrukturgesetz (KHSG) hat grundlegende Probleme zum Beispiel der Finanzierung nicht gelöst.

Die Ersatzkassen fordern daher:

  • Die Bundesländer stellen ihre Pauschalförderung auf leistungsbezogene Investitionsbewertungsrelationen um. Hiermit sollen Transparenz und Verteilungsgerechtigkeit erwirkt werden.
  • Der Bund muss sich an der Investitionsfinanzierung beteiligen (zum Beispiel mit einem „Sonderfinanzierungsprogramm leistungs- fähige Krankenhäuser“, das aus Mitteln des Bundeshaushalts finanziert wird). Zusätzlich ist eine Investitionsquote gesetzlich als Untergrenze zu verankern.
  • Bei der Mittelverteilung im Rahmen der Einzelförderung müssen die Krankenkassen ein verbindliches Mitspracherecht bei der Aufstellung der Investitionsprogramme erhalten.
  • Damit Pflegepersonal nicht aufgrund fehlender Investitionsmittel abgebaut wird, bedarf es einer geregelten Nachweispflicht der bestehenden Pflegestellen gegenüber den Krankenkassen.
  • Eine bessere Verzahnung der ambulanten und stationären Versorgung ist überfällig.
  • Die Patientenorientierung in der Notfallversorgung muss verstärkt werden. Das Konzept der Ersatzkassen, Portalpraxen einzurichten, weist den Weg in der Notfallversorgung.

Das GKV-­Versorgungsstärkungsgesetz der letzten Legislaturperiode stärkte den Wettbewerb. Es fehlen aber zusätzliche Möglichkeiten für die Krankenkassen, die Versorgung aktiver gestalten zu können.

Die Ersatzkassen fordern daher:

  • Die Krankenkassen brauchen größere wettbewerbliche Handlungsspielräume.
  • Die Krankenkassen müssen mehr Möglichkeiten haben, aktiv Versorgungsmanagement zu steuern.
  • Die Mehrausgaben im vertragsärztlichen Bereich sollten für konkrete Versorgungsziele verwendet werden.
  • Ambulante Kodierrichtlinien müssen eingeführt werden.

Trotz des Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (AM­VSG) sind extrem hohe Arzneimittelpreise bei neuen Medikamenten weiterhin auf der politischen Agenda. Die Ersatzkassen fordern daher:

  • Der verhandelte Preis für Medikamente muss ab dem ersten Tag gelten.

Digitalisierung befördern

Das E­-Health­-Gesetz hat zwar wichtige Grundlagen für die Einführung elektronischer Kommunikationsverfahren im Gesundheitswesen geschaffen, jedoch läuft alles wie in Zeitlupe ab.

Die Ersatzkassen fordern daher:

  • Das Gesundheitswesen muss viel schneller  als bisher den Übergang ins digitale Zeitalter meistern.
  • Digitale Gesundheitsanwendungen dürfen nicht der Kommerzialisierung von Daten dienen. Die Krankenkassen haben lange Erfahrungen mit sensiblen Versichertendaten und sind sich bewusst, dass die Validität der Daten entscheidend ist.
  • Eigentümer der personenbezogenen Daten müssen die Versicherten bleiben, Versicherte entscheiden eigenverantwortlich über den Gebrauch ihrer Daten. Die gesetzlichen Anforderungen des Datenschutzes müssen zu jeder Zeit gewahrt sein.

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