Gesundheit

Krankenhaushygiene geht uns alle an

Mangelhafte Krankenhaushygiene ist in aller Munde - immer mehr Medien berichten davon. Hierzu hat spätestens das Recherchenetzwerk Correctiv im Januar 2017 mit seinem kontrovers diskutierten Artikel "Schlampige Hygiene im Krankenhaus führt zu mehr Toten als im Straßenverkehr" beigetragen. Das Netzwerk deckte scheinbar Krankenhäuser auf, die die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI) nicht erfüllten. Trotz berechtigter Kritik an der Darstellung konnte es somit dazu beitragen, ein erhöhtes Problembewusstsein für Krankenhausinfektionen zu schaffen. Dieses Bewusstsein ist längst überfällig, um Patienten zum Anwalt ihres eigenen gesundheitlichen Wohls zu befähigen.

Wird man in ein Krankenhaus eingeliefert, fürchtet man zwei Dinge: Komplikationen und Infektionen. Das war nicht immer so: Lange schienen Infektionen durch die Entdeckung von Antibiotika besiegt und keiner dachte daran, dass sich das schon bald wieder ändern würde. Denn jetzt sind Resistenzen der neue Feind - Antibiotika greifen nicht mehr. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland beim Auftreten von Resistenzen und nosokomialen, also im Krankenhaus erworbenen Infektionen Studien zufolge scheinbar im Durchschnitt der Europäischen Union (EU). Infektionen mit hohem Risiko nehmen jedoch deutlich zu. Jährlich erleiden in Deutschland rund 500.000 Patienten eine nosokomiale Infektion, wovon etwa 30.000 auf eine Infektion mit mehrfach resistenten Keimen (multiresistente Erreger, MRE) zurückzuführen sind. Infolge einer oft durch Hygienemängel hervorgerufenen nosokomialen Infektion versterben in Deutschland jährlich 10.000 Menschen. Diese Todesfälle wären vermeidbar - weshalb jetzt gehandelt werden muss.

Krankenhauspersonal vor den Operationssälen

(Keim der) Ursachen

Es existiert eine Vielzahl an möglichen Ursachen, die in der Summe zu den hohen Zahlen an nosokomialen Infektionen und Todesfällen führen. Mögliche Gründe liegen hier in der mangelnden Sensibilisierung für Hygiene aufseiten der Mitarbeiter als auch der Patienten und ihrer Angehörigen. Ohne Information und Motivation aller Beteiligten wird es zu keiner Verbesserung kommen. Wenn jetzt keine Maßnahmen ergriffen werden, sind nicht nur stark steigende Kosten für die Solidargemeinschaft die Folge. Auch eine erhebliche Zunahme der Todesfälle und krankheitsbedingte Einbußen von Lebensqualität gehören zu den schmerzlichen Konsequenzen.

Für eine angemessene Händedesinfektion bleibt aufgrund knapper Personaldecken und hohem Arbeitsaufwand wenig Zeit. Das Krankenhauspersonal ist sich dessen häufig nicht mehr bewusst. Stattdessen wird von einem Patienten zum nächsten geeilt, hier eine Wunde versorgt, dort ein Katheter gelegt und dem Patienten obendrauf zur Begrüßung die Hand gegeben. Durch den wahllosen Umgang mit Antibiotika verbreiten sich Resistenzen schneller, als dass angemessen darauf reagiert werden kann. Angehende Ärzte sind häufig überfordert, Spezialisten gibt es nur wenige. Häufig fällt die Wahl auf ein Medikament aufgrund zuvor gemachter Erfahrungen und nicht durch Anfertigung eines Antibiogramms. Manchmal werden Antibiotika auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten verschrieben, ohne bestehende Indikation. Die Dauer der Gabe scheint jedoch häufig willkürlich. Doch sind dies allesamt Gründe für das Entstehen einer so gefürchteten Resistenz. Der angemessene Einsatz - ambulant wie stationär - ist ein wichtiges Thema, das es anzugehen gilt.

Auch in der Lebensmittelindustrie wird vermehrt zu Antibiotika gegriffen. So wird beispielsweise die Schweinemast prophylaktisch vor Krankheiten geschützt. Selbst Reserveantibiotika werden genutzt, die eigentlich nur bei resistenten Keimen eingesetzt werden sollten. Durch den Verzehr von tierischen Produkten und insbesondere über das durch die Tierausscheidungen kontaminierte Grundwasser sind Landwirte und Menschen aus diesen Regionen besonders gefährdet. So muss es ein gemeinsames Ziel sein, auch in der Tiermedizin Konsequenzen zu ziehen. Wird hier nicht gehandelt, bleiben alle Bemühungen in der Humanmedizin zwecklos.

Darüber hinaus sollen ökonomische Anreize als mögliche Ursache nicht unerwähnt bleiben. Laut Expertenmeinungen reichen in vielen Fällen konservative Therapien aus. Dennoch werden immer häufiger unnötige, geldbringende Operationen empfohlen, deren Wirksamkeit oft fraglich ist. Der schier Gesunde wird unnötig einem Infektionsrisiko ausgesetzt. Das ärztliche Ethos steht im Konflikt zum ökonomischen Handeln und der Patient ist dazu angehalten, sich eine Zweitmeinung einzuholen. Krankenhaushygiene ist nicht nur ein deutsches Problem. Sie ist längst eine internationale Angelegenheit, der sich auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) widmet. So hat sie jüngst die World Antibiotic Awareness Week ausgerufen, um einen verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika anzumahnen. Und auch beim diesjährigen G20 Gipfel lag der Fokus auf ebendiesen gefürchteten Infektionskrankheiten und Antibiotikaresistenzen. Zu guter Letzt sollte der Blick auf Indien gerichtet werden, wo fast alle großen Pharmakonzerne ihre Produkte herstellen lassen. In den Gewässern rund um Hyderabad wurden hohe Konzentrationen von Antibiotika und Pilzmedikamenten nachgewiesen. Die Konzentrationen lagen teils hundert-, bisweilen sogar tausendfach über den vorgeschlagenen Grenzwerten für die jeweiligen Substanzen.

Versorgung verbessern

Zur Vermeidung von nosokomialen Infektionen muss der Patient von Anfang an gut versorgt werden. Ein informierter Patient kann dabei zu einer optimalen Versorgung beitragen. Dies beginnt bereits vor der Krankenhausaufnahme. Das Screening ist eine Untersuchung, die der Identifikation von Patienten dient, die einen Keim mit sich tragen. Hierzu existieren zwar Empfehlungen des RKI, jedoch keine verbindlichen Richtlinien für die Krankenhäuser. Ob und wann ein solches Screening bei Aufnahme eines Patienten durchgeführt wird, liegt in der Entscheidungshoheit des Krankenhauses. Zwischen Zeit- und Kostendruck und unter Abwägung der Folgen werden zumeist ausgewählte Patienten einem solchen Test unterzogen. Häufig weiß der Patient selbst nicht, dass er einen Keim in sich trägt oder ist sich der Dringlichkeit nicht bewusst, dies dem Klinikpersonal mitzuteilen. Diese Patienten zeigen keinerlei Symptome, sie sind im Auge des Betrachters scheinbar gesund. Erst im geschwächten Allgemeinzustand und bei Wundheilungsstörungen zeigt sich das Risiko.

Wird ein Patient positiv getestet und lässt sich die Krankenhausaufnahme nicht verschieben, muss er entsprechend isoliert werden. Viele Krankenhäuser können die hierzu benötigten Isolationszimmer häufig nicht vorhalten, da die Länder ihren Investitionspflichten nicht nachgekommen sind. Darüber hinaus muss das Personal im richtigen Umgang geschult werden. Nur wenn das Personal weiß, wie und wann eine richtige Händedesinfektion durchzuführen ist und welche Schutzkleidung angelegt werden muss, können auch der Patient und seine Angehörigen von ihm lernen. Der Patient kann dann selbst dazu beitragen, eine Infektion zu vermeiden. Ist der Patient erst einmal erkrankt, muss zunächst geklärt werden, ob die Ursache bakteriellen oder viralen Ursprungs ist. Patienten wissen häufig nicht, dass Antibiotika nur bei bakteriellen Infektionen helfen können und Ärzte diese häufig vorschnell verordnen. Auch hier stehen also die richtige Versorgung und vor allem Information des Patienten im Mittelpunkt. Eine Antibiotikatherapie muss mit Bedacht gewählt werden und der Patient muss die Möglichkeit erhalten, die Indikation hinterfragen zu können. Letztlich ist der informierte Patient sein eigener bester Schutzschild.

Bestehende Lösungsansätze und Maßnahmen

Die Bundesregierung hat bereits zahlreiche Maßnahmen formuliert, die mangelhafte Krankenhaushygiene aufhalten sollen, wofür mit dem Infektionsschutzgesetz 2001 das Fundament gelegt wurde. Es dient der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten, der frühzeitigen Erkennung von Infektionen und der Vermeidung ihrer weiteren Verbreitung.  Zudem müssen seit 2011 alle Bundesländer Hygieneverordnungen erlassen. Zuletzt wurde 2016 die Meldepflicht für antibiotikaresistente Erreger ausgeweitet, um Krankenhausinfektionen und Antibiotika-Resistenzen zu verringern. Die von der Bundesregierung ins Leben gerufene Deutsche Antibiotika Resistenzstrategie (DART) soll unter anderem den One-Health-Ansatz (Betrachtung von tierischer und menschlicher Gesundheit unter Berücksichtigung von Umweltfaktoren) national und international stärken. Darüber hinaus hat sie den 10-Punkte-Plan zur Vermeidung behandlungsassoziierter Infektionen und Antibiotika-Resistenzen sowie das Hygieneförderprogramm initiiert. Außerdem werden ab 2017 mit rund vier Millionen Euro sieben Projekte gefördert, die der Umsetzung von DART dienen. Nicht zuletzt haben zahlreiche Maßnahmen und Einrichtungen des RKI die Überwachung von nosokomialen Infektionen und die Erstellung von Empfehlungen für Präventionsmaßnahmen und Standards zu Diagnostik und Therapie zum Ziel. Diese sind für die Krankenhäuser jedoch nicht bindend, sofern sie nicht am Hygieneförderprogramm der Bundesregierung teilnehmen.

Lösungsansätze und Maßnahmen gibt es viele, doch eine Vielzahl von Bemühungen macht noch lange keine Verbesserung aus. Es mangelt vor  allem an ihrer nachhaltigen wie nachdrücklichen Umsetzung. Eine transparente Informationspolitik, zum Beispiel zum Auftreten von Keimen bereits vor oder erst während eines Krankenhausaufenthaltes sowie zu der Anzahl von verfügbaren Isolationsbetten, ermöglicht es dem Patienten, eine fundierte Entscheidung zur Wahl eines Krankenhauses zu treffen.

Vision Zero

Es ist an der Zeit, dass sich nicht viele um viele Lösungen sorgen, sondern einige wenige an einem gemeinsamen Fahrplan arbeiten. Nur so kann das Ziel erreicht werden: Vision Zero. Vision Zero bezeichnet ursprünglich das Ziel, Straßen und Verkehrsmittel so sicher wie möglich zu gestalten, dass keine Verkehrstoten und Schwerverletzten mehr auftreten. Im Kampf gegen Resistenzen und Infektionen ist Vision Zero aber auch die Forderung nach wirksamen Interventionen, um die Zahl der vermeidbaren, nosokomialen Infektionen kontinuierlich auf null zu reduzieren. Denn das Schicksal eines betroffenen Patienten kann schlagartig das Schicksal eines Angehörigen oder von einem selbst werden.

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