Landtagswahl

Große Koalition in Niedersachsen

Rund sechs Millionen Niedersachsen waren am 15. Oktober 2017 aufgefordert, ihre Abgeordneten für den Niedersächsischen Landtag zu wählen. Die SPD ging als stärkste Kraft hervor, gefolgt von CDU und Grünen. Für eine Fortsetzung der rot-grünen Regierungskoalition reichte das Ergebnis allerdings nicht.

Knapp zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale hatte es so ausgesehen, als besäßen Niedersachsens Wähler einen besonderen Sinn für Ironie: Eine Hochrechnung weckte bei SPD und Grünen am 15. Oktober kurzzeitig die Hoffnung auf eine Fortsetzung ihrer Regierung - auf der Basis von 68 der 135 Sitze im Landtag. Mit der Mehrheit von nur einer Stimme hatten sich die Koalitionspartner schon durch die abgelaufene Legislaturperiode lavieren müssen. Das war lange gutgegangen - bis die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten Anfang August überraschend zur CDU überlief. Deshalb wurde die eigentlich erst für Januar geplante Landtagswahl vorgezogen.

Als in der Nacht alle Stimmen ausgezählt waren, hatte Rot-Grün den zwischenzeitigen Vorsprung wieder eingebüßt: Die SPD konnte zwar mit 36,9 Prozent die CDU als stärkste Kraft im Parlament ablösen, für eine Regierungsbildung brauchte Ministerpräsident Stephan Weil aber neue Partner. Da die FDP eine Ampelkoalition mit den Grünen ablehnte, blieb ihm am Ende nur das Bündnis mit den Christdemokraten – das erste dieser Art seit 1970. Im alten Landtag war die Tonlage zwischen den beiden Parteien mitunter harsch, in den Koalitionsverhandlungen näherte man sich jedoch schnell an. "Wir haben uns selbst überrascht", sagte Weil Mitte November. Aufgrund der guten Haushaltslage will die neue Landesregierung 1.500 zusätzliche Polizisten und 1.000 neue Lehrer einstellen sowie die Kindergarten-Gebühren abschaffen und einen weiteren Feiertag einführen.

 

Illustration: Ergebnisse der niedersächsischen Landtagswahlen 2017 durch Balkendiagramme dargestellt.

Die Gesundheitspolitik kam beim Poker zwischen beiden Parteien nur am Rande vor – wohl auch deshalb, weil die SPD bereits in der vergangenen Legislaturperiode ein potenzielles Streitthema entschärft hatte: Die größte Not der Krankenhäuser ist erst einmal gelindert. Mit Unterstützung des Bundes stellt das Land bis 2020 insgesamt rund 1,3 Milliarden Euro für Neubauten und Modernisierungen bereit, hinzu kommt noch eine Pauschalförderung von 500 Millionen Euro. Der zur Verfügung stehende Milliardenbetrag speist sich aus drei Töpfen: Die reguläre Investitionsförderung von Land und Kommunen addiert sich in dem Planungszeitraum auf 600 Millionen Euro. Hinzu kommen 90 Millionen Euro aus einem sogenannten Strukturfonds, an dem sich der Bund zur Hälfte beteiligt. Noch einmal 600 Millionen Euro sollen aus einem "Sondervermögen" kommen: Ausgewählte Kliniken können Kredite in dieser Höhe aufnehmen – das Land und die Kommunen wollen für 25 Jahre Zinszahlung und Tilgung übernehmen. Pro Jahr seien das etwa 32 Millionen Euro. Die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft treibt jedoch die Sorge um, dass die Zins- und Tilgungszahlungen dauerhaft zulasten ihrer Mitglieder gehen könnten. Denn nach den Vorstellungen der alten Landesregierung soll die Pauschalförderung für die Kliniken entsprechend gekürzt werden – die erste Hälfte des Finanzierungsanteils wurde bereits im August verbucht, für 2018 wurde eine weitere Kürzung der Pauschalfördermittel angekündigt.

Laut Koalitionsvertrag wollen SPD und CDU den Investitionsstau bei den 177 Krankenhäusern zwischen Ems und Elbe „weiter abbauen und einen neuen verhindern“. Ziel der Landesregierung sei es, das Volumen für die Einzelförderung von Krankenhäusern deutlich zu erhöhen, das Investitionsprogramm fortzuentwickeln und zu verstetigen. Wie das konkret aussehen soll, lässt die neue Landesregierung offen. Dagegen zeichnet sich ab, dass die neue Sozialministerin Carola Reimann den Konsolidierungskurs ihrer Vorgängerin Cornelia Rundt (beide SPD) beibehalten will. "Wir werden Wege der Spezialisierung eröffnen", heißt es im Koalitionsvertrag: "Fusionen und Schwerpunktbildungen sollen gefördert werden." Zwischen 2013 und 2016 hatte das Sozialministerium in 13 Städten und Landkreisen sogenannte Regionalgespräche mit dem Ziel initiiert, die Zahl der Kliniken zu reduzieren: Fördermittel sollten künftig nur noch an Häuser fließen, für die es auch in Jahrzehnten noch einen Bedarf gibt. Nach anfänglicher Euphorie blieben die Ergebnisse am Ende mager: Konkrete Folgen hätten die Gespräche nur dort gehabt, "wo der Konsens der Beteiligten bereits vorher angelegt war", berichteten Teilnehmer. In Delmenhorst, Wilhelmshaven und in Ostfriesland sind Fusionen von Häusern geplant.

Die Krankenkassen unterstützen den Kurs der Landesregierung im Prinzip - im Detail gibt es jedoch Unterschiede. Während die AOK darauf dringt, "dass die Grundversorgung auch in ländlichen Gebieten unter allen Umständen gewährleistet bleiben muss", fordert die Landesvertretung der Ersatzkassen, dass Krankenhausleistungen "schon aus Gründen des Patientenschutzes" innerhalb der Regionen stärker gebündelt werden müssen. Einig sind sich die Krankenkassen hingegen in ihrer Forderung, die ambulante Versorgung auf dem Lande zu stärken. Auch die Ärztekammer Niedersachsen sieht hier Handlungsbedarf - sonst erreiche der Medizinermangel angesichts der bevorstehenden Pensionierungswelle geburtenstarker Jahrgänge bald eine problematische Dimension, warnt Kammerpräsidentin Martina Wenker. Die neue Landesregierung müsse die Zahl der Medizinstudienplätze an den Hochschulen im Land aufstocken.

Diesen Wunsch haben SPD und CDU bereits erhört: In seiner Regierungserklärung kündigte Ministerpräsident Weil an, dass bis zum Ende der Legislaturperiode 100 bis 200 zusätzliche Ärzte ausgebildet werden sollen. Zudem will die Landesregierung jungen Medizinern mit besonderen Anreizen Lust auf das Landleben machen: Mehr Ärztehäuser und medizinische Versorgungszentren sollen geregelte Arbeitszeiten garantieren und somit eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleisten. Reimann will aber auch noch einen Schritt weitergehen: "Ich persönlich bin für eine Landarztquote", sagte sie kürzlich. "Jeder zehnte Medizin-Studienplatz soll an Bewerber vergeben werden, die sich verpflichten, im Anschluss als Allgemeinärzte in unterversorgten Regionen zu arbeiten." Mit ihrer schnellen Einigung haben Sozial- und Christdemokraten nach der Landtagswahl nicht nur sich selbst überrascht, sondern auch die Verbände: Vertreter aus der Wirtschaft und der Gesundheitsbranche sehen in der großen Koalition eine Chance, angesichts der breiten Mehrheit im Landtag auch solche Reformen durchzusetzen, die nicht in allen Wahlkreisen auf Begeisterung stoßen. Rot-Grün musste hier vorsichtiger agieren - und verlor am Ende dennoch eine entscheidende Abgeordnete an die (damalige) Opposition.

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