Bundesregierung

Dritte große Koalition muss sich beweisen

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Seit März 2018 führt Angela Merkel (CDU) ihr viertes Kabinett als Bundeskanzlerin. Zum dritten Mal wird die Regierung durch eine große Koalition aus CDU und CSU sowie der SPD getragen. Doch so klein wie diese GroKo war noch keine vor ihr.

Eine verfassungsändernde Mehrheit bringt diese Koalition aus eigener Kraft nicht mehr zustande. Das Regierungsbündnis kommt der Zahl nach auf 399 von 709 Abgeordneten. Mindestens 35 davon verweigerten Merkel bei der geheimen Wahl ihre Zustimmung. Das war keine Katastrophe, denn Merkel wurde immer noch im ersten Wahlgang gewählt. Aber ein Stimmungsdämpfer war es schon. Das Regieren wird für Merkel nicht einfacher werden. Die geschrumpfte Union und die verzwergte SPD müssen sich zudem im Bundestag einer gewachsenen Opposition stellen. Die macht sich vor allem an den Rändern des politischen Spektrums breit. Zu der nicht nur in Sozialfragen utopischen Ideen nachhängenden Linken gesellt sich nun am rechten Rand die AfD. Es ist nicht erkennbar, ob und wie diese in programmatischen Fragen weitgehend unbeleckte Partei sich in die Arbeit des Bundestags einbringen will. Dem ersten Anschein nach geht es ihr vor allem um politische Agitation. Das ist zulässig, wie der härtere Ton, der da vom rechten Rand herüberdröhnt. Dennoch ist das für viele Politiker der „Altparteien“ ein neues Phänomen, sie müssen Schmähungen und Attacken schnell und möglichst gewitzt parieren. SPD und Union, die in der politischen Mitte miteinander verkettet sind, werden versuchen, an den Rändern verlorene Wähler einzusammeln. Dazu müssen zumindest rhetorisch die dort obwaltenden Stimmungslagen bedient werden, sei es die Abschaffung von Hartz IV oder die Obergrenze für den Flüchtlingszuzug.

Mit Überschwang ist diese Regierung nicht ins Amt gestartet. Die monatelange Suche nach Bündnispartnern, erst bei Grünen und Gelben, dann bei der sich lange zierenden SPD, hat viel Kraft gekostet. Wenn es alleine das wäre. Vertrauen ist in der neuen Regierungsmannschaft ein flüchtiger Stoff. Da ist die SPD, die mit sich selbst nicht im Reinen ist. Nicht nur die Jusos hätten am liebsten die harten Bänke der Opposition und sich vor der Regierungsverantwortung gedrückt. Vor allem unter den Linken in der SPD sind viele, die dieser Regierung eher Stöckchen ins Schwungrad halten wollen, als den Antriebsriemen zu straffen. Für die Regierungsarbeit in Berlin kann das andauende Rumoren aus dem Gebälk der Sozialdemokratie eine dauernde Belastung werden. Da hilft dann auch nicht, wenn mit Andrea Nahles in Partei und Fraktion sowie Vizekanzler Olaf Scholz im Bundesfinanzministerium gleich zwei Kraftfelder auf die Koalition einwirken.   

Auch in der Union stehen die Dinge nicht zum Besten. In der CSU hat Markus Söder den Machtkampf um das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten zwar gewonnen, der gezeichnete Parteivorsitzende Horst Seehofer hat das zum Heimatministerium aufgeblasene Innenressort übernommen. Mindestens bis zur Landtagswahl im Oktober in Bayern wird man deshalb noch viel dazu hören, „ob der Islam zu Deutschland gehört“ – eine Frage, die bekanntlich in der Union unterschiedlich beantwortet wird. Selbst in der CDU geht es für ihre Verhältnisse munter zu, auch das ein Faktor, der das von Merkel bevorzugte „Regieren mit ruhiger Hand“ erschweren dürfte. Ihre Tage als Vorsitzende und Kanzlerin sind zwar noch nicht gezählt. Doch bereiten sich mehrere Interessenten darauf vor, sie dereinst zu beerben. Mit Annegret Kramp-Karrenbauer hat Merkel selbst eine potenzielle Nachfolgerin aus dem Saarland nach Berlin gelockt. Als Generalsekretärin der CDU hat sie die „Beinfreiheit“, um auf vielen außen- und innenpolitischen Feldern zu brillieren, auch ist sie nicht in die Disziplin des Kabinetts eingebunden. Das kann von Vorteil sein.  Andererseits hat ihr Konkurrent um die Macht, der aufstrebende Konservative Jens Spahn, schon gezeigt, dass man sich auch als „Präsidiumsmitglied“ zu jenen Themen äußern kann, die der Disziplin des Kabinetts nicht unterworfen sind. Nach vielen Jahren als Gesundheitspolitiker ist Spahn in dem Amt angekommen, das er, der zuletzt in Vertretung des Finanzministers auf dem internationalen Finanzparkett brillierte, schon hinter sich gewähnt hatte. Vor vier Jahren noch hatten er und Karl Lauterbach von der SPD die Grundlagen der Gesundheitspolitik für den Koalitionsvertrag festgezurrt – und keiner von beiden hatte das Amt bekommen, stattdessen kam Hermann Gröhe (CDU). Der war zwar fachfremd, hat die traditionell für Streit empfängliche Gesundheitspolitik aber mit viel Geld sediert. Am Ende durfte er mit Lauterbach den Koalitionsvertrag verhandeln, musste dann aber gehen. Der Neusser hatte seine Schuldigkeit getan. Die Jungen drängen an die Macht.   

Tatsächlich eröffnet das Vertragswerk Spahn mehr politische Optionen, als er selbst es Jahre zuvor zugelassen hatte. Eine Kommission mit Vertretern von Bund und Ländern soll über die sektorenübergreifende Versorgung reden, eine andere sich mit einer möglichen Neuordnung der ärztlichen Honorierung befassen – Nachwirkungen der ideologisch aufgeladenen Debatte über Sinn und Unsinn der „Bürgerversicherung“. Da liegen Tretminen, die im Falle eines Falles helfen könnten, die Koalition auch vor Ablauf der Mindesthaltbarkeit über den Rand der eingebauten Sollbruchstellen zu katapultieren. Spahn hat zu Beginn deutlich erkennen lassen, dass er sich nicht mit dem gesundheitspolitischen Besteck alleine zufriedengeben wird. Dafür sprechen seine ersten Interviewäußerungen, auch der Zuschnitt seines Ministeriums, vom Abteilungsleiter bis zum Redenschreiber. Aber wer, wenn nicht der erfahrene Gesundheitspolitiker Spahn weiß um die vielen Fallstricke, die in seinem Ministerium lauern: Ausgabensteigerungen und der Risikostrukturausgleich, unterversorgte Pflegepatienten, überarbeitete Pflegekräfte, zu lange Wartezeiten beim Facharzt, zu wenige Medizinstudienplätze, die ineffiziente Krankenhausstruktur und eine Digitalisierungsoffensive, die seit 18 Jahren feststeckt.  Nur wenn Spahn das Gesundheitsministerium gut managt, hat er eine Chance in das Amt zu kommen, für das er sich berufen fühlt – aber eine Garantie ist auch das nicht. 

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