Die ärztliche Versorgung auf dem Land ist einer der Schwerpunkte des Koalitionsvertrages. Viele Instrumente liegen bereits auf dem Tisch – einige müssen erweitert, andere konsequenter umgesetzt werden.
Die Diskussion um eine angebliche Zwei-Klassen-Medizin beherrschte in der letzten Phase der Koalitionsverhandlungen die gesundheitspolitische Debatte. Dass hierbei mögliche Unterschiede nicht in einer schlechteren medizinischen Behandlung von Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gegenüber Versicherten in der privaten Krankenversicherung (PKV) bestehen, wird weithin anerkannt. 85 Prozent der GKV-Versicherten sind nach einer Umfrage des Instituts Forsa im Auftrag des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) mit der Versorgung eher oder sehr zufrieden (ersatzkasse magazin. 1./2.2018, S. 28 ff.).
Anders ist die Situation bei der Dauer der Wartezeit auf einen Facharzttermin. Während es in Großstädten wie Berlin bei gewisser zeitlicher und räumlicher Flexibilität durchaus möglich ist, einen Termin beim Orthopäden oder zum MRT innerhalb weniger Tage zu bekommen, ist dies in ländlichen Regionen oft unmöglich. Dies zeigen auch die Umfrageergebnisse von Forsa: Während in städtischen Regionen immerhin die Hälfte der Befragten mit der Wartezeit auf einen Facharzttermin eher oder sehr zufrieden sind, liegt dieser Wert in ländlichen Regionen bei weniger als 40 Prozent. Ein Drittel der GKV-Versicherten dort ist sogar sehr unzufrieden.
Sicherlich ist eine längere Wartezeit bei Routine- und Vorsorgeuntersuchungen durch- aus zumutbar. Hier allein von einem „Komfortproblem“ zu sprechen, verkennt jedoch die Realität. Stattdessen sind die Ergebnisse Anlass zur Forderung, dass auch die neue Bundesregierung ihren Fokus auf die ärztliche Versorgung in ländlichen Regionen legen muss. Dass hier Handlungsbedarf besteht, ist sicherlich keine neue Erkenntnis. Neben einer neuen Bedarfsplanung wurde spätestens seit 2012 eine Reihe von Instrumenten geschaffen, welche die ärztliche Berufsübung weiter flexibilisieren sollte, wie die Aufhebung der Residenzpflicht und eine vereinfachte Eröffnung von Zweitpraxen. Die Möglichkeit für Kommunen und Kassenärztliche Vereinigungen (KV) zur Gründung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) bzw. Eigeneinrichtungen sollte verstärkt angestellte Ärztinnen und Ärzte aufs Land locken, welche die Übernahme einer Vertragsarztpraxis scheuen. Doch gerade in diesem Bereich ist seither wenig passiert. Kommunale MVZ gibt es fast gar nicht, häufig scheitert die Umsetzung an fehlendem Know-how oder den finanziellen Rahmenbedingungen. Daher müssen sich die KV als Träger des Sicherstellungsauftrages stärker engagieren und in Regionen mit Versorgungsengpässen eigene Praxen auf bauen. Diese gibt es bislang fast ausschließlich in einigen östlichen Bundesländern. Es ist daher positiv zu sehen, dass hier die neue Bundesregierung neue Spielräume schaffen will.
Ein weiteres Problem ist die weiterhin bestehende Überversorgung in Ballungsräumen und die damit einhergehende Ungleichverteilung von Vertragsärzten zwischen Stadt und Land. Die Möglichkeit eines Praxisaufkaufs durch die KV hat sich als stumpfes Schwert erwiesen; sie wird fast nie genutzt. Die bestehende Regelung sollte daher durch einen Automatismus ergänzt werden, der die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes ab einem bestimmten Grad der Überversorgung ausschließt. Denn solange städtische Regionen mit guter Infrastruktur und einem hohen Anteil an Privatpatienten als Praxisstandorte verfügbar sind, werden es ländliche Bereiche im Wettbewerb um junge Ärzte schwer haben. Dies wird auch dadurch verstärkt, dass die erheblichen Honorarsteigerungen der letzten Jahre allen Vertragsärzten – unabhängig vom Ort ihrer Niederlassung – zugutegekommen sind. Eine finanzielle Förderung der Landärzte durch Anpassungen im Vergütungssystem, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, ist daher zielgenau. Eine anderenorts diskutierte Ausbudgetierung weiterer Leistungen würde hingegen das Geld nur wieder mit der Gießkanne verteilen und die Beitragszahler zusätzlich belasten, ohne dass die ärztliche Versorgung auf dem Land sich verbessern würde.
Tatsächlich haben die Krankenkassen und die gemeinsame Selbstverwaltung in den vergangenen Jahren bereits einiges erreicht: Über Strukturfonds erhalten junge Ärzte in ländlichen Regionen zum Beispiel Umsatzgarantien, Sicherstellungszuschläge und Investitionskostenhilfen. Die Anstellung besonders qualifizierter Praxisassistenten, die Ärzte insbesondere bei routinemäßigen Hausbesuchen in weitläufigen Gegenden entlasten können, wird mit über 100 Millionen Euro jährlich gefördert. Durch die Einführung der Videosprechstunde hält endlich auch die Digitalisierung Einzug in die ambulante Versorgung. Doch erst mit einem Weg fall des Fernbehandlungsverbots, wie zurzeit modellhaft in Baden-Württemberg erprobt, kann sie sich in bestimmten Bereichen zu einer Alternative zum konventionellen Arztbesuch entwickeln, welche die Versorgung gerade über weite Distanzen erheblich vereinfacht. Bei der Entwicklung neuartiger Mobilitätskonzepte für den ländlichen Raum, zum Beispiel durch Ridesharing-Angebote, muss die Erreichbarkeit von Arztpraxen und anderer Leistungserbringer konsequent mitgedacht werden. Denn gerade in Landstrichen, die unter Abwanderung leiden, wird nicht an jedem Ort ein Arz zur Verfügung stehen können – er oder sie muss aber für jeden erreichbar sein. Doch mit der Altersentwicklung der Vertragsärzte kommt eine neue Herausforderung hinzu: Ihr Durchschnittsalter ist in den vergangenen zehn Jahren auf 54,1 Jahre gestiegen. Bei den Hausärzten liegt der Anteil der Über-60-Jährigen bei mehr als einem Drittel. Die Bundesländer müssen daher zusätzliche Studienplätze schaffen, damit die Versorgung der Zukunft gestaltet werden kann. Denn nur durch Investitionen in neue Studienplätze heute können teure Versorgungsprobleme morgen vermieden werden.
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