Gesetzgebung

Ein Blick zurück

Am 24. Oktober 2017 hat sich der 19. Deutsche Bundestag konstituiert. Die alte Bundesregierung der 18. Legislaturperiode ist bis zur Bildung einer neuen Koalition geschäftsführend im Amt. Ein Sondierungsversuch für eine Jamaika-Koalition ist gescheitert. Der Blick nach vorn ist zurzeit nicht möglich, ein Blick zurück lohnt allemal. Die Bundesregierung war fleißig. Allein das Bundesgesundheitsministerium (BMG) verantwortete 28 Gesetzesinitiativen, mit denen der Fahrplan des Koalitionsvertrags abgearbeitet wurde. 24 Initiativen hat das Parlament beraten und verabschiedet. Selten war die gesetzgeberische Tätigkeit im Bereich Gesundheit so hoch. Für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) waren die vier Jahre geprägt von Licht und Schatten. Zu nennenswerten Kosteneinsparungen kam es in nahezu keinem Bereich.

Den Ankündigungen des Koalitionsvertrages zum Trotz ist es zu keiner Reform der sozialen Selbstverwaltung gekommen. Der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) hatte sich insbesondere auch für Online-Wahlen bei der Sozialwahl stark gemacht. Als eine Reaktion auf interne Vorgänge bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wurde allerdings das BMG tätig und hat ein GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz (GKV-SVSG) aufgelegt, in dessen Folge aus seiner Rechtsaufsicht eine deutlich erweiterte Fachaufsicht geworden wäre. Dem erheblichen Protest der sozialen, der gemeinsamen und der berufsständischen Selbstverwaltung ist es zu verdanken, dass die weitreichenden Pläne des Ministeriums deutlich herabgestuft werden konnten. Die Grundausrichtung des Gesetzes bleibt aber falsch. Die Selbstverwaltung braucht weniger Gängelung, sondern mehr Gestaltungskompetenzen.

Finanzierung

Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FQWG) wurde der allgemeine Beitragssatz in der GKV auf 14,6 Beitragssatzpunkte abgesenkt und der Sonderbeitrag von 0,9 Prozent gestrichen. Die entstehende Deckungslücke ist über prozentuale Zusatzbeiträge zu decken. Das Gesetz trat am 1. Januar 2015 in Kraft; der GKV-Spitzenverband veröffentlicht seitdem eine Übersicht über die Zusatzbeitragssätze aller Kassen. Die Kassen mit überdurchschnittlichem Zusatzbeitragssatz haben ihre Mitglieder explizit auf das Recht zum Kassenwechsel zu unterrichten. Für den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) wurden Übergangslösungen für die Zuweisungen für Krankengeld und für Auslandsversicherte formuliert und Gutachtenaufträge vergeben. Diese empfehlen die Erarbeitung vertiefender Gutachten, die bis Ende 2019 vorliegen sollen. Für die Krankenhäuser wird das bereits 2013 aufgelegte Hygieneförderprogramm erweitert.

Der vdek hatte sich lange für einkommensabhängige Zusatzbeiträge anstelle von pauschalen Zusatzbeiträgen eingesetzt, um überzogene Marktreaktionen im Kassenwettbewerb zu verhindern. Überzogen sind aber die Veröffentlichungs- und Informationspflichten der Krankenkassen beim Zusatzbeitragssatz. Unbefriedigend ist, dass keine Regelung geschaffen worden ist, die Kostensteigerungen in der GKV auch auf die Arbeitgeber zu verteilen. Mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2014 wurde der Bundeszuschuss zur GKV für die Jahre 2014 und 2015 von 14 Milliarden Euro auf 10,5 bzw. 11,5 Milliarden Euro gekürzt. Zur Gegenfinanzierung wurde auf die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds zurückgegriffen. Seit dem Jahr 2017 ist der Bundeszuschuss mit jährlich 14,5 Milliarden Euro etwas höher als zuvor. Insgesamt steht die GKV finanziell gut da. Die stabilen Verhältnisse resultieren aus einer stetig steigenden Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse, dem Zuzug vergleichsweise junger Versicherter und dem Umstand, nahezu Vollbeschäftigung zu haben.

Versorgung

Im Juli 2015 trat das Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG) in Kraft. Es zielt auf die Weiterentwicklung der ambulanten Versorgungsstrukturen. Unter anderem werden ein Innovationsfonds und Terminservicestellen eingeführt. Zur Stärkung des Wettbewerbs wird das Selektivvertragsrecht modifiziert. Unter anderem entfällt die Pflicht, die Verträge vorab durch die Aufsichtsbehörde genehmigen zu lassen. Damit werden Wettbewerbsnachteile für die Ersatzkassen beseitigt. Krankenhäuser werden ermächtigt, in strukturschwachen Gebieten an der ambulanten Versorgung teilzunehmen. Für die Reform der psychotherapeutischen Versorgung, die 2017 umgesetzt wurde und den Ersatzkassen sehr wichtig ist, wurde die gesetzliche Grundlage gelegt. Besonders positiv war, dass der vdek eine Regelung zur Vergütungsanpassung im Heilmittelbereich durchsetzen und damit weitere Wettbewerbsnachteile abbauen konnte. Ordnungspolitisch fragwürdig und wirkungslos war die Streichung der Kassenregresse bei Behandlungsfehlern durch freiberufliche Hebammen, um deren Berufshaftpflichtprämien zu stabilisieren.

Das Gesetz zur Reform der Strukturen in der Krankenhausversorgung (KHSG) zielt auf den stationären Bereich. Der beabsichtigte "große Reform-Wurf" ist auf Betreiben der Länder zu einem reinen Krankenhausfinanzierungsgesetz verkümmert. Mit dem zu Beginn 2016 in Kraft getretenen Gesetz werden die Krankenhäuser zu mehr Qualität angehalten. Häuser, die die notwendige Qualität dauerhaft nicht bieten, können aus dem Krankenhausplan herausgenommen werden. Dies hatte auch der vdek gefordert. Ein erster Schritt, strukturelle Veränderungen herbeizuführen, ist der mit dem Gesetz eingerichtete Strukturfonds, der in jedem Bundesland eingerichtet wurde. Unsicherheiten entstehen, weil es den Ländern grundsätzlich freigestellt ist, die Qualitätsvorgaben der Bundesebene zu übernehmen. Das Problem der mangelhaften Investitionsfinanzierung durch die Länder ist nicht gelöst worden. Immerhin wurde im Zuge des KHSG eine Expertenkommission "Pflegepersonal im Krankenhaus" eingesetzt. Deren Ergebnisse sind in Form von Pflegepersonal-Untergrenzen im Sommer 2017 im Gesetz zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten rechtlich verankert worden.

Mit dem ein Jahr später in Kraft getretenen Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) wurde der Plan, die psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken über Entgelte zu steuern und wirtschaftlicher zu gestalten, endgültig fallen gelassen. Es sind weiterhin Budgets zu verhandeln. Allerdings wurde die Grundlage für ein Krankenhaus-Standortverzeichnis geschaffen. Dieses ist unverzichtbar für die rechtssichere Umsetzung einer Reihe von Qualitätsinstrumenten des KHSG.

Im April 2017 trat das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) in Kraft. Bei den Hilfsmittelausschreibungen sollen Qualitätskriterien künftig stärker gewichtet und das Hilfsmittelverzeichnis regelmäßig aktualisiert werden. Beides bewertet der vdek positiv. Im Heilmittelbereich müssen Modellvorhaben zur "Blankoverordnung" in allen Bundesländern eingeführt werden, was faktisch einer Einführung in die Regelversorgung gleichkommt. Die Grundlohnsummenanbindung bei der Preisfindung im Heilmittelbereich wird für die Jahre 2017 bis 2019 ausgesetzt. Damit werden die Verhandlungen mit den Heilmittelerbringern massiv erschwert, da für die Verhandlungen Orientierungsgrößen fehlen. Die Regelung zur Vergütungsanpassung, die der vdek im GKV-VSG durchsetzen konnte, wird unterlaufen. Über ein Bündel von Änderungsanträgen wurde die Aufsichtspraxis präzisiert mit dem Ziel, eine Einflussnahme der Krankenkassen auf Arzt-Diagnosen über Betreuungsstrukturverträge zu unterbinden. Als Kennzeichen, um regionale Auswertungen der RSA-Daten zu ermöglichen, wurde der Kreisgemeindeschlüssel festgelegt. Damit wird der Forderung des vdek entsprochen, die Voraussetzungen für die Einführung einer Versorgungsstrukturkomponente im RSA zu schaffen. Mit dem Gesetz zur Fortschreibung von Vorschriften für Blut- und Gewebezubereitungen sind die mitgliedschaftsrechtlichen Vorgaben für Saisonarbeiter so gefasst worden, dass kein weiterer Missbrauch, um Finanzmittel aus dem Gesundheitsfonds zu generieren, mehr möglich ist.

Das Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (AMVSG) erfolgte nachgehend zum Pharmadialog der Bundesregierung und enthält unter anderem Maßnahmen zu Lieferengpässen, Vorgaben zur Wirtschaftlichkeit von Arzneimittelverordnungen, Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung mit Antibiotika und Änderungen bei den Ausschreibungsverfahren für Impfstoffe und Zytostatika. Hervorzuheben ist, dass an der frühen Nutzenbewertung sowie dem Erstattungspreisverfahren festgehalten wird und die Regierung den zwischen Herstellern und GKV-Spitzenverband verhandelten Erstattungsbetrag nicht vertraulich stellt. Dies hätte zahlreiche Probleme für die Krankenversicherung aufgeworfen. Gut ist auch, dass das Preismoratorium bis Ende des Jahres 2022 fortgeführt wird. Generell lässt das Gesetz vermissen, wie mit dem strukturellen Anstieg der Arzneimittelausgaben und "Mondpreisen" umzugehen ist. Mit der Streichung der Ausschreibungsmöglichkeiten für Zytostatika und Impfstoffe werden den Krankenkassen wichtige Steuerungsinstrumente genommen.

Mit dem Gesetz zur Errichtung eines Transplantationsregisters (TxRegG), mit dem Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung und mit dem Präventionsgesetz (PrävG) wurden weitere wichtige Akzente zur Versorgungsverbesserung gesetzt. Die Ersatzkassen nehmen den Auftrag, mehr in Prävention und Gesundheitsförderung zu investieren, engagiert an. Prävention bleibt aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich insbesondere auch Länder und Kommunen aktiv stellen müssen. Fünf Gesetzgebungsverfahren beschreiben einen sehr erfolgreichen Kern der gesundheitspolitischen Aktivitäten der letzten Bundesregierung. Sie befassen sich mit der Versorgung und der Situation von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Ein wirklich großer Wurf ist das Zweite Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung (PSG II), mit dem zum 1. Januar 2017 der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und damit deutlich verbesserte Leistungen insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz eingeführt wurden. Das Pflegestärkungsgesetz I (PSG I), das zu Beginn des Jahres 2015 in Kraft getreten ist, hatte dies insofern vorbereitet, als dass es die Leistungsbeträge angehoben und zusätzliche Betreuungsleistungen eingeführt hat. Der Beitragssatz ist im Zuge der Pflegegesetzgebung um 0,5 Prozentpunkte angehoben worden. Davon fließen 0,1 Prozent in einen Pflegevorsorgefonds, was nicht ausreicht, um den prognostizierten Beitragsanstieg ab 2030 wirkungsvoll abfedern zu können.

Reform der Pflegeberufe

Das Pflegestärkungsgesetz III (PSG III) kam zum 1. Januar 2017 und hat den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff in die Sozialhilfe übertragen. Kommunale Pflegeberatung und Beratung durch die Pflegekassen sollen stärker verzahnt werden. Das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf und das Gesetz zur Reform der Pflegeberufe runden die pflegepolitische Gesetzgebung ab. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob der pflegerische Berufsnachwuchs die umstrittene generalistische Ausbildung der Pflegekräfte den klassischen Ausbildungsgängen vorziehen wird oder nicht.

Abschließend sollte nicht unerwähnt bleiben, dass mit dem Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen (E-Health-Gesetz), dem Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen und dem Bundesteilhabegesetz weitere, für Kranken- und Pflegeversicherung wichtige Gesetze verabschiedet wurden. Der vdek wird aufmerksam beobachten, wie sich diese Gesetze in der Praxis bewähren und sich konstruktiv an deren Weiterentwicklung zum Wohle der Versicherten in der GKV beteiligen.

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