Festbeträge

Die große alte Dame der Kostendämpfung lebt

Als im Herbst 1989 in Umsetzung des damals noch frischen SGB V die ersten zehn Festbetragsgruppen das Licht der GKV-Welt erblickten, war noch nicht absehbar, dass sich dieses neue Instrument als eines der erfolgreichsten Kostendämpfungsinstrumente der letzten Jahrzehnte im Arzneimittelbreich dauerhaft würde etablieren können.

Im Jahr 2014 konnte der 25. Geburtstag dieses Regulierungsinstrumentes gefeiert oder auch beklagt werden, je nachdem, von welcher Seite aus man es betrachtet. Die Feierlichkeiten wurden traditionell eher still und verhalten begangen, aber mit der gleichen unverwüstlichen Effizienz, die diese Regelung so erfolgreich gemacht hat: Zum 1. Juli 2014 wurden 13 umsatzstarke Festbetragsgruppen an den veränderten Markt angepasst und mehrere Festbetragsgruppen erstmals neu festgesetzt. Ergebnis für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist die Hebung von Wirtschaftlichkeitsreserven in Höhe von ins-gesamt fast 850 Millionen Euro pro Jahr.

Es war einmal …

Als die Festbetragsgeschichte 1989 begann, waren der eigentlichen Festsetzung heftige methodische Rangeleien zwischen den Beteiligten vorausgegangen. Sie mündeten letztlich in dem Geniestreich der Entwicklung der sogenannten Regressionsgleichung, die es unter Zugrundelegung mathematisch nachprüfbarer Formeln ermöglichte, das vorhandene Marktgeschehen quasi einzufangen und daraus marktentsprechende Erstattungspreise zu berechnen. Durch Ermittlung der sogenannten Festbetragslinien konnte präzise vorher berechnet werden, welche im Markt vertretenen Arzneimittel – je nach Justierung dieser Linie – schließlich noch zum Festbetrag verfügbar waren. Damit erfüllt der Festbetrag den Zweck einer Höchsterstattungsgrenze, bis zu der gesetzliche Krankenkassen die Kosten übernehmen. Gleichzeitig wird eine Versorgung mit den entsprechenden Arzneimitteln sichergestellt. Für diese mussten im Falle ihrer Verordnung vom Patienten zusätzliche (herstellerbedingte) Aufzahlungen geleistet werden.

Dass diese Aufzahlungen bei der in Deutschland verbreiteten „Geiz ist geil“-Mentalität nicht im Markt durchsetzbar waren, hat der Beförderung der Festbeträge enormen Schub verliehen. Fortan liefen Hersteller große Gefahr, wenn sie die Preise nicht auf Festbetragsniveau absenkten, ihrer bis dato vorhandenen Marktanteile in kurzer Zeit komplett verlustig zu gehen. So war z. B. die Firma Pfizer vor der Festsetzung von Festbeträgen für die Gruppe der lipidsenkenden Statine Marktführer. Nach ihrer Weigerung, ihren deutlich über den Festbeträgen liegenden Marktpreis für ihr Handelspräparat Sortis zu senken, stürzten sie in Deutschland binnen Kurzem in die Bedeutungslosigkeit ab.

Aufgrund dieser massiven Auswirkungen wundert es nicht, dass Festbeträge im Laufe der Jahre mindestens eine Generation von Juristen ausdauernd beschäftigt hielten. Kaum eine andere sozialgesetzliche Regelung hat derart viele unterschiedliche Gerichte jeweils durch fast alle Instanzen auf Trab gehalten. Neben Bundessozialgericht, Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof waren auch Zivilsenate und Verwaltungsgerichte eingeschaltet. Trotzdem haben die Festbeträge rechtlich überlebt, was nicht zuletzt von der Zähigkeit und Überzeugungskraft der aufseiten der GKV agierenden Beteiligten zeugt. So war es immer wieder notwendig, sowohl an kleinen als auch an großen Stellschrauben Veränderungen vorzunehmen.

Dazu gehörten immer wieder gesetzliche Interventionen, um die Idee der Festbeträge zu bewahren. Das galt insbesondere gegen Ende der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts, als durch gesetzliche Eingriffe und den Übergang der Rechtsstreitigkeiten von Sozialgerichten auf Zivilgerichte das Totenglöcklein der Festbeträge zu läuten schien. In dieser Zeit war für mehrere Jahre keine Anpassung von Festbeträgen an veränderte Marktbedingungen möglich, geschweige denn die Bildung neuer Festbetragsgruppen.

Und heute?

Inzwischen sind durch gesetzgeberische Aktivitäten, wie z. B. die grundsätzliche Verweisung auf die Zuständigkeit der Sozialgerichte, die notwendigen stabilen Rahmenbedingungen wiederhergestellt. Dazu gehört auch die Einführung von Zuzahlungsfreistellungsgrenzen im Jahr 2006. Dies erhöhte nochmals durch Einbeziehung von wirtschaftlichen Interessen der Patienten den Druck auf die Hersteller, ihre Arzneimittelpreise deutlich unter die geltenden Festbeträge abzusenken und so die von den Patienten zu leistende gesetzliche Zuzahlung zu sparen.

In der Tat wird dieses deutsche Erfolgs-modell inzwischen in vielen anderen Ländern kopiert und gilt innerhalb der Europäischen Union (EU) als das am ehesten marktwirtschaftlich orientierte System der Preisregulierung. Denn anders als in vielen anderen Staaten gibt es in diesem System keine direkten Preis-eingriffe. Die jeweilige Firma bleibt in ihrer Entscheidung bezüglich des Abgabepreises für ihre Präparate frei, natürlich mit dem Risiko, bei bestimmten Preisentscheidungen deutliche Marktanteile verlieren zu können. Dies wird inzwischen von den meisten Firmen akzeptiert, auch wenn die nächste Herausforderung bereits vor der Tür steht: die Integration der in den nächsten Jahren vermehrt patentfrei werdenden Biologicals und deren legitimen generischen Nachfolgern, den sogenannten Biosimilars, in das bestehende Festbetragssystem. Damit trifft es verstärkt hochpreisige Produktsegmente und es bleibt spannend zu beobachten, wie hier die Entwicklung weiter geht. Liebe Festbeträge: ad multos annos!

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