Große Koalition

Halbzeit für Gröhe

Die ersten zwei Jahre der großen Koalition sind um. Jetzt gehen für Gesundheitsminister Hermann Gröhe die Zeiten zu Ende, in denen die Koalitionäre so arbeitswütig wie diszipliniert an ihren Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag werkelten. Damit ist dann auch der häufig geäußerte – und mit Verlaub deplatzierte – Vorwurf hinfällig, der Minister arbeite ja „nur“ den Koalitionsvertrag ab. Was, bitte, soll er denn sonst machen?

Nach der weitgehend getanen Arbeit schärfen Union und SPD wieder die eigenen Profile. Als Projektionsfläche für das jeweils Eigene dienen ihnen die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen. Deren Reserven werden – auf immer noch hohem Niveau – weniger. Es drohen höhere Zusatzbeiträge. Der GKV-Spitzenverband hat ein Plus von 0,2 bis 0,3 Prozentpunkten ins Spiel gebracht. Für die Koalitionspartner Zeit also für Absetzbewegungen. Die SPD bringt die Bürgerversicherung ins Spiel, die Union will es bei der ihrer Ansicht nach mittelstandsfreundlichen Regelung belassen, die Arbeitnehmer mehr für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) bezahlen zu lassen als die Arbeitgeber. Derweil ist das stramme Programm von acht tragenden Gesetzen aus dem Gesundheitsministerium plus Beiträgen aus den Ministerien für Familie und Justiz noch nicht komplett abgearbeitet. Das sich abzeichnende Bild taugt jedoch schon für eine Bilanz.  

Opus magnum der großen Koalition ist die Pflegereform. Die Neuausrichtung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs und die Verdoppelung der Leistungen in der ambulanten Pflege werden mit den Jahren für betreuungsbedürftige Menschen eine bessere Infrastruktur schaffen als heute vorhanden. Die Erfolgsgeschichte der Versorgung somatisch beeinträchtigter Menschen mit Pflegeleistungen durch die Einführung der sozialen Pflegeversicherung vor 20 Jahren wird sich für die Gruppe der Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz wiederholen. Hier schließt sich das Hospiz- und Palliativgesetz an, das sinnvolle Regelungen für die allerletzte Lebensphase trifft. Der Rest der Gesundheitsgesetzgebung lässt im Wortsinne viel zu wünschen übrig. Die Koalition ist manchen zweiten Schritt vor dem ersten gegangen.  

  • Beispiel GKV-Versorgungsstärkungsgesetz: Erst haben die Koalitionäre die Aufkaufregel ins Gesetz geschrieben, ganz zum Schluss die Neuauflage der Bedarfsplanungsrichtlinie. Das passt nicht zusammen.
  • Beispiel Krankenhausstrukturgesetz: Auch dabei geht es im Kern um den Abbau von Kapazitäten, allerdings verkauft als Qualitätsausrichtung. Es fehlt der erste Schritt, nämlich eine vorgeschaltete vollständige Investitionsfinanzierung durch die Länder, wie sie geltende Gesetze eigentlich vorsehen.

Beide Ansätze, durch schlichten Kapazitätsabbau Kosten zu sparen, gehören auf den Prüfstand. Die allerorten zu besichtigenden demografischen Entwicklungen im Land dürften das Umdenken beschleunigen.

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