Innovationsreport der TK

Durchwachsene Bilanz

Zum siebten Mal in Folge beleuchtet der Innovationsreport neu in den Markt gekommene Medikamente. Und in diesem Jahr zeigt sich wieder: Neu bedeutet mit Blick auf die Patientenversorgung nicht immer besser. Auch unter Kostengesichtspunkten bleiben die neuen Arzneimittel eine erhebliche Herausforderung für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV).

Illustration: Ärztin verabreicht einem Kind eine Spritze

Die Bilanz fällt durchwachsen aus: Zwar liegt der Anteil der Arzneimittel
mit einer grünen Gesamtampel bei 22 Prozent und damit geringfügig über der
Rate des Vorjahres (19 Prozent). Aber auch der Anteil der Arzneimittel mit einer roten Gesamtbewertung hat sich im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Das Team um die Herausgeber Prof. Dr. Gerd Glaeske von der Universität Bremen und Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorstandsvorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, hat 23 neue Arzneimittel nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin untersucht und mit Blick auf verfügbare Therapien, Kosten und patientenrelevanter (Zusatz-)Nutzen bewertet, wobei Letzteres das größte Gewicht im Scoring erhält. Ergänzt werden die Bewertungen durch Routinedaten der Techniker Krankenkasse (TK), was Einblicke in das reale Versorgungsgeschehen erlaubt.

Mit 14 Arzneimitteln bekamen über 60 Prozent der bewerteten Arzneimittel eine rote Ampel, sind also in der Gesamtbewertung durchgefallen. Mehr als jedem fünften Wirkstoff wurde sogar in allen drei Teilkategorien eine rote Ampel attestiert. Insgesamt elf Präparaten fehlt der Zusatznutzen: Sie sind also nicht besser als das, was heute schon auf dem Markt ist.

Problem Arzneimittelsicherheit

Der erfreuliche Teil der Bilanz ist, dass fünf Medikamente eine grüne Ampel im Gesamtscore erhalten haben, vier von ihnen auch für den Teilaspekt des Zusatznutzens. Diese Präparate stellen echte therapeutische und patientenrelevante Innovationen dar – und dies unter anderem bei schweren Erkrankungen wie zum Beispiel Tumoren im Knochenmark oder einer bestimmten Form der chronischen Herzinsuffizienz. Für die Patienten in Deutschland wäre zu wünschen, dass sich das Verhältnis von roten zu grünen Ampeln in Zukunft nachhaltig umkehrt.

Die pharmazeutischen Unternehmer bringen immer mehr spezialisierte Arzneimittel und Medikamente für besonders seltene Erkrankungen auf den deutschen Markt. Das geht einher mit einer oftmals sehr dünnen Datenlage. Ein Wirkstoff gegen Lungenkrebs ist zum Beispiel nur an etwas mehr als 400 Patienten getestet worden. Für die Arzneimittelsicherheit in der realen Versorgung ist dies ein Problem, weil sich tiefere Kenntnisse über unerwünschte Wirkungen so nicht gewinnen lassen. Und es unterstreicht, dass es auch eines Monitorings nach Markteintritt bedarf. Der Innovationsreport zeigt eindrucksvoll, dass erhebliche Gefahren für die Patienten bestehen können: Für vier der untersuchten Medikamente sind insgesamt sechs Rote-Hand-Briefe verschickt worden, mit denen pharmazeutische Unternehmen in Absprache mit den Bundesoberbehörden heilberufliche Fachkreise über Risiken informieren.

Ein weiterer Befund des Reports, der aufhorchen lässt: Sechs der mit einer roten Gesamtampel bewerteten Wirkstoffe haben Eingang in Leitlinien und Therapieempfehlungen gefunden – also Präparate, die in den Kategorien verfügbare Therapien, Zusatznutzen und Kosten nicht überzeugen konnten. Hier stellt sich die für die Qualität und die Wirtschaftlichkeit der Patientenversorgung relevante Frage, wie es um die Unabhängigkeit und Neutralität bei der Erstellung solcher Empfehlungen bestellt ist. Cui bono?

Kosten steigen weiter

Neu heißt nicht zwangsläufig besser – aber meistens teurer. Das zeigt auch der aktuelle
Innovationsreport. Der Umsatz der 2016 neu in den Markt gebrachten Medikamente belief sich im Folgejahr auf 167 Millionen Euro und damit rund vier Prozent der gesamten Arzneimittelausgaben der TK. Nur ein einziges Präparat hat eine grüne Kostenampel. Der durchschnittliche Packungspreis der untersuchten Medikamente beträgt fast 1.300 Euro und damit rund 25 Prozent mehr als im Vorjahr. Wenige Präparate treiben die Ausgaben in die Höhe, und ein Ende der rasanten Steigerungsraten ist nicht in Sicht – eine Herausforderung für die künftige Arzneimittelpolitik.

Sonderkapitel Impfen

Das jüngst vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Masern-Impfpflicht hat ein wichtiges politisches Schlaglicht auf die Bedeutung des Themas Impfen geworfen – schützt eine Immunisierung doch nicht nur die Person selbst, sondern auch andere Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können. Herdenimmunität als Gemeinschaftsschutz lautet das Stichwort. Ein weiterer Grund, dem Thema Impfen ein Sonderkapitel im Innovationsreport zu widmen: Erstmals ist im Report ein Impfstoff bewertet worden. Der HPV-Impfstoff bekam eine grüne Gesamt-Ampel. Damit bescheinigten ihm die Wissenschaftler einen echten Zusatznutzen.

Für den Report wurden die Impfquoten der 2016 neugeborenen TK-Versicherten im Hinblick auf die 13 von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen analysiert. Das Ergebnis: 47 Prozent der Kleinkinder haben alle Impfungen erhalten, aber etwa die Hälfte der Kleinkinder ist nicht vollständig geimpft. Das heißt, dass ihnen eine oder mehrere Teilimpfungen fehlen. Die gute Nachricht: Nur ein sehr geringer Anteil von weniger als vier Prozent ist gar nicht geimpft. Die Zahlen zeigen: Es gibt Bedarf, aber zugleich auch große Chancen für Verbesserungen. Denn die Eltern der teilgeimpften Kinder sind offenkundig keine absoluten Impfgegner, sondern die fehlende Vollständigkeit scheint andere Ursachen zu haben – und sei es nur, dass die weiteren Impfungen im Alltag „untergegangen“ sind.

Hier können Aufklärung, zusätzliche Informationen und eine stärkere Sensibilisierung der Eltern – auch durch neue digitale Möglichkeiten – viel bewirken, zumal sich vergessene oder aus anderen Gründen unterbliebene Impfungen in der Regel problemlos nachholen lassen und man nicht von vorn beginnen muss. Damit die Krankenkassen die „Impf-Vergesser“ direkt ansprechen dürfen, bedarf es allerdings noch einer Änderung der aktuellen rechtlichen Vorgaben. Dies wäre ein lohnenswertes Unterfangen für einen breitflächigen Schutz vor vermeidbaren Infektionen.

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