Ersetzt künstliche Intelligenz (KI) bald den Arzt? Werde ich im Alter von Robotern gepflegt werden? Was passiert mit meinen Gesundheitsdaten? Diese Fragen rund um die Zukunft der Gesundheitsversorgung standen im Mittelpunkt des Fachforums Gesundheit Mitte November 2019 im Verlagshaus des Tagesspiegels in Berlin. Neun Experten aus Wissenschaft, Politik und dem Gesundheitswesen diskutierten das Thema „Apps, Robotik, KI – wie smart ist die medizinische Versorgung?“
Gleich zu Beginn skizzierte Prof. Dr. Peter Dabrock vom deutschen Ethikrat das Ausmaß der Umwälzungen im Gesundheitswesen durch die Digitalisierung und lieferte ein Beispiel: Facebook ermittele anhand von Nutzerdaten allein durch Wahrscheinlichkeitsrechnungen die Neigung zu Depression oder Suizidgefährdung. Die Ermittlung von Gesundheitsdaten anhand von Social Media Aktivitäten und das damit einhergehende Eindringen in einen der intimsten Bereiche des Menschen – seine Gesundheit – sei ein ethisch dramatisches Beispiel und zeige, vor welchen Herausforderungen unsere Gesellschaft stehe. Doch Datensammeln biete auch große Chancen, beispielsweise in der Unterstützung von gesundheitsförderlichem Verhalten und der Diagnostik, etwa bei Krebserkrankungen. Ethik dürfe nicht nur Verhinderer sein, sondern beinhalte auch die Pflicht, lebensrettende Möglichkeiten nicht zu unterlassen, so der Theologe. Das Schlüsselwort hierfür sei die Datensouveränität. In diesem Kontext stellte Dabrock ein Modell vor, dass dem Einzelnen die Möglichkeit bietet, in den Datenverwertungsprozess einzugreifen, wenn es wirklich wichtig ist. Dass hierfür eine große Portion Datenkompetenz nötig ist, die nur durch viel mehr Bildung in diesem Bereich zu erreichen sei, sieht er als die große gesellschaftliche und individuelle Aufgabe an, vor der wir stehen.
In der anschließenden Diskussionsrunde zum Thema „Smarte Versorgung: Ersetzt KI die sprechende Medizin“ zeigte sich Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen e. V., überzeugt, dass Apps, Robotik und KI die sprechende Medizin nicht ersetzen, sondern ergänzen und die Qualität der Versorgung verbessern werden: „Schon jetzt machen die Ersatzkassen ihren Versicherten eine Reihe von digitalen Angeboten, etwa zur psychotherapeutischen Versorgung oder zum Selbstmanagement bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes. Es ist gut, dass erprobte Angebote nun mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz allen Versicherten in der Regelversorgung zugutekommen sollen.“ Die Gesundheitskompetenz der Menschen nehme zu und viele Versicherte seien offen für den Einsatz von Apps, so Elsner. Versicherte müssten aber immer Manager ihrer Gesundheitsdaten bleiben.
Auch Christine Aschenberg-Dugnus, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, betonte in dem Zusammenhang, dass sogenannte Datenspenden durch die Versicherten immer auf Freiwilligkeit beruhen müssten. Prof. Dr. Peter Vajkoczy, Direktor der Klinik für Neurochirurgie an der Berliner Charité, ist ebenfalls überzeugt, dass die Digitalisierung den Menschen enormen Nutzen bringt, ganz konkret in seinem Fachgebiet. So hätten digitale bildgebende Verfahren große Verbesserungen bei Operationen in schwerzugänglichen Arealen gebracht. Beispielsweise arbeitet Vajkoczy bei der Behandlung von Hirntumoren mit einem OP-Mikroskop, das Livebilder des Operationsfeldes zeigt, in die zusätzliche, wichtige Informationen eingeblendet werden. Die dahinter stehende Technologie ist die sogenannte Augmented Reality (AR), also eine computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Dass Digitalisierung und KI den Arzt ersetzen könnten, befürchtet Vajkoczy nicht: „Therapieentscheidungen werden auch in Zukunft immer vom Arzt getroffen werden.“
Auch bei der zweiten Diskussionsrunde spielte die Frage nach der Ersetzbarkeit von Menschen durch Maschinen eine Rolle, diesmal im Hinblick auf die Pflegekräfte. Kordula Schulz-Asche, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied im Gesundheitsausschuss, warnte davor, den Blick auf mögliche Gefahren der Digitalisierung zu verengen. Viel wichtiger sei es, die Chancen hervorzuheben. „Richtig eingesetzt, haben moderne Technologien das Potenzial, den Pflegeberuf aufzuwerten“, so Schulz-Asche. Technik entlaste an vielen Stellen bereits heute das Pflegepersonal, etwa beim Heben und Umlagern von Pflegebedürftigen oder beim Transportieren von Wäsche in Pflegeheimen.
Dass es ohne technische Hilfsmittel angesichts der knappen Personaldecke nicht geht, betonte auch Selina Deppe vom Seniorenzentrum Flersheim-Stiftung. Die Leiterin der Bad Homburger Einrichtung hatte den heimlichen Star der Veranstaltung im Schlepptau, die Roboterrobbe Paro. Das Fellknäuel mit großen dunklen Knopfaugen, das auf Berührung und Geräusche reagiert, wird in dem Seniorenzentrum als Therapieroboter für Demenzkranke eingesetzt, genauso wie Therapiehunde. Der Vorteil: Roboter müssten sich nicht ausruhen. Zudem gäbe es viele Senioren, die nicht mit Hunden klarkämen. Deppe betonte jedoch, dass die Robbe nur ein Hilfsmittel für die Pflegekräfte sei und die Pflegebedürftigen niemals allein mit ihr gelassen würden. „Pflege ist immer Beziehungsarbeit“, so Deppe. „Das kann ein Roboter nicht leisten.“ Michael Früh vom High-Tech-Entwickler F&P Robotics AG hakte ein, dass eine Diskussion um pflegende Roboter grundsätzlich am Thema vorbeigehe: „Roboter können nicht pflegen, sie können nur assistieren.“ Daher werde in der Branche korrekterweise auch von Assistenzsystemen gesprochen, die zur Entlastung des Personals und pflegender Angehöriger entwickelt würden. Dennoch dürfe der ethische Aspekt nicht aus den Augen gelassen werden, mahnte Prof. Dr. Arne Manzeschke von der Evangelischen Hochschule Nürnberg: „Auch wenn die Technik derzeit noch nicht so weit ist, dass Roboter als soziale Interaktionspartner mit eigener Entscheidungsfähigkeit auftreten, müssen wir bereits jetzt bestimmen, wie viel Freiheit wir Robotern in der Zukunft gewähren wollen.“ Dafür bedürfe es der partizipativen Forschung: „Techniker, Pflegekräfte, Politiker, Krankenkassen und Ethiker müssen zusammenarbeiten und die Entwicklung sorgfältig begleiten, damit wir am Ende nicht vor Konsequenzen stehen, die wir nicht haben wollen“, so Manzeschke.
Das Schlusswort bei diesem spannenden Expertenaustausch hatte der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus. Der Staatssekretär rückte den Pflegeberuf in den Mittelpunkt: „Wir brauchen sinnvolle technische Unterstützung, um die Pflege zukunftssicher zu machen. Aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen, denn nur dann finden wir das so dringend benötigte Personal.“ Er forderte, die berufsübergreifende digitale Kommunikation voranzutreiben und begrüßte in dem Zusammenhang die Einführung der elektronischen Patientenakte. Mit dem Credo „Besser vernetzt ist besser versorgt“ setzte er den Schlusspunkt der Veranstaltung und lieferte damit sogleich ein passendes Fazit.